Wie Rheinfelden zu seinem «Stadttheater» kam

  23.03.2024 Rheinfelden

Der Bahnhofsaal prägt das Erscheinungsbild von Rheinfelden. Seit 90 Jahren dient er der Stadt und Region als gesellschaftlicher und kultureller Treffpunkt und Begegnungsort. Seine interessante Geschichte unterstreicht seine Bedeutung.

Chris Leemann/Walter Herzog

Auf dem Areal des Hotels Bahnhof liess 1934 der Direktor der Brauerei Feldschlösschen – Adolf Roniger – einen mächtigen Theatersaal errichten. «Die Theatereinrichtung soll allen Ansprüchen genügen, womit die Theaterfrage für die Gemeinde erledigt sein soll.»

Das Baugesuch für den Saalbau wurde seinerzeit am 26. Dezember 1933 eingereicht. Die Prüfung durch Baukommission und Behörde dauerte über die Weihnachtstage, die Bau bewilligung durch den Stadtrat erfolgte am 6. Januar 1934. Unglaubliche 11 Tage für die Genehmigung eines Bauwerkes, das seit 90 Jahren praktisch unverändert Bestand hat.

Theatersaal und Festsaal
Nach den Intentionen von Adolf Roniger wurde die Planung des Theatersaals Hotel Bahnhof ausgeführt. Der Saalbau sollte neben dem Theaterbetrieb auch als Festsaal für gesellschaftliche Anlässe und als Repräsentationsraum für die Bedürfnisse der Brauerei nutzbar sein. Legendär ist die Affinität des Brauereidirektors zum Turnverein. Suchte ein junger Mann Arbeit in der Brauerei, dann stellte er sich im Restaurant Feldschlösschen Stadt am Samstagabend am Runden Tisch bei Adolf Roniger vor. Nach Anhören des Begehrens des Mannes fragt der Direktor: «...und, ist er im Turnverein?» Bejahte der Bewerber, dann kam die Aufforderung «... er melde sich am Montagmorgen 6 Uhr beim Braumeister.» Die legendären Turnerabende der 1950er sind nach dem Zweiten Weltkrieg das gesellschaftliche Highlight im Februar. Selbstverständlich traf sich die Turnerfamilie im Saalbau Hotel Bahnhof. Auf Anweisung des Bauherrn wurde auf der Bühne sogar eine Verankerung für die Reckstange fix montiert, zwecks Darbietungen der Kunstturner.

Schier unglaublich ist eine weitere Besonderheit. Die Bühne des Saales ist befahrbar mit Pferdefuhrwerken. Letztmals geschah dies in den 1980er Jahren. Fuhrmann Walter Spiechiger lenkte das mit Holzfässern beladene Fuhrwerk, angespannt mit zwei Pferden, unter Applaus der staunenden und begeisterten Zuschauer auf die Bühne, machte nach gelungener Präsentation kehrt und fuhr das Gefährt wieder hinaus!

Das «Kurtheater Rheinfelden» im Saalbau Hotel Bahnhof
Der Theatersaal wurde am 17. Mai 1935 eröffnet. Die Volksstimme aus dem Fricktal meldete: «Kurtheater. Freitagabend beginnt die 30. Spielzeit unserer beliebten Direktion Senges-Faust. Also eine Jubiläumsspielzeit, die uns viel Schönes und Wertvolles bringen wird…» Das neue Theater hat eine erhöhte Bühne, und einen Zuschauerbalkon. Die Bühne verfügt über einen Schnürboden. Die ursprüngliche Platzkapazität wurde mit 500–700 Plätze angegeben. Seit der Renovation 1984 sind es 680 Plätze.

Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges spielte die Truppe Senges-Faust als Kurtheater Rheinfelden im neuen Theatersaal im Hotel Bahnhof. Zusammenarbeiten mit dem Städtebundtheater Aarau-Chur und dem Städtebundtheater Biel-Solothurn folgten. Die Theaterkommission arbeitete zudem punktuell für die Schweizer Autorenabende zusammen mit dem Basler Theater. Der Saal wurde nach 1980 noch sporadisch mit Gastspielen von Grabowskys Scala Tournéetheater bis zu Sabine Rassers Märchentheaterbühne Fidibus und auch mal mit einem Auftritt des galaktischen Weltenerklärers Erich von Däniken bespielt. Seit 1974 findet im Zwei-Jahresturnus die Fricktaler Bühne mit Operettenaufführungen ihr Publikum. Die semiprofessionelle Operettenbühne nutzt die ganze Bandbreite der Operettenliteratur bis hin zu Musicals. Über 5000 Besucherinnen und Besucher aus dem ganzen Fricktal und der Region besuchen jeweils die Aufführungen. Nachdem eine Projektidee für die Realisierung eines Kleintheaters in der Autogarage unter der Saalterrasse in den 1980er Jahren nicht weiterverfolgt wurde, entstand im Keller Hotel Schützen ein mehrfach nutz barer Kulturraum. Die Kleintheater-Szene der Schweiz hat seither in diesem Schützenkeller ihr Stelldichein. Heute dient der Bahnhofsaal vermehrt auch als Konzertraum für klassische Musik und grosse Anlässe. Die Interpreten loben die akustische Qualität der Bühne und des Zuhörerraumes. Ausser Theater und Musik dienen die grossen Räume auch multifunktionaler Nutzung. Der Bahnhofsaal ist der Ort für gesellschaftliche Treffen, Musikveranstaltungen, für Gewerbeausstellungen, grosse Hochzeitsanlässe, im Covid-19-Pandemiejahr gar regionales Impfzentrum. Und: der Bahnhofsaal ist der Ort der lokalpolitischen Debatte, an den in der Regel zweimal jährlich stattfindenden Gemeindeversammlungen. Der Bahnhofsaal, wie er heute umgangssprachlich bezeichnet wird, ist eine bedeutende architektonische Landmarke für Rheinfelden von hoher städtebaulicher Qualität. Der Saalbau besteht heute noch in nahezu ursprünglicher Ausstattung. Der Saal und seine Nutzung ist kulturgeschichtliches und gesellschaftliches Zeugnis von Generationen und der lokalen Theatertradition.

