Hochsteigen um abzutauchen
23.03.2024 Wallbach/MumpfBei Hochwasser kommt der Bach tosend um die Ecke gerauscht. Weiter unten mündet er in den Fluss der Zeit. Willkommen im Dorfmuseum Mumpf, wo die Vergangenheit gegenwärtig wird.
Ronny Wittenwiler
«Montag, 14 Uhr, ist gut. Eins kann ich Ihnen sagen: Ziehen Sie ...
Bei Hochwasser kommt der Bach tosend um die Ecke gerauscht. Weiter unten mündet er in den Fluss der Zeit. Willkommen im Dorfmuseum Mumpf, wo die Vergangenheit gegenwärtig wird.
Ronny Wittenwiler
«Montag, 14 Uhr, ist gut. Eins kann ich Ihnen sagen: Ziehen Sie sich warm an!»
Was wie eine Warnung klingt, ist nichts anderes als der Hinweis auf fehlenden Luxus. Im alten Dreschschopf an der Ankengasse gibt es keine Heizung. Hier «speuzten» einst siebzehn Männer in die Hände und verwandelten den mehr oder weniger unwirtlichen Ort in eine Stätte, die Generationen in Mumpf zusammenbringt – auch, um gegen das Vergessen der eigenen Herkunft anzukämpfen.
Unter der Brücke
Hier, von Obermumpf herkommend beim Eingang Mumpf, befindet sich das Dorfmuseum. Allein schon die Lage des Ortes erzählt ein Stück Geschichte, denn: Unmittelbar über dem Museum führen über je eine Brücke die Autobahn und die Eisenbahn. Zwei verbindende Bauwerke und doch so einschneidend, auch sie haben Mumpf zu dem gemacht, was es heute ist. Gerhard Trottmann, einer der beiden Protagonisten unserer Geschichte, sitzt an diesem Montagnachmittag zusammen mit Martin Wunderlin an einem Tisch, es umgeben ihn Werkzeuge alter Handwerkskunst, Fischernetze aus dem vorletzten Jahrhundert und Nachthemden bar jeglicher Romantik, geschweige denn Erotik. Die alte Bahnhofsuhr hängt schräg über ihm. Die Zeit steht still.
«Also das können Sie sich gleich notieren», sagt Gerhard Trottmann und lacht dabei: «Die Stunden zählen wir bei uns nicht.» Vorausgegangen war die Frage, wie lange diese Gruppe von siebzehn Männern denn gebraucht habe, bis dieser alte Dreschschopf der ehemaligen Milchgenossenschaft restauriert und zum schmucken Dorfmuseum geworden ist. Statt Arbeitsstunden zu zählen, sei ihnen allen das Zusammensein wichtig gewesen, sagt Martin Wunderlin. Ein Rundgang durch die Dauerausstellung untermauert diese Aussage. Es ist die Liebe zum Detail und eine gewisse Akribie, die den Ort zu einem besonderen Treffpunkt machen. Das Dorfmuseum dokumentiert das einstige Mumpfer Leben von der Wiege bis zur Bahre. Und auch wenn der Ort einer ist, wo man die Stunden nicht zählt, so sei gesagt: Von der ersten Idee für ein Dorfmuseum (2009) bis zur Fertigstellung (2011) vergingen drei intensive Jahre und hinzu kam eine Sammelaktion sondergleichen.
Licht ins Dunkel und das Bierchen im Freien
«Ein einziger Aufruf genügte», erinnert sich Gerhard Trottmann. Dann fuhren die Männer bald einmal mit einem Traktor durchs Dorf und sammelten von der Bevölkerung fürs Museum zur Verfügung gestellte Handwerksgegenstände, Kleidungsstücke und Zeitdokumente.
Bei weitem konnte nicht alles gebraucht werden. Nicht immer sind die Dinge reif fürs Museum, eher noch für die Entsorgung. Doch all die brauchbaren Utensilien, die zutage gekommen sind, zeugen heute von dem, was Mumpf einmal war und wohin es gehen sollte. «Mumpf hat eine sehr reiche Geschichte», sagt Gerhard Trottmann; er selbst ist so etwas wie das historische Gewissen in der Museumskommission. Immer wieder kitzelt es den pensionierten Lehrer bis in die Fingerspitzen, wenn es gilt, Licht dort hinzubringen, wo die graue Vorzeit einen Schleier drübergelegt hat. Das Resultat: alljährlich eine Sonderausstellung zu einem spezifischen Mumpfer Thema.
