Mit dem Schnellzug ins Gemeindehaus

  19.05.2022 Politik, Wallbach

Der bemerkenswerte Weg von Marion Wegner-Hänggi, Wallbach

Die ersten einhundert Tage als Frau Gemeindeammann hat Marion Wegner-Hänggi hinter sich. Mehrere Jahre sollen noch hinzukommen.

Ronny Wittenwiler

Politik war ihr zwar nicht fremd, stammt sie doch aus einem Haus, das der CVP die Treue hielt. Und doch wusste Marion Wegner-Hänggi nicht so recht, 2017, als Wallbach den Gemeinderat neu bestellte. Ausgerechnet sie?

Aus dem Zögern ist Überzeugung geworden; aus einer Parteilosen die Präsidentin («Die Mitte Wallbach»); und aus einer Zugezogenen Frau Gemeindeammann. Marion Wegner-Hänggi, aufgewachsen in Rheinfelden, hat einen bemerkenswerten Weg hingelegt, Wallbach ist ihr längst Heimat und vor allem all das Engagement wert: «Ich möchte Rahmenbedingungen schaffen, dass sich Wallbach weiterentwickeln kann. Dass es ein Daheim ist für die Bevölkerung.» Und was darf man von ihr nicht erwarten? Nicht lange überlegt Wallbachs neue Frau Gemeindeammann, sie beweist mit ihrer Antwort allerdings, dass sie sich keinen lokalpolitischen Fantasien hingibt: «Man kann nicht erwarten, dass ich sämtliche Probleme zur Zufriedenheit aller Leute werde lösen können. Verschiedene Meinungen wird es immer geben. Mein Anspruch ist es aber, für das Allgemeinwohl zu sorgen.»

Eine perfektionistisch Veranlagte
Politik habe ihr den bekannten Ärmel hineingezogen, sollte Marion Wegner-Hänggi während des Gesprächs erklären. «Ich empfinde es als Privileg, mich mit so unterschiedlichen Menschen und Thematiken befassen zu dürfen.» Das tut sie bisweilen mit hohen Ansprüchen an sich selbst. «Ich bin perfektionistisch veranlagt, gehe den Dingen gerne auf den Grund.» Gerade auch deshalb räumt sie ein: «Ich habe mich gut eingelebt. Es war aber herausfordernd, das gebe ich offen zu. Das Amt als Gemeindeammann ist etwas anderes, da man den Überblick über alle Ressorts haben muss. Doch wie tief tauche ich in einzelne Geschäfte ein, um davon ein Verständnis zu bekommen, ohne Gefahr zu laufen, mich zu verzetteln? Diese Balance zu finden, ist eine Herausforderung.»

Plötzlich Gemeindeammann. Marion Wegner-Hänggi steht unten am Rhein, schaut aufs Wasser hinaus, ein Boot treibt gemächlich vorbei. Sie aber gelangte quasi mit dem Schnellzug ins Gemeindehaus. «Ich habe noch keine Sekunde bereut», sagt sie. Und lächelt.


Von Marrakesch in die Politik

Marion Wegner-Hänggi, 51, Frau Gemeindeammann aus Wallbach

Als sie für den Gemeinderat kandidierte, war es fast schon fünf vor zwölf. Eine Legislatur später ist Marion Wegner-Hänggi bereits Gemeindeammann. Wie kam das?

Ronny Wittenwiler

NFZ: Marion Wegner-Hänggi, wie hätten Sie’s gern: Frau Gemeindeammann oder Gemeindepräsidentin?
Marion Wegner-Hänggi:
Frau Gemeindeammann. Es klingt zwar etwas holprig und ist manchmal amüsant, welche Bezeichnungen daraus werden – bis hin zur Frau Ammannin. Für mich ist die Bezeichnung aber sekundär. Es gibt Wichtigeres.

