Erfolgreich durch den Wandel
09.09.2025 Wirtschaft, WirtschaftWirtschaftsforum diskutiert über Anpassungen in Unternehmen
Thema des Wirtschaftsforums Fricktal in Stein war der radikale Wandel auf vielen Gebieten, an den sich nicht nur die Gesellschaft, sondern auch grosse und kleine Firmen anpassen müssten. Tipps für die richtige ...
Wirtschaftsforum diskutiert über Anpassungen in Unternehmen
Thema des Wirtschaftsforums Fricktal in Stein war der radikale Wandel auf vielen Gebieten, an den sich nicht nur die Gesellschaft, sondern auch grosse und kleine Firmen anpassen müssten. Tipps für die richtige Vorbereitung gab es von einer Psychologin, einem Unternehmensberater und einem Geschäftsführer.
Boris Burkhardt
Psychologin Simone Tschopp aus Biel hat eine ganz einfache Übung, um zu demonstrieren, wie schwer sich das menschliche Hirn an Neues gewöhnt. «Verschränken Sie einmal die Arme vor Ihrer Brust», sagt sie den Teilnehmern am Wirtschaftsforum Fricktal am Donnerstag im Saalbau in Stein: «Und jetzt andersherum, mit dem anderen Arm vorne.» Mit einiger Heiterkeit folgt ihr das Publikum. Aber die Übung führt zum Ergebnis, das Tschopp erwartet hat: «Haben Sie wirklich die Arme vertauscht? Berührt nun die andere Hand den anderen Oberarm als vorher?» Viele haben tatsächlich nur wieder die alte Bewegung ausgeführt, wie sie nun feststellen müssen. «Das Hirn ist gern im Energiesparmodus», hatte Moderator Dani Fohrler vom Radio SRF 1 Tschopp zur Einleitung als Stichwort gegeben. Das bestätigte die Diplompsychologin, die als «lösungsorientierter Coach» arbeitet: «Ich vergleiche es mit einem Navi, das eine neue Route berechnen muss: Es braucht Energie, vom Weg abzuweichen.» Radikaler Wandel war das Thema des diesjährigen Wirtschaftstreffens, zu dem ausserdem der Strategieberater Niklaus Leemann aus Rheinfelden und Andreas Conzelmann, Konzernleiter des Textilunternehmens Jakob Müller AG aus Frick, eingeladen waren.
Werkschliessungen bei Jakob Müller AG
Conzelmann berichtete vom Umbruch, in dem seine Firmengruppe im 138. Jahr ihres Bestehens stecke. Die Standortbestimmung und Produktanalyse der vergangenen vier Monate hätten gezeigt, dass die Produktion um den Faktor 3 zu gross geworden sei. «Ganz früh» im Evaluationsprozess seien stellvertretend 20 Mitarbeiter aus den Niederlassungen weltweit einbezogen worden und hätten Einsicht in alle Zahlen erhalten. Zwei der vier Werke müssten nun geschlossen werden; offen berichtete Conzelmann, der im Januar 2024 seine Stelle antrat, über seine Gefühle, als er die Werke besucht habe, um den Mitarbeitern, die teilweise seit 30 Jahren für die Firma gearbeitet hätten, die schlechte Nachricht persönlich zu überbringen.
Leemann wollte beim Wandel unterschieden wissen zwischen flüchtiger Mode, die morgen schon wieder verschwunden sein werde, und dauerhaften Trends. Letztere könne ein Unternehmen nicht ignorieren: «Energie, die Sie gegen den Wandel investieren, wird letztendlich verloren sein.» Freude am oder Angst vor dem Wandel sei seiner Erfahrung nach definitiv keine Frage des Alters, verneinte er Fohrlers Frage. Aus seinem neuen Buch durfte Leemann vielmehr die drei Kriterien erläutern, die gemäss seiner Recherche den Erfolg oder Untergang im Wandel bewirken.
Er nannte vier Firmen als Beispiele: der Verlag Axel Springer und der Tabakkonzern Philip Morris mit gelungener Adaption an den Wandel, der Photogeräte-Hersteller Kodak und der Schreibmaschinenproduzent Smith Corona mit einer gescheiterten Strategie. Die Trigger für Wandel könnten technologische Innovationen sein, neue Gesetze und verändertes Konsumverhalten sowie veränderte Wettbewerbsbedingungen. Um diese Faktoren zu überstehen, müsse ein Unternehmen drei Aktivitäten durchführen, die Leemann auf Englisch «Sensing, Seizing und Transforming» nennt, frei übersetzt: Aufspüren, Ergreifen und Umwandeln.
So habe Philip Morris als Pionier in E-Zigaretten investiert, als dies noch ein Nischenprodukt gewesen sei, und Axel Springer gleich nach dem 11. September 2001, der heute als der Anfang der Rezession auf dem Zeitungsmarkt angesehen werde, die Onlinepräsenz systematisch aufgebaut, während Kodak den Aufsprung auf die digitale Photographie total verpasst habe und Smith Corona nicht erkannt habe, wie sich die Heimcomputer entwickeln würden.
Ein wichtiger Schritt bei der Adaption sei die «Selbstkannibalisierung». Das Unternehmen müsse in neue Produkte investieren, die die alten Produkte kaputtmachten. «Warum?», fragte Leemann rhetorisch: «Weil es sonst eine andere Firma tut.» Dabei müsse aber das alte Geschäft vom neuen komplett getrennt werden. Ausserdem müsse das alte Geschäft das neue finanzieren, das erst einmal mehr kosten als einbringen werde. Der ganze Prozess könne sich über Jahre und Jahrzehnte hinziehen.
Auf dem anschliessenden Podiumsgespräch erzählte Leemann von einem 60-jährigen Manager, der eine ausgedruckte Mail ständig als Fax bezeichnet habe: «Er wäre perfekt geeignet, das Bestandsgeschäft weiterzuführen.» Ernsthaft berichtete Conzelmann von der Angst, als seine Firma zur «Selbstkannibalisierung» die eigenen Produkte aus China auf den Weltmarkt liess. Uneinig waren sich die beiden, ob ein Töggelikasten sinnvoll für das Betriebsklima sei. Tschopp lobte Conzelmann für seine emotionalen Einblicke und betonte, dass die Fähigkeit, sich emotional einzulassen, eine oft unterschätzte Qualifikation sei.