Ein Gemeinschaftswerk, das verbindet

  29.12.2023 Kaiseraugst

Zwanzig Jahre Krippe im Kaiseraugster Kirchgemeindehaus

Im reformierten Kirchgemeindehaus Kaiseraugst steht in der Weihnachtszeit eine Krippe. Den Stall haben Männer aus Holz gesägt, die Tonfiguren haben Frauen geformt und gebrannt. Dieses Jahr feiert die Krippe ihr 20-jähriges Bestehen.

Andreas Fischer *

Die Figuren wurden von Mitgliedern des reformierten Frauenvereins getöpfert, unter Anleitung von Turi Schmid, der in der Rheinfelder Keramik arbeitete und im Keller einen eigenen Brennofen hatte. Die Frauen, viele von ihnen keine geübten Keramikerinnen, berichten vom anfänglichen hilflosen Starren auf den Tonklumpen, der da vor ihnen lag, und dem Staunen und dem Stolz ob der Figuren, die schliesslich aus dem Brennofen kamen. «Das Wichtigste», betont die damalige Kaiseraugster Pfarrerin Esther Borer, «ist dies: Die Krippe ist ein Gemeinschaftswerk. Es hat die Menschen, die daran arbeiteten, miteinander verbunden und ist von der Gemeinde sehr positiv aufgenommen worden.»

Ein Chalet als Stall
Der Stall, den eine Männergruppe aus der Kirchgemeinde gebaut hat, sieht aus wie ein Chalet irgendwo in den Schweizer Bergen. Ein bestimmtes Vorbild habe man aber nicht gehabt, erzählt Godi Felder, der frühere Sigrist, der beim Hausbau federführend mitgewirkt hat. Es sei viel Knowhow zusammengekommen, zum Beispiel von Röbi Meyer, dem Bündner Schreiner, der dieses Jahr im hohen Alter verstorben ist. Wer genau hinschaut, entdeckt Heugabeln, Sägissen, Rechen, eine Leiter, ein Vogelhäuschen, einen Dachkänel, usw.

Ganz am Schluss sorgte Wulli für die Beleuchtung. Füürle konnte man ja nicht im Stall, meint Urs Wullschleger, Chaiseraugschter Storchenvater und zünftiger Elektriker, mit trockenem Humor, da habe es dann doch einen wie ihn gebraucht. Das Kind in der Krippe hat Astrid Baumgartner gestaltet, im Dorf sonst eher bekannt als Unihockey-Trainerin. Sie beschreibt lustige handwerkliche Details: Die Decke auf der Krippe hat ihre Konturen von einem Jutesack erhalten, die Haare des Jesuskinds sind mittels Zahnbürstenborsten entstanden, das spaghettiähnliche Stroh ging durch eine Chnoblipresse. Weiter erzählt Astrid Baumgartner davon, wie ganz viel Mutterliebe in die Arbeit eingeflossen sei, und eigene Kindheitserinnerungen an einen pausbackigen Porzellanjesus, der lieblich und sanft ausgesehen und ihr als Inspiration gedient habe, auch wenn das eigene Jesuskind aus Ton dann nicht genau so herausgekommen sei, wie sie es wollte. Es schaue eher verschmitzt drein.

Auffallend sind die vielen Tiere rund um die Krippe. «Die ganze Schöpfung ist wichtig», sagt Esther Borer, «dazu gehören auch Tiere». Eleonora Stamm, Präsidentin des Frauenvereins, ist für das Kamel, das sie getöpfert hat, extra in den Zolli gegangen und hat Skizzen von Kamelen angefertigt. Sogar eine Schlange ist bei der Krippe. «Auch das Viech, das die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies bewirkt hat, ist nun also aufgenommen in diesem Haus Gottes», deutet Esther Borer diesen überraschenden Sachverhalt. «Die Weihnacht ist ein Neuanfang, eine Rückkehr zum Ursprung der Schöpfung, in dem alle Wesen in Frieden zusammenleben.»

«Es chunnt scho guet»
Ursula Zuppinger, Katechetin der Kirchgemeinde, hat einen der Hirten getöpfert. Jedes Jahr, sagt sie, gehe sie zum Hirten: «Er strahlt für mich Ruhe, Frieden, Dankbarkeit und Zuversicht aus. Er hält das kleine Lamm beschützend in seinen Händen, nicht zu fest, sondern liebevoll. So fühlt sich das Lamm wohl. Genauso fühlt sich der Hirt selber geborgen in Gott, ‹es chunnt scho guet›. Er ist genauso auf Schutz angewiesen wie das kleine Lamm. Er hat schon viele Erfahrungen gemacht – und daraus gelernt, dankbar zu sein, warten zu können, Vertrauen zu haben.»

Maria habe niemand machen wollen, erzählt Trix John, Chaiseraugschter Urgestein, Mitglied der Fasnachtsclique «Waldhäxe» sowie des Organisationskomitees der Vorfasnachtsveranstaltung «Fotzelschnitte». Schliesslich habe sie sich ihrer erbarmt. Es habe Geduld und Geschick gebraucht, vor allem der Faltenwurf. Der Mund hingegen, findet Trix John, sei etwas schief geraten. Vermutlich spüre Maria halt noch die Schmerzen der Geburt. Vielleicht, so vermutet Esther Borer, sei Maria auch schon geplagt von Vorahnungen, was mit diesem Kind alles auf sie zukommen werde: «Die christliche Tradition spricht von der Mater dolorosa, der Schmerzensmutter; das vielfach vertonte Gedicht Stabat Mater schildert die sieben Schmerzen Marias.»

Der abwesende Josef
Josef kommt in der Weihnachtsgeschichte des Lukas-Evangeliums nur ganz kurz am Anfang vor. Trotzdem hat auch er Aufnahme gefunden in der Krippe. Glücklicherweise, muss man sagen. Die Frau, die den Josef in der Krippe gestaltet hat, erzählt, dass der Vater Jesu sie an ihren eigenen Vater erinnert. Das habe sie indessen erst festgestellt, als er aus dem Brennofen kam. Es sei eine unbewusste, aber intensive Beschäftigung mit ihrem Vater gewesen; auch er war abwesend, emotional abwesend. Als erwachsene Frau hätte sie gern einmal mit ihm über sein Leben gesprochen, seine Kindheit als Verdingkind. Doch dazu sei es nicht mehr gekommen; der Vater starb schon mit 60 Jahren. Die Gestaltung des Josefs für die Kaiseraugster Krippe sei für sie wie ein inneres Gespräch gewesen, ein Versöhnungsprozess mit ihrem Vater, der auch einen Schnauz hatte und oft einen Hut trug, wie Josef in der Krippe.

Die Erzählungen der Männer und Frauen machen deutlich, dass die Krippe vielfältige und ganz persönliche Bezüge zur Weihnacht ermöglicht. «Jede und jeder von uns», sagt Esther Borer, «steht an der Krippe mit ihren, beziehungsweise seinen ureigenen Themen, Sorgen, Fragen, Freuden.»

* Andreas Fischer ist reformierter Pfarrer in Kaiseraugst.


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