«Persönlich glaube ich nicht, dass es zu Abschaltungen kommt»

  05.12.2022 Hottwil, Wirtschaft

Die NFZ sprach mit Adrian Bürki (47), der einen Masterabschluss in Energiewirtschaft hat, über eine mögliche Strommangellage, steigende Strompreise, wie «gesund» die EMU ist und über Herausforderungen in der Branche.

Bernadette Zaniolo

NFZ: Herr Bürki, wie geht es der Elektra Mettauertal und Umgebung?
Adrian Bürki:
Uns geht es sehr gut. Wir stehen auf soliden Beinen. Natürlich haben auch wir Herausforderungen in der Zukunft. Wir haben eine saubere Infrastruktur, aber gewisse Ausbauten sind nötig. Auch die Digitalisierung in der Branche selbst ist herausfordernd. Hier ist die EMU mittlerweile sehr gut aufgestellt. Allerdings bereiten auch uns die aktuellen Marktpreise etwas Kopfzerbrechen.

Es kommen immer mehr Elektromobile wie Autos aber auch E-Bikes auf den Markt. Diese müssen auch aufgeladen werden. Wie gross ist die Nachfrage im Gebiet nach Ladestationen?
Diese ist zunehmend, aber noch kein Boom, kein Überrollen. Es findet eine moderate Zunahme statt, vielleicht auch wegen der Lieferschwierigkeiten von Elektro-Autos. Wichtig ist, dass Interessierte für die Ladestation ein sogenanntes technisches Anschlussgesuch stellen, bevor der Auto-Kauf stattfindet. Erst dann ist gewährleistet, dass die Ladestation am Netzanschluss betrieben werden kann. Und bei Mehrfamilienhäusern braucht es ab zwei Ladestationen ein Lastmanagement. Bei Stockwerkeigentum könnte dies aus finanziellen Gründen beziehungsweise Mitfinanzierungen der einzelnen Parteien zu Diskussionen führen und sollte frühzeitig angegangen werden.

Wie kann beziehungsweise bereitet sich die EMU auf eine mögliche Strommangellage vor?
Wir sind eingebunden in die Ostral-Organisation (Organisation für Stromversorgung in ausserordentlichen Lagen), welche vor 30 Jahren vom Bund für eben eine solche ausserordentliche Lage geschaffen wurde und die auf dessen Anweisung aktiv wird. Die Branche ist vorbereitet. Wir wissen, was zu tun ist. Klar, sollte es als Letztmassnahme zu Ausschaltungen kommen, werden wir sehen, ob es dann wie geplant funktioniert. Die Wiedereinschaltung dürfte ebenfalls eine Herausforderung sein. Bevor es aber zu Netzabschaltungen kommt, gibt es vorgelagerte Massnahmen wie Sparappelle, Verbrauchseinschränkungen sowie die Kontingentierung von Grossverbrauchern.

Gibt es einen Plan, wann wer abgeschaltet wird, und kommt dann plötzlich ohne Ankündigung kein Strom mehr?
Ja, wenn der vorhandene Strom ein tiefes Niveau erreicht, also die Nachfrage das Angebot übersteigt, werden die vorbereiteten Massnahmen umgesetzt. Der Entscheid beziehungsweise die Festlegung der entsprechenden Bewirtschaftungsmassnahme liegt jedoch beim Bundesrat. Die Ostral ist zuständig für Vorbereitung und Umsetzung der angeordneten Massnahmen. Diese Vorbereitung geht soweit, dass die entsprechenden Stellen innerhalb Ostral wissen, welche Netzgebiete in welcher Reihenfolge abgeschaltet werden. Wir reden von einem rollierenden Stromunterbruch von rund vier Stunden. Die EMU würde in diesem Fall komplett, als ganzes Netzgebiet, «abgeschaltet». Es gibt einen Vorlauf für die Abschaltung von zwei bis drei Tagen, um auch die Bevölkerung zu orientieren.

Mit welchem möglichen Szenario rechnen Sie?
Schwierig zu sagen, für die ganze Branche. Es gibt viele Unbekannte, welche die Situation beeinflussen. Einerseits die Niederschlagsmenge, ob der Winter mild oder kalt wird und letztlich auch wieviel Strom wir von Frankreich oder Deutschland importieren können. Die Stauseen, die als Energiespeicher dienen, sind zurzeit wieder etwas über dem Durchschnitt gefüllt. Ich persönlich glaube jedoch nicht, dass es zu Abschaltungen kommt, der Bund und die Branche unternehmen einiges, um dies abzuwenden (Anmerkung: Wasserkraftreserve, Reservekraftwerk Birr). Wichtig ist, dass sich Haushalte und insbesondere das Gewerbe mit der Möglichkeit von Stromabschaltungen auseinandersetzen und sich für diesen Fall vorbereiten. In der jetzigen Situation präventiv Strom zu sparen ist sicherlich nicht verkehrt und kann helfen, harte Einschränkungen abzuwenden.