Frau Gemeindeammann, warum sind Sie in Ihrer erst zweiten Legislatur schon bereit für dieses Amt?
Ich weiss nicht, ob man überhaupt je bereit ist. Meine Kandidatur erfolgte nach Absprache mit meinen bisherigen Ratskollegen. Sie sind in der dritten Legislatur, kommen langsam ins Pensionsalter. Im Hinblick auf Kontinuität waren wir der Ansicht, dass meine Kandidatur die sinnvollste Variante für Wallbach ist. Als die Frage an mich herangetragen wurde, habe ich aber nicht einfach gesagt: hurra.

Sie haben sich nicht um das Amt gerissen?
Gar nicht (lacht). Und ich habe mir sehr genau überlegt, ob ich dazu überhaupt fähig bin. Aber in Anbetracht der Konstellation habe auch ich sagen müssen: Wir versuchen das, ich ziehe mir diesen Schuh an.

Als Sie erstmals für den Gemeinderat kandidierten, Amtsperiode 2018/2021, taten Sie das erst im zweiten Wahlgang. Warum?
Ich war relativ neu in Wallbach, knapp zwei Jahre. Als ich erfuhr, dass es eine Vakanz gibt, überlegte ich mir kurz eine Kandidatur – fand dann aber, das passt nicht.

Was will jetzt diese Neue hier?
Ja. Ich dachte, es wäre vielleicht zu forsch.

Ihre Kandidatur schliesslich im zweiten Wahlgang verhinderte womöglich einen Gemeinderat mit vier SVP-Mitgliedern. Wäre das schlimm gewesen für Sie?

Schlimm nicht. Aber eine gewisse politische Ausgewogenheit halte ich für sinnvoll. Der Bürger soll eine Wahl haben. Das war dann mit ein Grund für meine Kandidatur im zweiten Wahlgang. So kam ich zur Politik wie die Jungfrau zum Kind.

Und dann erzählt Marion Wegner-Hänggi, wie schnell manchmal im Leben Weichen gestellt werden – in eine komplett andere Richtung.

Sommer 2017.
Mangels Kandidaten bleibt der fünfte Gemeinderatssitz unbesetzt. Ein paar Leute sehen Wegner-Hänggi 
als Kandidatin. «Sie erreichten mich aber nicht», sagt Wegner-Hänggi und lacht. Kein Wunder: Marrakesch, Marokko, statt Wallbach, Schweiz. Mehrere Wochen verbringt sie dort und wäre sie auch nur einen einzigen Tag länger geblieben: wir müssten diese Geschichte hier umschreiben. Zurück zur Gegenwart.

Quizfrage: Welche Fricktaler Gemeinde hat mehr Gemeinderätinnen als Wallbach?
Meines Wissens keine.

Meines Wissens auch nicht. Was sagt das über Wallbach aus?
Es ist ein Beweis für diese Offenheit, die ich in Wallbach spüre, querbeet durch die Bevölkerung; eine Offenheit, Neuem gegenüber zuerst einmal positiv zu begegnen.

Macht die Drei-Frauen-Mehrheit etwas mit dem Gemeinderat selbst?
Vielleicht ein wenig. Der Fokus von Frauen in gewissen Bereichen ist manchmal ein etwas anderer: Im Bereich Soziales, Jugend- und Alter, vielleicht auch in Fragen der Nachhaltigkeit und Umwelt. Ich möchte aber klar festhalten: Egal in welchem Kontext, für mich steht nicht das Geschlecht im Vordergrund, sondern die Person und die fachliche Kompetenz.

Zurück aus Marrakesch kommt sie erst in der Nacht auf jenen Freitag, an dem die Anmeldefrist für den zweiten Wahlgang um 12 Uhr ablaufen sollte. «Morgens um 9 Uhr standen die Leute vor der Tür und fragten mich, ob ich als Gemeinderätin kandidieren würde.» Anruf beim Gemeindeschreiber, was da auf sie zukommen würde. Eine ad hoc erstellte Liste mit persönlichen Argumenten dafür und dagegen. Dann stehen dieselben Leute wieder draussen, bekommen nun eine Antwort und eine halbe Stunde vor Ablauf der Frist wird ihre offizielle Kandidatur auf der Verwaltung deponiert. Marion Wegner-Hänggi sagt: «Ich ging in vollem Bewusstsein in diese Kampfwahl, dass ich null Chance haben werde.»

