Rita Moll und die «armen Irren»

  19.04.2021 Zeiningen

Zeiningen im vermeintlichen Steinkohlerausch

Die Autorin Rita Moll hat einen Erzählband mit dem Titel «Arme Irre» veröffentlicht. Die darin beschriebenen zehn Geschichten spielen im 19. Jahrhundert. Es handelt sich dabei um Schicksale von Menschen aus dem Oberbaselbiet und dem Fricktal.

Willi Wenger

Die 67-jährige Rita Moll aus Böckten hat im Buch «Arme Irre – Geschichten aus vergangener Zeit» vor allem Texte über das damalige Leben im Bezirk Sissach (BL) geschrieben. Sie stiess bei ihren Recherchen jedoch auch auf Interessantes aus dem angrenzenden Fricktal. So informiert sie im Buch auch über die Steinkohlenbohrversuche in Zeiningen, welche das Dorf in den Jahren 1850 bis 1889 in Aufruhr versetzten. Ein Deutscher Bergmann hatte das Gesuch gestellt, im Gemeindewald auf seine Kosten nach Steinkohle graben zu dürfen. Dieses einzige Traktandum der damaligen Gemeindeversammlung im 180-Seelen-Dorf, die 1850 im Tanzsaal der «Traube» stattfand, und an welcher die männliche Bevölkerung fast vollzählig erschienen war, sollte das Dorf nachhaltig verändern. Kohle war aber letztlich nie zu finden. Die Armut blieb bestehen und mehrere Fricktaler Familien zogen es, wie auch solche aus dem Oberbaselbiet, vor, nach Amerika auszuwandern. In eine vermeintlich bessere Welt...

«Bohrlöcher», mit denen Moll einen Abstecher ins Fricktal macht, ist eine der zehn sorgfältig recherchierten Geschichten, die zum Schmunzeln Anlass gibt. Oder zum Staunen, ob der damaligen Zustände. Sie «spielt» in Zeiningen, das einst etwa 180 Einwohnerinnen und Einwohner zählte.

Frauen ohne Rechte
Im Buch von Moll sind mehrere Texte von «ehegerichtlichen Erkanntnissen» der Jahre 1806 bis 1832, dem Jahr der Gründung des Kantons Basel-Landschaft, enthalten. Briefe zwischen dem Basler Ehegerichtsschreiber und Pfarrherren dokumentieren einen Umgang mit Menschen, vor allem mit Frauen, der heute inakzeptabel wäre. Eine «Tracht Prügel» von Seiten des Ehemanns an seine Frau waren immer wieder die Regel. Moll schreibt in diesem Zusammenhang von «Grobianen». Aber auch Männern wurde gelegentlich der Tarif erklärt. So Oskar Weber, welcher zu fünfundsiebzig Franken Strafe und zu dreimal vierundzwanzig Stunden Einsperrung im Turm auf Wasser und Brot verurteilt wurde, weil er des Ehebruchs mit Maria Hunziker aus dem Aargau überführt wurde.

Schreiben nicht das einzige Steckenpferd
Schreiben ist nicht das einzige Steckenpferd von Moll, die in Allschwil aufgewachsen ist. Sie ist auch Steinbildhauerin, begeisterte Chorsängerin und Mitglied in einem Blockf lötenensemble. Sie ist verheiratet und wohnt seit 35 Jahren in Böckten. Ihren Zugang zum Fricktal rührt auch daher, weil ihr im Fricktal wohnender Bruder als «Bindeglied» angesehen werden kann. Ob sie wieder einmal ein Buch schreibt, weiss die Oberbaselbieterin nicht. «Ich nehme es im Pensionsalter ruhiger. Ich mache grundsätzlich nur noch das, was mir Lust und Freude bereitet.»

Mit Herzblut zu 800 Exemplaren
Moll sagt zur «Neuen Fricktaler Zeitung», dass sie «Arme Irre» mit Herzblut geschrieben habe. «Es hat mir Freude gemacht, meinen ersten Erzählband zu verwirklichen.» Und sie ergänzt, dass es erheblich schwieriger gewesen sei, einen Verlag zu finden, als zu schreiben. Diesen hat sie mit dem Bucher Verlag in Hohenems im österreichischen Bundesland Vorarlberg gefunden. Dieser hat Molls Werk in einer Auflage von 800 Exemplaren gedruckt.

Im zehn Geschichten umfassenden, eindrücklich geschriebenen 136 Seiten starken Buch hat Moll, die bis zu ihrer Pensionierung als Dr. med. vet, also Tierärztin, Fachredaktorin sowie Geschäftsleiterin der «Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz Schweiz» gearbeitet hat, das damalige Leben im Oberbaselbiet und eben im Fricktal «echt und auch brutal» dargestellt. Ebenso, wie es war. Sie hat zwar die Handlungen frei erfunden, aber im Kern ist alles so geschrieben, wie das Leben war. Zum Beispiel für Frauen, die ungewollt schwanger geworden waren oder auf andere Art in die Bredouille gelangten. Brennende Armut und ihre Folgen auf der einen Seite und Machtdemonstrationen von Amtsträgern auf der anderen Seite waren an der Tagesordnung. Uneheliche Kinder waren damals in der Stadt eine Schande, auf dem Lande generell eine Katastrophe. Frauen, die es nicht geschafft hatten, sich in Beischlafverzicht zu üben, wurden «ins Loch» gesteckt. Nach jedem weiteren Kind jeweils länger. Und die Männer, welche dabei waren?

Die Akten, welche Moll für «Arme Irre» gesichtet hat, sind im Wesentlichen Dokumente, die früher im «Zehntenschrank» des Pfarrhauses Oltingen gelagert waren. «Dank Oltingen,» wie Moll ausführt, habe sie überhaupt erst angefangen, zu schreiben. «Ich habe vier bis fünf Jahre am Buch gearbeitet, mit Unterbrüchen.» In diesem Zusammenhang dankt die Böckterin Max Wirz-Schaffner aus Wenslingen. Dieser im 2019 verstorbene Lokalhistoriker war es, welcher seine transkribierten Texte (alte deutsche Kurrentschrift) in lesbarer Form Moll zur Verfügung stellte. «Ich möchte ihm hier posthum meine Hochachtung für die grosse Leistung und meinen Dank aussprechen.» Sie ist aber auch dankbar über wertvolle Unterlagen der Kommission «Zeiningen – gestern und heute», welche ein Schriftstück über die Steinkohleversuche in Zeiningen 1850 bis 1889 verfasst hat.

 


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