Die Schwierigkeiten von stillenden Lehrerinnen

  31.08.2023 Brennpunkt, Aargau

Wenn eine Lehrerin nach dem Mutterschaftsurlaub wieder in den Beruf einsteigt, dann hat sie, wie andere Arbeitnehmerinnen auch, Anrecht auf bezahlte Stillzeit. Theoretisch. In der Praxis gestaltet sich die Umsetzung schwierig.

Valentin Zumsteg

Damit hat Dorothee Meng nicht gerechnet: Die engagierte Rheinfelder Bezirksschullehrerin hat im Dezember 2022 ihr erstes Kind bekommen. Nach dem Mutterschaftsurlaub und einigen unbezahlten Monaten ist sie im August 2023 wieder in den Beruf eingestiegen. «Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestaltet sich, insbesondere aufgrund der Rahmenbedingungen, die der Kanton für Lehrpersonen bietet, sehr anspruchsvoll», sagt die junge Mutter, die ein Unterrichtspensum von 61 Prozent übernommen hat.

«Fixe Stellvertretung fällt ausser Betracht»
Das Hauptproblem von Dorothee Meng ist die Kombination von Arbeiten und Stillen. Stillende Mütter haben in der Schweiz gemäss Arbeitsgesetz Anrecht auf bezahlte Stillzeit bis zum ersten Geburtstag des Kindes: Bei einer täglichen Arbeitszeit von bis zu vier Stunden sind es mindestens 30 Minuten, bei mehr als vier Stunden mindestens 60 Minuten und bei mehr als sieben Stunden mindestens 90 Minuten. Lehr per sonen sind dem Arbeitsgesetz allerdings nicht unterstellt. Da die aargauische Gesetzgebung für Lehrerinnen keine besonderen Regelungen vorsieht, kommen hier aber ebenfalls die Bundesgesetze und Verordnungen zur Anwendung, wie das Aargauer Departement Bildung, Kultur und Sport (BKS) Meng mitgeteilt hat. Die Lehrerinnen haben also den gleichen Anspruch wie andere Arbeitnehmerinnen auch. Doch wie kann das konkret umgesetzt werden? «Wir empfehlen, dass die Stillzeiten in Absprache zwischen den Lehrpersonen und der Schulleitung festgelegt werden», hat das BKS auf eine entsprechende Anfrage von Meng geantwortet. «Dafür extra eine fixe und besoldete Stellvertretung einzurichten, fällt aus Gründen der Verhältnismässigkeit ausser Betracht», heisst es aus Aarau weiter.

«Das ist zermürbend»
Diese Antwort ist für Meng unbefriedigend: «Die aktuelle Umsetzung sieht zwar theoretisch bezahlte Stillzeit vor; findet bezahlte Stellvertretungen in diesem Kontext aber überf lüssig, was praktisch dann eben doch keine bezahlte Stillzeit bedeutet.» Meng ärgert sich, dass die Rahmenbedingungen nicht besser sind. Besonders in der heutigen Situation, in der Lehrpersonen gesucht sind und Schulleitungen darauf drängen, dass Lehrerinnen nach einer Geburt möglichst bald wieder einsteigen. «Alle sind dankbar, wenn Lehrpersonen motiviert sind und im Job bleiben. Daher finde ich es zermürbend, wenn wir auf solche Hürden stossen.» Sie betont aber, dass der Fehler nicht bei der Schulleitung liege, sondern bei der fehlenden kantonalen Regelung.

Dorothee Meng wünscht sich, dass die Politik hier aktiv wird. Es scheint ihr unzeitgemäss, wenn Lehrerinnen abstillen müssen, um wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen zu können – gerade, weil das Gesetz ja eigentlich eine Lösung vorsieht. Sie hat bereits mit verschiedenen Grossrätinnen Kontakt aufgenommen. «Es geht mir nicht um mich persönlich, sondern um das grundsätzliche Problem, das gelöst werden sollte.» Sie selbst pumpt die Milch nach Möglichkeit in der grossen Pause ab – aber das funktioniert natürlich nicht immer auf Knopfdruck. Bei Bedarf springt manchmal eine Arbeitskollegin oder ein Arbeitskollege ein und übernimmt für kurze Zeit die Aufsicht in der Klasse.

Für Dorothee Meng ist klar: Es braucht im Aargau eine Regelung, welche die bezahlte Stillzeit für Lehrerinnen tatsächlich umsetzt.


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