«Beim Wandern lernt man sich richtig kennen»

  06.08.2021 Wittnau

Sie treffen sich einmal im Jahr im Sommer und wandern während einer Woche. Das Etappenende ist der Etappenstart fürs nächste Jahr. Im 2011 fassten sie den Entschluss, alle Kantone der Schweiz zu durchwandern. Am Mittwoch kamen sie ins Fricktal und nahmen sich in Rheinfelden Zeit für einen Schwatz.

Simone Rufli

Sie kämen mit dem Zug aus Basel, verzichteten auf den Fussmarsch von Basel nach Rheinfelden, «weil die Kollegin eine schmerzhafte Zerrung eingefangen hat und wir als Gruppe solidarisch sind», erklärt Lars Reimann am anderen Ende der Leitung. Die Wanderung führte sie in Etappen von St. Imier dem Doubs entlang nach Basel. Also gut. Mittwochnachmittag, 13 Uhr. Treffpunkt Schiffsanlegestelle Rheinfelden. So haben wir das am Telefon abgemacht. Und dann kommen sie daher. Entledigen sich der schweren Rucksäcke. «Wollen Sie mal halten?» Die Dinger sind ganz schön schwer. «Vor dem Essen war noch mehr drin», geben sie zu bedenken und lachen.

Ernst-Wilhelm Gloerfeld, Ehefrau Irene Gloerfeld, von Berufs wegen selbstständig im Immobiliensektor tätig, Klaus Dunkel, Förster beim Landforstamt Rheinland-Pfalz in Neustadt, Professor Doktor Uwe Eduard Schmidt, Professor für Wald- und Forstgeschichte an der Uni Freiburg – «ebenfalls eine Zähringerstadt» – und Lars Reimann, wohnhaft in Wittnau, «regelmässiger NFZ-Leser» und Lehrer an der Schule für Schwerhörige in Unterentfelden. «Davor mehrere Jahre Lehrer in Rheinfelden, weshalb ich meine Wanderkollegen unbedingt auf eine Führung durch die wunderbare Altstadt mitnehmen wollte.» Und, wie war’s? «Eine prächtige A ltstadt», die Gruppe ist beeindruckt.

Um die Zusammensetzung der Wandergruppe zu erfassen, muss man viele Jahre zurück. Gloerfeld und Dunkel, die beiden kennen sich aus Kindertagen. «Schon unsere Eltern sind zusammen gewandert.» Als Zwölfjährige zogen sie dann zum ersten Mal zu zweit los. «Ich hatte Geschwister, die keine Lust aufs Wandern hatten, und Klaus hatte keine Geschwister, so haben wir uns zusammengetan», erzählt Ernst-Wilhelm Gloerfeld. Angespornt von der Idee, es einem Lehrer gleichzutun, der Jahr für Jahr zu einer Etappenwanderung aufbrach.

Es begann auf einem Turm
Und wann fing das dann an mit den eigenen Etappenwanderungen? Ernst-Wilhelm Gloerfeld hat das Wort: «Das war im Jahr 1992 und begann mit der Idee, vom westlichsten Punkt in Deutschland zum östlichsten Punkt zu wandern. Sauerland…», Professor Doktor Schmidt fällt ihm ins Wort: «Vergisss das Saarland nicht.» Gloerfeld: «Saarland, Vogesen, der Schweizer Jura, Säckingen, der Schwarzwald, der Spessart bis zum Harz und wieder zurück. Damals waren wir immer nur an Wochenenden unterwegs und Irene war noch nicht dabei, weil unsere Kinder noch klein waren.»

Stopp. Eine Frage, wie fand denn der Wittnauer in die Runde? «Den Lars Reimann haben wir im Jahr 2003 auf dem Kaiser-Wilhelm-Turm im Schwarzwald angetroffen und am Abend dann gleich wieder im Hotel. Seither läuft er mit uns.» Es folgt eine Reihe von Sticheleien, Gelächter. «Humor ist uns wichtig», sagt der Professor Doktor und ernst stellt er fest: «Beim Wandern lernt man sich richtig kennen. So wie sich die Landschaft unterwegs wandelt, wandelt sich mit der Zeit die Freundschaft.» Vielleicht ist es gerade die enge Verbundenheit untereinander, die sie die Unterschiede aneinander so schätzen lässt. Lars Reimann: «Die beiden Förster sehen die Landschaft mit anderen Augen als ein Lehrer, und eine Frau nimmt die Schönheiten der Natur nochmals anders wahr als ein Mann. Wir ergänzen und komplettieren uns.» «Und singen in Kirchen, wenn sie denn gerade offenstehen», meldet sich Professor Doktor Schmidt. Er ist auch für kulturhistorische Belange zuständig, während Klaus Dunkel der Gruppe die Botanik näherbringt und die gemeinsame Kasse verwaltet. Und der Herr Gloerfeld? «Ich plane die Route, buche die Unterkünfte und mache zum Schluss von jeder Wanderung einen Film – meist in Überlänge à la Ben Hur.» Die anderen lachen.

Was nun?
Und wie kam es denn zur Idee, alle Kantone der Schweiz zu durchwandern? «Irgendwann im 2010 war die Süd-Nord-Wanderung zu Ende und es stellte sich die Frage: Was nun?» Dazu kam die Feststellung, die Kinder sind gross genug, allein zu bleiben. Das war der Moment, als auch Frau Gloerfeld die Wanderschuhe schnürte. Am Bodensee und in den Dolomiten fand sie erst den Gefallen und wenig später die Leidenschaft fürs Wandern. Und so starteten sie – neu zu fünft – im 2011 in Sevelen im Kanton St. Gallen zur Reise durch die Schweiz. Seither treffen sie sich einmal im Jahr für acht Tage und setzen die Wanderung fort – und zwar auf den Meter genau. «Wenn wir vor einem Jahr hier aufgehört haben», Ernst-Wilhelm Gloerfeld zeigt vor seine Füsse auf den Boden, «dann können wir jetzt nicht von dort drüben starten.» Dazu muss man wissen, dass zwischen hier und dort drüben gerade mal drei Meter liegen. «Ja, so sind wir», nimmt der Professor Doktor den irritierten Blick auf, «es darf kein Meter fehlen.» Die anderen nicken, dann lachen sie wieder die fünf.

1150 Kilometer haben sie auf ihrer Tour de Suisse bisher gemeinsam zurückgelegt, 13 von 26 Kantonen besucht, 65 Etappen bewältigt und 62 000 Höhenmeter überwunden. Rund 220 Kilometer bleiben ihnen noch bis zum Ende des Projekts, das zu einem noch nicht definierten Zeitpunkt auf der Rütliwiese enden soll. «Wir werden nicht jünger», sagt Gloerfeld, «mit Ausnahme von Lars sind wir alle über 60.»

Der Regen beginnt durch das dichte Blattwerk der Bäume zu tropfen. Noch die Fotos. «Wir sind vorbereitet», sie ziehen die Jacken aus, hervor kommt das einheitliche T-Shirt.


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