Die Besitzer des Areals
Das Areal des Bahnhofsaals gehörte von 1922 bis 1997 der Brauerei Feldschlösschen AG. Im Jahre 1997 übernahm die Immobiliengesellschaft Rhein AG das gesamte Areal und sanierte Hotel und Restaurant. Eine Studie von 1988 des Architekturbüros Rudolf Vogel, die die Verschiebung des Saalbaus nach Osten vorsah, wurde nicht weiterbearbeitet. 2002 erfolgte eine erneute Handänderung durch Fusion der Gesellschaften, neue Besitzerin wurde die REG Real Estate AG Zürich, die seit 2005 unter dem neuen Namen PSP Properties AG Zürich firmiert. 2018 wurde das Areal verkauft und schliesslich kaufte die Fondsgesellschaft Realstone SA, Lausanne, die Liegenschaft mit zugehörigem Areal. Sie ist auch die heutige Besitzerin. Der Saalbau Hotel Bahnhof liegt leicht erhöht parallel zur Kaiserstrasse. Er prägt das Erscheinungsbild der oberen Bahnhofstrasse. Die Schauseite des Saalbaus wirkt als imposante Fassade über dem grosszügigen Terrassengeschoss aufgrund der grossen Fenster mit den tief gesetzten nordseitigen Fensternischen. Die Gestaltung des Hauptbaus übernimmt die Formensprache der Industriearchitektur der Brauerei. Die Materialisierung der Gebäudehülle hingegen änderte von Backstein zu edlerer Materialisierung, Natur- und Kunststein. Im Inneren dominieren währschafte Materialien. Holz, Linol, Terrakotta und kräftige Farben. Für die Wandmalereien im Entree und Saal zeichnet der Basler Künstler Burkhard Mangold.

Teil der neueren Geschichte von Rheinfelden
Der Bauherr hat vor nahezu einem Jahrhundert eine Nutzungsvorgabe gemacht, die noch heute für viele multifunktionale Bedürfnisse Bestand hat. Heute wird zusätzlich zu den bekannten und vielfach erprobten und genutzten Vorteilen die hervorragende Akustik gerühmt. Die grossen Räume hinter und unter der Bühne wirken als eingespielter Resonanzraum. Im Saalbau fällt der gute Erhaltungszustand auf. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Erbauer seinerzeit beständige Materialien genutzt und sich mit umwerfendem Bedacht auch vielen Details an der Fassade, der Bühne und den Räumen des Saalbaus gewidmet haben.

Der Saal ist und erzählt Geschichte von Rheinfelden. Er ist gleichzeitig Zeugnis der historischen Baukultur und der gelebten Kultur. Der Ort ist Teil des kollektiven Gedächtnisses und schafft Identität. Er hat die Kraft, auch zukünftig eine Zentrumsfunktion in Rheinfelden und der Region zu übernehmen.

Die Gemeinde Rheinfelden will, zusammen mit den verschiedenen Besitzern, das Bahnhofquartier die «Neue Mitte» neugestalten und in die Zukunft führen. Ein wichtiger Pfeiler dabei ist, den bedeutenden und zentral gelegenen Bahnhofsaal zu übernehmen und zu erneuern. Die Rheinfelder Bürgerinnen und Bürger werden dazu an der ausserordentlichen Gemeindeversammlung vom kommenden Dienstag erste Entscheide fällen.

Auszug aus dem Beitrag «Das Stadttheater Rheinfelden – im Saalbau Hotel Bahnhof», publiziert in den Rheinfelder Neujahrsblättern 2023 von Chris Leemann, Rheinfelden


Der Bauherr
Adolf Roniger (1880 bis 1961) war der Sohn von Theophil Roniger, der zusammen mit Mathias Wüthrich Gründer der Brauerei Feldschlösschen war. Er war verheiratet mit Charlotte Hürlimann, der Tochter des Besitzers der Brauerei Hürlimann in Zürich. Adolf Roniger war von 1913 bis 1961 Direktor der Unternehmung. Adolf Roniger war auch Präsident des Schweizerischen Bierbrauervereins.


Der Architekt – das Baubüro Feldschlösschen
Auf den Plänen für den Neubau des Saalbaues Hotel Bahnhof wird als Verfasser von Projekt und Ausführung das Baubüro Feldschlösschen angegeben. Der Kopf dieses Büros ist der Architekt Ernst Schelling-Hess. (1885 Basel bis 1955 Rheinfelden). Er absolvierte seine Schulen und Lehre als Maurer und Bauzeichner in Basel, sein Studium und Diplom am Technikum Burgdorf und arbeitete ab 1910 im Baubüro Feldschlösschen. Zudem war er von 1936 bis 1949 Stadtrat in Rheinfelden und Mitglied der Altstadtkommission.


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