«Jeder Tag war eine Geschichte»

  20.02.2022 Eiken, Etzgen

Angela Diesner: Die Schule ist ein Teil ihres Lebens

Aufgewachsen in einer «Lehrerdynastie» entschied sich Angela Diesner auch für den Lehrerberuf, der ihr Leben prägte. Schöne, aber auch «grausam» turbulente Zeiten erlebte sie über die letzten 32 Jahre an der Schule in Eiken, wo sie Ende Januar als Schulleiterin in Pension gegangen ist.

Paul Roppel

Das Wohnzimmer ist noch immer verstellt mit Bastelarbeiten, Dekorationen, Glückwunschballonen und vielen anderen Gaben. Angela Diesner schwebt noch immer auf Wolke 7. «Es war ein gewaltiger, emotioneller Abschied mit einer wahnsinnigen Würdigung. Jedes Kind hat mir etwas geschenkt», erinnert sich die frisch Pensionierte bewegt an ihre letzten Stunden im Schulhaus in Eiken. Ihr ist zudem noch eine Holzbank versprochen worden, welche im Modell nun den Esstisch in ihrer Wohnung in Etzgen ziert. Zudem werde in der Schulanlage zur Erinnerung noch ein Baum gepflanzt, fügt sie an. «Genau so, wie es mein Grossvater Traugott Kohler in Schwaderloch erlebt hat, dem als langjähriger Lehrer vor der Schule eine Linde gepflanzt wurde», lacht sie und erzählt, dass sie gerne dorthin spaziere und darunter in Gedenken ein Bierchen kredenze.

Nun kommt die anregend und faszinierend erzählende 65-Jährige im Gespräch mit der NFZ in Fahrt und lässt in ein paar ihrer Lebensabschnitte blicken. Neben dem Grossvater, seien auch der Vater, die Mutter und deren Schwestern im Lehrerberuf tätig gewesen. Der Vater war zeitlebens ihr grosses Vorbild und Rektor in Muri. Zum Hüten nahm er die damals sechsjährige Tochter und ihre Schwestern zum Arbeiten an den Wochenenden mit in die Schule, nachdem die Mutter plötzlich gestorben war. «Die Schule gehörte von Anfang an zu meinem Leben», lächelt Diesner.

Ein Schwur unter Schwestern
Sie und ihre zwei Schwestern bekamen bald wieder eine Mutter. «Die neue Mutti war natürlich eine Lehrerin», schmunzelt sie. «Es kamen noch zwei jüngere Geschwister dazu. Da war Hochbetrieb im Haus», erinnert sie sich an eine sehr schöne Jugendzeit mit viel Musizieren, Spielen und Wandern oder Skifahren in den Bergen. Als sich abzeichnete, dass auch sie und ihre Schwestern der Berufsgattung Lehrer zugeneigt waren, war es ihnen nicht mehr geheuer. «Eines Abends schworen wir uns im Garten unter unserem Pflaumenbaum, dass keine von uns jemals einen Lehrer heiraten solle. An diesen Schwur haben sich bis heute alle gehalten», lacht die Vertreterin aus der «Lehrerdynastie».

Während ihre älteste Schwester in der Ausbildung als Kindergärtnerin war, bekam Angela Diesner Zweifel: «Die ganze Familie als Lehrer? Nicht auch ich noch». Deshalb schnupperte sie im Krankenhaus in Pflegeberufen, landete aber schlussendlich dennoch im Lehrerseminar Heiligkreuz in Cham. «Die fünfjährige Ausbildung war besonders in den letzten beiden Jahren mit den vielen ausgedehnten Praktika in den Schulen sehr wertvoll für den weiteren Berufsweg», bekräftigt die Lehrerin. Nur – wegen der Lehrerschwemme im Aargau – war der Berufsstart damals 1978 fast unmöglich. «Es gab Gemeinden, wo 20 Lehrpersonen am Abend zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurden. Wir standen Schlange und alle zehn Minuten kam die nächste Person dran und es gab lauter Absagen», erzählt Diesner.