Sie untertreiben!
Die beiden anderen Kandidaten waren sehr etabliert und bekannt. Mich kannte kaum jemand. Ich wollte einfach ein Zeichen setzen. Als ich dann gewählt wurde, fiel ich wirklich aus allen Wolken, musste dreimal leer schlucken. Ich fand dann aber auch: Das Schicksal wollte es so. Also gib Gas. Rückblickend war meine Kandidatur als Gemeinderätin eine meiner besten Entscheidungen, die ich getroffen habe. Es hat mir im Bereich der Politik den Ärmel reingenommen.

Worauf können sich die Wallbacher verlassen bei Ihnen als frisch gewählte Frau Gemeindeammann?
Darauf, dass ich mit ganzem Herzen versuche, das Beste für dieses Dorf herbeizuführen. Ich kann nicht sagen, dass mir das immer gelingt. Es spielen verschiedene Faktoren mit, manchmal braucht es auch ein Quäntchen Glück.

Was konkret möchten Sie in den vier Jahren Ihrer Legislatur anpacken?
Die Gesamtrevision der Bau- und Zonenordnung, wo Themen wie Klima und Energie mitspielen. Natur- und Landschaftsschutz mit sinnvoller Gestaltung und ökologischer Aufwertung von Grünräumen. Der Hochwasserschutz mit der ökologischen Aufwertung des Rheinufers und der Sanierung der Rheinstrasse soll zudem planmässig abgeschlossen werden. Sehr am Herzen liegen mir auch die Bereiche Jugend und Alter. Da haben wir deutlich Luft nach oben. Wir müssen uns überlegen, wie wir für die Jugend und für ältere Personen optimale Rahmenbedingungen schaffen.

Wird mit starken Vereinen wie FC oder Pontoniere nicht bereits genügend getan für die Jugend?
Die Vereine in Wallbach sind eine unglaublich wertvolle Ressource, die fantastische Arbeit für Kinder und Jugendliche leisten. Es braucht aber zusätzlich einen Ort, um auch jene abholen zu können, die nicht in einem Verein sind.

Also ein Jugendraum?
Ein betreuter Jugendraum mit Angeboten und Personen, die zu den Jugendlichen ein Vertrauensverhältnis aufbauen können. Das ist wichtig. Da sehe ich uns als Gemeinde mit in der Verantwortung.

Wo sehen Sie Handlungsbedarf für die ältere Generation?
Wir haben zu wenig bedarfsgerechten Wohnraum für die ältere Bevölkerung. Die Nachfrage ist gross. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir solchen Raum möglichst zentral gestalten, damit die Menschen möglichst lange in Wallbach bleiben können. Wir sind heute in der guten Lage, dass wir einen Arzt haben, den Dorfladen, Physiotherapie, Coiffeur und so weiter. Wir müssen an den Erhalt dieser Infrastruktur denken.

Für das Erreichen solcher Ziele braucht es den Dialog mit Privaten?
Dialog, Vernetzung und Partizipation sind ganz wichtig. Wir müssen Bedürfnisse abholen und die entsprechenden Bevölkerungsgruppen einbeziehen.

Sowas macht man nicht von heute auf morgen. Wie lange wollen Sie im Amt bleiben?
Ich habe keinerlei Ambitionen, dieses Amt niederzulegen. Für mich macht ein Amt als Gemeindeammann nur Sinn, wenn man im Minimum zwei Legislaturen macht, eher drei. Unsere Themen werden nicht in einer Legislatur abgehandelt sein. Von daher darf man mit mir noch ein wenig rechnen – vorausgesetzt, die Gesundheit und andere Dinge machen mit.

Und die Wähler.
Selbstverständlich die Wähler.

Wer redet eigentlich mehr bei den Gemeinderatssitzungen: die zwei Männer oder die drei Frauen?
Das lässt sich nicht geschlechterspezifisch beantworten, sondern hängt von den Traktanden ab. Es ist definitiv nicht so, dass jetzt mehr geschwatzt würde in den Gemeinderatssitzungen – von wem auch immer. (lacht) 


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