Leider keine Verschwörungstheorie

  23.05.2020 Leserbriefe

In diesen Tagen erhalten Verschwörungstheorien viel Aufwind. Gefährliche Akteure, vor allem aus rechtsextremen und religiös fundamentalistischen Kreisen instrumentalisieren die Angst vieler Menschen und bieten ihnen mit alternativen Wahrheiten eine scheinbare Sicherheit. Obwohl manche Theorien derart skurril sind, dass sie in weniger turbulenten Zeiten kaum ausgesprochen würden, ist es für unsere Demokratie auch begrüssenswert, wenn Menschen zunächst skeptisch reagieren und den Staat kritisch hinterfragen. So zum Beispiel in Bezug auf die politischen Entscheidungen im Zusammenhang mit den 60 Milliarden Franken Coronahilfe des Bundes. Wohin fliessen diese Gelder eigentlich? Die Regierung betont, dass niemand im Regen stehen gelassen werde und die liberalen Leitmedien von NZZ und Tagesanzeiger geben vor, dass die Milliarden an die breite Bevölkerung geflossen seien (Stichwort: «Seuchen-Sozialismus»).

Ein genauer Blick auf die Verteilung offenbart aber anderes: Es profitieren vor allem Banken, Immobilienfirmen und die Aktionäre. Beispiel Nr. 1: Die Kredite. Seit Jahren wird gewarnt, dass die Banken zu viele unsichere, spekulative Firmenkredite vergeben haben. Gemäss aktuellem Notrecht dürfen Firmen mit Zahlungsproblemen mit den Notkrediten auch alte, fällige Kredite bedienen. Die Banken wälzen das Risiko dieser Kredite dank der Bürgschaft des Bundes nun auf die Steuerzahler ab.

Beispiel Nr. 2: Dividenden und Ausschüttungen aus den Kapitalreserven. Die bürgerliche Mehrheit im Ständerat nimmt Unternehmen in Schutz, die trotz Kurzarbeitsentschädigung und Überbrückungskrediten weiterhin Dividenden auszahlen. Über Jahre hat sie die Firmen dabei unterstützt ihre Kapitalreserven steuerfrei abzubauen. Dieser Trick sollte ursprünglich 200 Mio. Franken kosten, bis heute wurden allerdings zirka 900 Milliarden (!) dieser Reserven ausgeschüttet und somit zirka 90 Milliarden Steuern vermieden. Diese Reserven fehlen nun schmerzlich.

Letztes Beispiel: Mieten und Hypothekarzinsen. Mit den Leistungen aus der EO und den Kurzarbeitsentschädigungen bezahlen Angestellte, Selbständige und die KMU in erster Linie ihre Miete und die Hypothekarzinsen. Auch hier hat das bürgerliche Parlament beim Antrag auf teilweisen (!) Mieterlass den Immobilienfirmen das Geschäft gerettet. Eine gängige Verteilungsstatistik lautet: Die reichsten 10 Prozent streichen rund ein Drittel aller Einkommen (Löhne, Mieten, Dividenden) ein. Von den 60 Milliarden Franken erhalten sie gut 20 Milliarden. Die ärmere Hälfte aller Einkommensbezüger erhält derweil einen Viertel. Während die Konzerne längst ihr Geld haben, erhalten die Menschen in der Pflege, der Betreuung oder dem Detailhandel etwas Applaus und die Gastrounternehmen und Ladenbesitzer müssen mit kleinen Entschädigungen ausharren und auf den Goodwill der Vermieter hoffen. Dass die bürgerlichen Parteien gegen den Staat sind, ist keine Verschwörungstheorie, sehr wohl aber ein Missverständnis.

Sie kämpfen für einen Staat, allerdings einen, der ihren Interessen nützt. Wer denkt, die Klein- und Mittelunternehmen gehören dazu, wird spätestens jetzt eines Besseren belehrt.

ROLF SCHMID, SP, FRICK


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