Eine lebendige Geschichte

  09.01.2021 Herznach

Die Herznacherin Annie Deiss hat in den vergangenen vier Jahren 102 Interviews mit Personen aus Herznach und Ueken geführt. Die Texte sind in ihrem Buch «Damals in Herznach und Ueken» publiziert worden. (nfz)


Eine Reise tief in die «Seelen» zweier Dörfer

«Damals in Herznach und Ueken» ist eine wahre Fundgrube

Die Herznacherin Annie Deiss führte in den letzten vier Jahren 102 Interviews mit Personen aus Herznach und Ueken. In ihrem Buch «Damals in Herznach und Ueken» sind Informationen festgehalten, die man weder in den Archiven noch in der Literatur über die beiden Gemeinden findet.

Bernadette Zaniolo

«Ich bin baff, was ich über mein Werk zu hören bekomme», sagt die Autorin und Herausgeberin Annie Deiss freudestrahlend zur NFZ. Ein Lehrer meinte etwa: «Das Buch muss in die Schulen.» Nicht unbedingt in den Unterricht, aber in die Bibliothek. Während der vierjährigen Entstehungsgeschichte für das Buch hat Annie Deiss 102 Personen aus Herznach und Ueken interviewt. Anfänglich in Einzelgesprächen, später in Gruppen von vier bis fünf Personen im «Löwen» in Herznach. Anfänglich, wenn Deiss die Personen für ein Gespräch kontaktierte, hiess es: «Du, ich weiss doch nichts.» Doch bald nahm das Projekt «Fahrt auf». Aus der rund zwei Stunden geplanten Gesprächszeit wurden oft vier Stunden. Und mehrere Male hiess es nach dem Treffen in der Gruppe: «Das ist so spannend gewesen, ich möchte wiederkommen».

Was hat Annie Deiss auf ihrer Reise, zurück bis in die 1930er Jahre am meisten beeindruckt? «Die Frauen. Was die, vor allem während der Kriegszeit, geleistet haben. Lange hatten auch wir keine Waschmaschine. Auf den Bildern sieht man trotzdem kein einziges Kind in schmutzigen Kleidern. Frauen durften auch kein Bankkonto haben.» Auch die Geschichte vom Verdingkind Gotthard Haslimeier sowie jene vom Kriegsflüchtling Joseph Happe haben die dreifache Mutter Annie Deiss tief bewegt. Im Gespräch kommen wir auch auf die Fusswallfahrt nach Todtmoos zu sprechen. Annie Deiss öffnet das Buch und zeigt der Redaktorin ein beeindruckendes Foto. Die Pilger im Sonntagsanzug gekleidet und mit blitzblanken Schuhen, Hut, Schirm und Rosenkranz in der Hand. Auslöser für das Buch waren ihre Kinder sowie ihr Mann. «Ich liess meine Mutter, Mathilde Schmid-Müller, aus ihrer Kindheit, ihrem Leben als Bäuerin und als Mutter von 12 Kindern erzählen. Die Geschichten hielt ich schriftlich fest. Jahre nach der Niederschrift hörte ich von meinen eigenen Kindern, wie wichtig und bedeutsam für sie diese Erinnerungen ihrer Grosseltern sind.» Bei ihrer Tätigkeit als Notrufbetreuerin des Schweizerischen Roten Kreuzes wurden Annie Deiss ebenfalls viele spannende Geschichten aus der Vergangenheit erzählt. «Diese Lebensgeschichten aus einer nicht wiederkehrenden Kultur erschienen mir erhaltenswert. Der Reichtum an Lebenserfahrung, der Verzicht, die Anpassung an oft widrige Lebensbedingungen sollten aufgezeichnet werden», so die heute 65-Jährige. In ihrem Vorwort zum Buch hält sie fest: «Die vorliegenden Erzählungen beruhen auf der subjektiven Erinnerung der Interviewten und können nicht überprüft werden.»

Eine Tatsache ist jedoch, dass die Fricktaler im Laufe der letzten 400 Jahre immer wieder von Kriegen und Seuchen heimgesucht wurden. Nebst Einblicken in die Landwirtschaft und das Bauernleben, Religion und Kirche, Familienleben und Kinder, Militär und Kriegsjahre findet man im 360 Seiten umfassenden Buch auch manches, das zum Schmunzeln anregt. Nebst viel spannendem Lesestoff finden sich im Buch auch 700 Fotos.