Heimleiterin und Ersatzmutter
«Schliesslich bewarb ich mich für die Leitung eines Kinderheims, in dem nur noch wenige Kinder wohnten und dem die Schliessung drohte», berichtet sie weiter. «Hier schlug ich mich dann mit Vorständen, Behörden und kantonalen Beamten herum. Für die Kinder wurde ich «Ersatzmutter» über Tag und Nacht und an Wochenenden. Zwei, die am Wochenende nicht zu den Pflegefamilien reisten, nahm ich öfters mit nach Hause zu den Eltern. Die Zeit war für mich eine wertvolle Lebensschule», schildert sie diesen prägenden Lebensabschnitt.

Kurz vor der Schliessung trat sie ihre erste Stelle als Lehrerin einer 4. Klasse in Gipf-Oberfrick an. Danach wurde Diesner Mutter von vier Kindern. Nach sieben Jahren Berufspause bewarb sie sich um eine halbjährige Stellvertretung in Eiken, wo auch ihre jüngste Schwester unterrichtete. «Im Vorstellungsgespräch hat man mir aber völlig überraschend eine Vollzeitanstellung offeriert, die ich nach längerer Bedenkzeit dann 1989 angetreten habe», erzählt Diesner und meint: «Von diesem Ort kam ich nicht mehr los, weil Schule für mich eine Herzenssache war.» Neun Jahre später übernahm sie das Amt der Rektorin. «Das war auch mein Einstieg ins Computerzeitalter», erinnert sie sich. Schliesslich stellte sie sich eines Abends der Frage: «Gehe ich diesen Weg weiter? Schlage ich einen neuen Pfad ein»? In der Konsequenz nahm Diesner den Weg zur Ausbildung als Schulleiterin auf.

Turbulente Ereignisse
Die Schule erhielt einen Oberstufenneubau und die Kreisschule Eiken-Münchwilen-Stein (EMS) wurde gegründet. Diesner wurde 2006 für Eiken als Schulleiterin gewählt, was das Ende ihres Klassenunterrichts bedeutete. Ihre Schule umfasste den Kindergarten, die Primar-, Real- und Sekundarschule. «Ich erhielt eine kompetente Schulverwalterin, die mich bis zur Pensionierung begleitete», nennt sie ein Highlight. Aber nur schon zwei Jahre später brach eine Welt zusammen. Während einer Sitzung mit dem Präsidenten der Kreisschulpflege kam aus Aarau telefonisch die Hiobsbotschaft, dass die Kreisschule EMS aufgelöst werde. «Die nächste Zeit war grässlich», erinnert sich Diesner an das Desaster, welches das ganze Schulhaus, das Dorf und die Behörde in Aufruhr versetzte und sie sich mit heftiger Kritik konfrontiert sah. Lehrerinnen und Lehrer kündigten und Ersatz war kaum zu finden oder lief kurzfristig wieder davon. «Es war der pure Wahnsinn: Das Bildungskleeblatt scheiterte an der Urne und Regierungsrat Huber wurde abgewählt. Alles wurde gestoppt und die EMS nicht aufgelöst», umschreibt Diesner das Erlebnis. «Der Moment war grausam, aber es entwickelte sich in der Folge daraus eine tolle Schule mit starkem Zusammenhalt», fügt sie stolz an.

Zehn Jahre später traf das Unfassbare trotzdem ein: 2019 wurde die EMS endgültig aufgelöst, in Eiken zehn Lehrerstellen eliminiert und über 50 Kinder auswärts untergebracht. «Eine Ungewissheit war stets präsent, aber der Entscheid traf mich trotzdem sehr», sagt Diesner. Inzwischen sei die Totenstille im leeren Bau dem Aufleben der Primarschüler und den 25 Lehrkräften gewichen. Zudem schätzt sie sich sehr glücklich, dass eine neue Schulleiterin gewählt wurde, mit welcher sie während eines halben Jahres die Übergabe bei reduziertem Pensum arrangieren konnte. «Das war die perfekte Ablösung. Nun habe ich mich endgültig abgenabelt und kann mit meinem Camper beruhigt auf Reisen gehen», sieht Angela Diesner unbeschwert ihrer Zukunft entgegen.


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