Wo Fremde zu Freunden werden

  28.10.2023 Effingen

Wo Fremde zu Freunden werden

 

In der «Bachstube am Bach» finden Menschen zusammen

Während im Ofen Teiglinge aufgehen und zu knusprigen Broten werden, kommen sich draussen am langen Tisch Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Sprachregionen näher. Ein Treffpunkt, der integriert; seit fünf Jahren und mitten in Effingen.

Simone Rufli

Die Sonne scheint, der Wind frischt auf, im Schatten unter dem Zeltdach ist es um diese Jahreszeit um 9 Uhr noch kühl. Es sind die Vorboten des Herbstes, die spürbar sind. Ob sie ihren Kaffee nicht lieber drinnen trinken möchte, fragt Barbara Schütz die Frau, die gerade eingetroffen ist. Ihr sei es drinnen zu warm, sagt Inga-Lill Nissas und setzt sich. Weil wir uns nicht kennen, fügt sie hinzu: «Ich komme aus dem hohen Norden.» Inga-Lill Nissas’ Muttersprache ist Schwedisch, Finnisch beherrscht sie, weil sie in Finnland aufgewachsen ist. Vor 50 Jahren kam sie in die Schweiz, um zu studieren und seit 35 Jahren wohnt sie in Effingen. Sie bleibe beim Hochdeutsch, sagt die pensionierte Journalistin. «Ich verstehe aber jeden Schweizer Dialekt – sogar die Walliser Dialekte.» Mehr Integration geht nicht.
Auch Barbara Schütz musste sich vor vielen Jahren in einer neuen Umgebung zurechtfinden, damals als sie aus dem Emmental ins Kästhal kam. Und wie ist es jetzt? Müssen sich die Effinger nicht auch in der fusionierten Gemeinde Böztal integrieren? Die beiden Frauen sehen sich an, überlegen. «Auf eine Art schon, ja», sagt Schütz. Und schalkhaft setzt sie hinzu: «Aber gell, wir sind immer noch Effinger.» Die beiden Frauen lachen. Was für eine wunderbare Stimmung an diesem prächtigen Morgen in Effingen. Fröhlich, unbeschwert, miteinander.

Angefangen hat dieser Morgen damit, dass Barbara Schütz Brotlaibe in den Ofen geschoben hat und Iris Bossart, ihre Tochter Elin, Haifaa Bakko und Alisa Kozlova alles bereit gemacht haben, damit die Gäste Brot kaufen, Kaffee und Tee trinken oder auch ein ganzes Zmorge geniessen können. Zusammensein, plaudern, sich kennenlernen, das ist der Sinn der «Bachstube am Bach».

Barbara Widmer, Leiterin Soziale Dienste der Gemeinde Böztal, trifft in Begleitung von vier jungen Männern ein. Das Interesse an den Neuankömmlingen ist gross. Die sprachliche Barriere noch beachtlich, aber mit vereinten Kräften lässt sie sich überwinden. Aus Bözen kämen sie, also nein, eigentlich aus Afghanistan. Gemeinsam lachen verbindet. Zwei von ihnen besuchen bereits die Sprachschule in Aarau, für die zwei anderen beginnt der Kurs demnächst. Wo sie schwingen können, wollen sie wissen. Ein Übersetzungsfehler? «Nein», sagen sie, in ihrem Heimatland kenne man diesen Sport auch.

Ein richtiger Schmelztiegel
Um zehn Uhr ist der lange Tisch vor der Bachstube voll. Hans ist auch da. Er bringt wie jeden Mittwoch die «20 Minuten» mit. «Damit ihr wisst, wie das Wetter ist», sagt er. «Man kann auch einfach zum Himmel schauen», sagen andere und lachen. «Vermutlich sind viele der anderen Einheimischen gerade in den Ferien», sagt die Holländerin mit Wurzeln in Indonesien und einem kroatischen Schwiegersohn. Mariana und Dan, das Paar aus Rumänien, stimmt ihr zu. Er arbeite jetzt in Windisch, sagt Dan, der Software-Entwickler. Vorher war er in der Westschweiz tätig. Ja, sie sprächen neben Deutsch auch Französisch. «Effingen liegt ideal, wir fühlen uns wohl im Dorf», sagt seine Frau. Alisa kommt mit zwei Tassen Tee, fragt, ob sie noch etwas bringen darf. «Kaffee? Kuchen? Brot? Bedient euch!»

Alisa Kozlova f lüchtete im Februar 2022 aus Charkiw in die Schweiz. Zusammen mit 15 anderen ukrainischen Gef lüchteten wohnt sie in Effingen in einem Haus. «Untereinander sprechen wir ukrainisch», sagt sie auf dem Weg zurück zur Kaffeemaschine. «Ich will aber mein Deutsch verbessern, so dass ich bald arbeiten und für mich selber sorgen kann. Hier in der Bachstube kann ich üben», sagt Alisa in bereits gutem Deutsch und hört gar nicht mehr auf, sich für die Gastfreundschaft zu bedanken.

