Die Hölle auf Erden
14.07.2024 Hellikon1966 ist ein 16-jähriges Mädchen aus Hellikon bei einer sogenannten Teufelsaustreibung im Zürcher Oberland brutal getötet worden. Der Autor Stephan Rey erzählt ihr Schicksal in seinem neuen Buch und verknüpft es mit einer fiktiven Geschichte.
Valentin ...
1966 ist ein 16-jähriges Mädchen aus Hellikon bei einer sogenannten Teufelsaustreibung im Zürcher Oberland brutal getötet worden. Der Autor Stephan Rey erzählt ihr Schicksal in seinem neuen Buch und verknüpft es mit einer fiktiven Geschichte.
Valentin Zumsteg
Es ist fast unvorstellbar, was die 16-jährige Bernadette Hasler aus Hellikon in der Nacht vom 14. auf den 15. Mai 1966 in einem Chalet in Ringwil erleiden musste. Das Mädchen, dessen Eltern einer katholischen Weltuntergangs-Sekte angehörten, wurde bei einem angeblichen «Exorzismus» im Zürcher Oberland über Stunden regelrecht zu Tode geprügelt. Der ehemalige Pallotinerpater Josef Stocker sowie seine Geliebte Magdalena Kohler, beide in Deutschland wegen Betrugs von der Polizei gesucht, und vier weitere Anhänger ihrer Sekte «Internationale Familiengemeinschaft zur Förderung des Friedens» schlugen unablässig mit einem Spazierstock, einer Reitpeitsche und einem Plastikrohr auf Bernadette ein. Grund: Sie soll unzüchtig und vom Teufel besessen gewesen sein. Die Prügel waren so heftig und langandauernd, dass sich ihr Unterhautfettgewebe verf lüssigte und sie in der Nacht an einer Lungenembolie qualvoll verstarb.
«Wahn und Fanatismus»
Die Eltern halfen zuerst bei der beabsichtigten Vertuschung der wahren Todesursache mit. Der Vater sah sich schliesslich aber nicht mehr länger dazu in der Lage. In der zweiten Einvernahme machte er eine neue Aussage und nur wenige Stunden später wurden Josef Stocker und Magdalena Kohler sowie die vier anderen Männer, die an der Tat beteiligt waren, verhaftet.
In seinem neuen Buch «Warum?» hat der Aargauer Autor Stephan Rey, der in Rohr lebt, dieses Schicksal aufgegriffen. Durch Zufall ist er auf das Verbrechen, das bald 60 Jahre zurückliegt, gestossen. Bei seiner Arbeit in der Psychiatrischen Spitex hatte ihm eine Frau, die selbst psychotisch war, von diesen Vorkommnissen erzählt. Als er das Stichwort Hellikon hörte, wurde er hellhörig, denn seine Mutter stammte ursprünglich aus diesem Dorf. Sein Interesse war geweckt und er begann zu recherchieren. Der Fall hatte damals grosses Aufsehen erregt, auch ausländische Medien berichteten ausführlich darüber. Es gab also viele Berichte, auf die er sich stützen konnte. «Wahn und Fanatismus liegen nahe beieinander. So etwas kann passieren, wenn die Leute Fanatikern nachlaufen. Das ist immer gefährlich», erklärt Rey.
Haupttäter fühlen sich unschuldig
1969 kamen die Täterin und die fünf Täter vor Gericht. Magdalena Kohler, die sich «Heilige Mutter» nannte, fühlte sich unschuldig. In dieser Nacht hätten alle dem Willen Gottes entsprechend gehandelt. Warum er zugelassen habe, dass Bernadette starb, das entziehe sich ihrer Kenntnis. Sie vermute jedoch, dass die Verbindung des Mädchens mit dem Satan allzu fest und nur noch durch ihren Tod zu lösen gewesen sei. Auch Josef Stocker, der zweite Hauptbeschuldigte, beharrte darauf, vor Gott nicht schuldig zu sein. Das Gericht sah es anders: Es sprach die A ngeklagten der vorsätzlichen schweren Körperverletzung mit Todesfolge schuldig. Stocker und Kohler, beides Deutsche, erhielten eine Zuchthausstrafe von zehn Jahren und einen Landesverweis von fünfzehn Jahren. Die vier anderen Beschuldigten kamen mit vier respektive dreieinhalb Jahren Gefängnis davon. Josef Stocker verstarb später in der Haft. Magdalena Kohler kam nach der Verbüssung der Strafe frei. 1989 verübte sie als Greisin in Singen (D) nochmals eine ähnliche Tat: Im Rahmen einer «Teufelsaustreibung» quälte sie eine 66-jährige Frau zu Tode.
In seinem Buch verbindet Rey die wahre Geschichte der 16-jährigen Bernadette Hasler aus Hellikon mit dem Schicksal der fiktiven Anne Rosenthal aus Israel. Diese erfundene Figur kannte in der Fantasie des Autors den Pater Josef Stocker aus seiner Zeit in Jerusalem und überlebte nicht nur das KZ Auschwitz, sondern auch den Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023. Rey: «Es sind zwei verschiedene Lebensgeschichten und doch so eng verbunden.» Für den Leser erschliesst sich diese Verknüpfung nur bedingt. Es bleibt die Frage: Was hat die brutale Ermordung von Bernadette Hasler, diese schreckliche und wahre Tragödie, mit der parallel erzählten Geschichte zu tun?