«Das ist in diesem Buch gut gelungen»
«Annie Deiss hat während Jahren einen beachtlichen Aufwand für das Sammeln von Informationen geleistet. Eine grosse Arbeit war dann auch, die grosse Fülle an Informationen in einen Text zu giessen. Erfahrungsgemäss kann man nie alle Informationen verwerten, sei es aufgrund der Quantität, sei es aufgrund der Qualität. Da gilt es jeweils, die richtige Auswahl zu treffen. Das ist in diesem Buch gut gelungen», sagt der in Ueken lebende Historiker Linus Hüsser zur NFZ. Er sei das Buch schon zweimal durchgegangen und hat «besonders in den Bildern immer wieder Interessantes entdeckt». Wertvoll für die Nachwelt sei, «dass im Buch Informationen festgehalten sind, die man weder in den Archiven noch in der Literatur über Herznach und Ueken findet. Das Buch ist eine wahre Fundgrube an alten Fotos, deren überwiegender Teil bislang noch nie veröffentlicht wurde. Vor allem Personen, die in den beiden Dörfern aufgewachsen sind, dürften auf manchen Bildern immer wieder Neues entdecken. Ja, die Bilder können selbst zum Nachforschen anregen.»

«Ein ‹Meisterstück› was da Annie Deiss geschaffen hat», findet auch der Herznacher Gemeindeammann Thomas Treyer. «Ein grosses Kapitel Geschichte aus den beiden Dörfern, welches in diesem umfangreichen Werk auch für die Nachwelt festgehalten wird.» Einmal mit Lesen angefangen, komme man fast nicht mehr weg davon. Das Buch sei für jedermann und -frau eine äusserst interessante Lektüre, aber noch spannender für «waschechte» Ueker und Herznacher.

«Es ist immer einmalig, wenn eine Bürgerin ein Buch über die eigene Heimat herausgibt. Das kommt selten vor», hält der Ueker Gemeindeammann Robert Schmid gegenüber der NFZ fest. Erzählungen und Fotos von der Vergangenheit für die Nachwelt zu erhalten «gebührt grosse Anerkennung», so Schmid weiter. Sehr speziell findet er auch den Zeitpunkt der Herausgabe des Buches. «Im Moment sind beide Gemeinden miteinander in einem Fusionsprozess, aber geschichtlich werden wir bereits verbunden. Man könnte fast sagen, die Fusion steht schon in den Büchern.»

Ein Schweizer Produkt
Das Buch «Damals in Herznach und Ueken» ist in einer Auflage von 400 Stück erschienen. «Es ist ein Schweizer Produkt» hält Annie Deiss fest. Das war ihr auch wichtig. Layout und Druck erfolgten in Gipf-Oberfrick, gebunden wurde es im Baselland. Das Buch ist zum Selbstkostenpreis von 105 Franken erhältlich. Bei der Frage nach dem Zeitaufwand für die Interviews und weiteres lacht Annie Deiss. «Es ist effektiv Herzblut» verrät sie und weist gleichzeitig auf die Unterstützung durch die Familie, etwa beim Einscannen und Bearbeiten der Fotos hin. «Das Malen und Bergwandern rückte während dieser Zeit in den Hintergrund.»

Das Buch hätte eigentlich am gemeinsamen Neujahrsapéro von Herznach und Ueken präsentiert werden sollen. Da schon länger bekannt war, dass dieser nicht stattfinden könne, organisierte Annie Deiss bereits zweimal einen Verkauf im Freien. Dies auch deshalb, weil mittlerweile von den 102 interviewten Personen schon 12 verstorben sind. Ein weiteres Mal lädt die Buchautorin Interessierte am nächsten Dienstag zum Buchkauf. Und wie sehen die weiteren Pläne aus? «Das Malen habe ich vermisst. Hier möchte ich wieder Zeit investieren», sagt Annie Deiss. Und sie und ihr Mann hoffen, dass es bald wieder möglich ist, Fernwanderungen zu machen, beziehungsweise ohne Einschränkungen wegen des Virus\'. Vielleicht kommt auch schon bald eine Fortsetzung von «Damals in Herznach und Ueken». So manch Neues aus früheren Zeiten kam der Buchautorin die letzten Wochen «zu Ohren».

Buchverkauf «Damals in Herznach und Ueken» von Annie Deiss am Dienstag, 12. Januar, von 15 bis 19 Uhr, vor dem Café Cholm in Ueken. Ab sofort kann das Buch jederzeit auf der Gemeindekanzlei Herznach bezogen werden.

 


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