Im Erdgeschoss hängen Bilder an der Wand. Sie dokumentieren die Renovationsarbeiten, die am Schopf nötig waren. Zu sehen sind die zupackenden Männer von damals. Im Entstehungsprozess war der Ort selbst also bereits eine Art Treffpunkt, ein Miteinander. Und heute, mal ehrlich? Bei Museumsbetrieb an den Sonntagen ist draussen auf dem Vorplatz auch ein Bistro geöffnet. «Vielleicht kommt der eine oder andere Mumpfer auch deswegen. Trinkt ein Bierchen und geht gar nicht durchs Museum», sagt Trottmann sachlich, um dann anzumerken: «Aber das spielt doch gar keine Rolle, das ist doch auch bereits schön.»
Über die Wurzeln
Dann drängt sie sich eben doch auf, diese eine Frage: Warum braucht es dieses Museum? Trottmann lächelt. «Es braucht es eigentlich nicht. Nein, eigentlich braucht es kein Museum, aber wenn eines da ist, dann ist das schön.» Martin Wunderlin nickt anerkennend, und dann sagt Trottmann Beeindruckendes. «Wer die Vergangenheit vergisst, weiss nicht, woher er kommt und wohin er geht. Natürlich! Sie haben diesen Spruch sicher schon hundertmal gehört. Doch steckt im Kern eine Wahrheit. Wenn ich hier zum Beispiel ein Dokument lese, worauf die Unterschrift der Frau allein nicht genügte, um einen Lohn zu bekommen, sondern dass auch der Mann erst unterschreiben musste – dann hat das seinen Wert. Weil man sieht, dass hinter jedem Gegenstand eine Geschichte steckt, ein Menschenschicksal. Das sollten wir nie vergessen. Unsere Herkunft sollten wir nie vergessen.»
Es klingt wie ein Schlusswort. Hochwasser des Bachs tost gut hörbar um die Ecke und mündet bald schon unten in den Fluss der Zeit. Willkommen im Dorfmuseum, wo die Vergangenheit gegenwärtig wird. Wir verabschieden uns. «Ziehen Sie sich warm an», hatte Trottmann noch gesagt. Wer hier einkehrt, wird allerdings wärmstens empfangen.
Mumpfer? «Jä»!
Martin Wunderlin ist ein Mumpfer durch und durch. Hier geboren und aufgewachsen, geheiratet, geblieben – «ich habe nie an einem anderen Ort gelebt.» Darum habe es kaum Überredungskünste gebraucht, als er damals angefragt wurde, beim Aufbau des Museums mitzuhelfen.
Gerhard Trottmann, aufgewachsen in Neuenhof, ist seit 1965 hier daheim – also bald sechzig Jahre. Ist er mittlerweile längst auch Mumpfer? «Jä», sagt er und lacht. «Das ist das Erste, was ich gelernt habe, völlig unbewusst. Dieses ‹Jä›» (statt ‹Jo›). Er sei in einer Zeit hierhergekommen, in der das Dorf aus sehr vielen Ur-Mumpfern bestanden habe. «Sie haben dieses vorderösterreichisch Gemütliche, das gefiel mir.» Gesellig? Trottmann überlegt. «Das ist es nicht, nein. Ich würde es eher bezeichnen als gemütlich, zufrieden – und genügsam. Das ist für mich ein Ausdruck dieser vorderösterreichischen, alten Zeit. Da wird nicht ‹gejufelt›.»
Martin Wunderlin und Gerhard Trottmann gehören der achtköpfigen Museumskommission an, welche für den Betrieb zuständig ist. Die Saison wird heuer am 26. Mai eröffnet. Eine Sonderausstellung widmet sich dem Thema «50 Jahre Autobahn». (rw)