Eigentlich haben wir aber genügend Strom; die Schweiz exportiert ja auch. Wo liegt das Problem im Winter?
Aufs Jahr gesehen exportiert die Schweiz Strom, das ist richtig. Im Winter sind wir jedoch auf Importe angewiesen. In Frankreich steht derzeit rund die Hälfte der Kernkraftwerke wegen Mängeln still. Zudem findet in Europa ein Energiesystem-Umbau, hin zu mehr erneuerbaren Energien, statt, welcher unter anderem zur Folge hat, dass Produktionskapazitäten wegfallen, bevor diese substituiert werden konnten. Beides ist mit ein Grund, weshalb die Marktpreise derart angestiegen sind.

Ein anderes Thema sind die massiv gestiegenen beziehungsweise steigenden Strompreise im neuen Jahr. Hatten Sie deshalb viele verbitterte Anrufe?
Verbitterte nicht und auch nicht sehr viele. Im Gespräch konnte viel geklärt werden, weshalb die Kosten für die Energiebeschaffung, den Strom, angestiegen sind. Auf Seite Netznutzung haben wir im eigenen Netz keine Kostenerhöhung, aber die Erhöhung der vorgelagerten Netzkosten müssen auch wir berappen und so an die Kundinnen und Kunden weiterverrechnen. Der Energietarif, also der reine Strompreis, erhöht sich ab 2023 um durchschnittlich 11,2 Rappen pro Kilowattstunde. Dies aufgrund der vorgenannten Gründe.

Kann die EMU dadurch einen höheren Gewinn ausweisen?
Nein, als Genossenschaft sind wir nicht gewinnorientiert. Regulatorisch sind die Beschaffung der Energie sowie die Netznutzung getrennt. Auf Seite Energie ist ein Gewinn ohnehin nur marginal erlaubt, die EMU verzichtet jedoch gänzlich darauf. Netzseitig braucht es einen adäquaten Gewinn, um Investitionen in Erneuerung und Unterhalt zu finanzieren.

Müssen wir bald mit «kleineren Brötchen» rechnen? Denn nicht nur die Strompreise wirken sich auf die Bäckereien aus, sondern auch die hohen Preise für Getreide in Folge von Lieferengpässen.
Ja, das ist tragisch und es kommt derzeit einiges an Mehrkosten auf alle zu, auch für solche, die beispielsweise mit Gas produzieren. Möglicherweise müssen die Bäckereien und das produzierende Gewerbe insgesamt ihre Preise anpassen. In der Schweiz hatten wir in der Vergangenheit – im Vergleich zum Beispiel mit Deutschland – eher einen tiefen Strom- beziehungsweise Energiepreis. Leider ist dies kein Trost. Aber günstiger Strom, wie wir es gewohnt sind, wird wohl auch in der Schweiz der Vergangenheit angehören. Jeder sollte sich Gedanken machen, wo er in Sachen Strom/Energieverbrauch einsparen kann.

Muss die Elektra Mettauertal und Umgebung aufgrund des vermehrten Umstiegs von Ölheizungen auf Wärmepumpen sowie von gewünschten E-Ladestationen an privaten Liegenschaften die Leitungen in den älteren Dorfquartieren ausbauen beziehungsweise ersetzen?
Das ist sicher so. Wir sind auch dran. Beim Mittelspannungsnetz (16 000 V) sind wir gut aufgestellt, beim Niederspannungsnetz (400 V) müssen wir schon verstärkt investieren; einerseits in grössere Leitungen oder in die Verkürzung der Wege.

Kann die Elektra Mettauertal und Umgebung noch selbständig bleiben?
Ja, das kann sie gut. Personell wie finanziell sehen wir absolut nichts, was dagegensprechen würde.

Was tun Sie persönlich, um Energie zu sparen?
Aktuell ist sicherlich die Optimierung unserer Wärmepumpen-Steuerung vorgesehen. Beim Heizen lässt sich am meisten einsparen. Mit den ersetzten LED-Lampen lässt sich auch einiges erreichen. Auch beim Einsatz von beispielsweise elektrischen Handtuch-Radiatoren und Heizlüftern sollte man nicht verschwenderisch sein.


Der technische Leiter und die EMU

Adrian Bürki ist seit eineinhalb Jahren Co-Geschäftsführer und Technischer Leiter der Elektra Mettauertal und Umgebung. Der 47-Jährige wohnt in der Gemeinde Mettauertal, ist verheiratet und hat einen Sohn. Bürki hat bei der ABB in Baden eine Ausbildung als Elektromechaniker absolviert, ist dipl. Techniker HF Informatik und besitzt den MAS in Energiewirtschaft. Die EMU zählt 1058 Genossenschafter und 6 Grossverbraucher. Im 2021 verkaufte die Genossenschaft rund 17 500 000 Kilowattstunden Strom; davon waren 61,75 Prozent aus erneuerbarer Energie. Die EMU unterhält ein rund 185 Kilometer grosses Netz (Mittel- und Niederspannung) und hat 4 Angestellte; heisst in Stellenprozenten 350. (bz)


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