«Eine wunderbare Familie»
Haifaa Bakko macht sich derweil an der Kaffeemaschine zu schaffen. Die Familie Bakko kam vor acht Jahren nach Effingen. «Zuerst wohnten wir ausserhalb bei der Station. Dort war es nicht einfach, weil der Kontakt fehlte, weil wir isoliert waren», erzählt Haifaa. Seit sie mitten im Dorf leben, ist das anders. «Eine wunderbare Familie», sagt Barbara Schütz, «alle haben sie gern.» Mit dem Erhalt der Niederlassungsbewilligung sei es noch einfacher geworden, sagt Haifaa. Jamal, ihr Mann, hat eine feste Arbeitsstelle antreten können, sie hilft beim Mittagstisch, putzt bei Familien im Dorf und hilft seit fünf Jahren jeden Mittwochmorgen in der Bachstube. Bakkos haben drei Kinder. «Eines kommt jetzt schon ins Berufswahlalter» erzählt die Mutter stolz. Ein Kind ist in der Bez, das zweite in der Sek, das Jüngste – es ist hier in Effingen zur Welt gekommen – im grossen Kindergarten.

Die Kaffeemaschine läuft wieder an. Haifaa hat sie mit einem tüchtigen Schubser in Gang gebracht. Wie sie das macht? «Wir wissen es nicht», sagt Barbara Schütz, «aber es funktioniert jedes Mal.» Die Frauen lachen. «Weisst du es noch? Wie heissen die Mozzarella-Rollen, die ich beim syrischenschweizerischen Buffet zum ersten Mal gemacht habe?» Barbara Schütz verdreht die Augen, stöhnt übertrieben theatralisch. Haifaa lacht und genüsslich setzt sie hinzu: «Halavet el Jibn. Das sind doch nur ein paar Worte. Ich habe eine ganze Sprache neu lernen müssen.»

Es begann anno 2015
Haifaa Bakko. Mit ihr, respektive mit ihrer Familie, hat alles angefangen, damals im Herbst 2015, als die Gemeinde Effingen beschloss, eine syrische Familie aufzunehmen. Acht Personen meldeten sich für die Betreuung, bildeten ein Team und kümmerten sich um die Vorbereitungen. Als die Familie aus Syrien dann eintraf, unterstützten und begleiteten sie diese im neuen Alltag. Sie kümmerten sich um die medizinische Betreuung, die Unterstützung der Kinder in der Schule, um Sprachunterricht und Fahrdienste. Die Familie Bakko lebte sich ein und fand sich immer besser zurecht. Der Betreuungsaufwand nahm ab. «Im Herbst 2016 haben wir vom Swisslos-Fonds-Angebot für Aktivitäten im Bereich Flüchtlingswesen erfahren», erzählen Barbara Schütz und Inga-Lill Nissas. In der Folge wurde das Projekt «Bachstube am Bach» entwickelt. Das Gesuch um Unterstützung wurde bei Swisslos eingereicht und bewilligt. Für die Sanierung des maroden Häuschens gab es 30 000 Franken aus dem Swisslos-Fonds, dazu 10 000 Franken von der Gemeinde Effingen. «Der Rest im Wert von rund 10 000 Franken wurde in Form von Fronarbeit eingebracht.»

Nachdem das Projekt ausgearbeitet, die Baubewilligung eingereicht und Offerten für Wasser- und Stromanschlüsse eingeholt waren, konnte im Frühjahr 2017 unter der Leitung der damaligen Gemeinderätin Iris Schütz und mit tatkräftiger Unterstützung ihres Mannes Walter Schütz mit den Sanierungs- und Umbauarbeiten begonnen werden. Am 2. Mai 2018 öffnete die Bachstube zum ersten Mal. Seither ist es am Mittwochmorgen so: Ab 10 Uhr, wenn die Standardbrote gebacken sind, ist der Ofen frei für Gäste, die ihre eigenen Teiglinge mitbringen. Alle Rezepte zu den vielen Backwaren sind in einem Ordner abgelegt.

Über dem Treff die Sonne
Kurz vor halb zwölf löst sich der Treff langsam auf. Auch die jungen Männer aus Afghanistan brechen auf. «Tschau zäme», sagt einer vor, die anderen sprechen ihm nach. Bevor sie den Heimweg antreten, wird noch schnell der Ofen inspiziert. Sie werden nächste Woche wieder kommen, sagen sie, zu Fuss oder mit dem Postauto. Auf jeden Fall mit einem eigenen Teig, «um für alle Fladenbrot zu backen». Vor zwei Stunden waren sie noch Fremde.

Drinnen in der Bachstube wird aufgeräumt. Barbara Schütz erstellt eine Liste mit den Sachen, die für den nächsten Mittwoch eingekauft werden müssen. Neben ihr auf dem Tisch liegt der Zettel mit den Namen der Afghanen. «Das sind schwierige Namen», sagt sie und nimmt einen ersten Anlauf. Bis zum nächsten Treffen wird sie die Namen auswendig können. Und wie hiess jetzt das syrische Gebäck von Haifaa schon wieder? In der Bachstube wird gelacht, über der Bachstube scheint die Sonne.

Die «Bachstube am Bach» – sie führt seit fünf Jahren Menschen aus aller Welt zusammen. Aus derselben Welt, die gerade wieder einmal aus den Fugen gerät. Wie gut doch so ein Morgen tut, mitten unter diesen netten Menschen, an diesem Treffpunkt in Effingen.


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