Der Beginn des Italien-Feldzuges

  21.07.2023 Fricktal

Projekt «kriegsnachrichten.ch»: der zweite Weltkrieg Juli bis September 1943

Thomas Bitterli

In der Ausland-Rundschau vom 7. Juli 1943 (Frickthaler 77) versucht die Redaktion die sich anbahnenden Ereignisse einzuordnen. Nach dem Zusammenbruch des deutsch-italienischen Brückenkopfes in Tunesien werde seit Wochen auf beiden Seiten über die Invasion der Alliierten nach Europa spekuliert. Noch etwas verklausuliert äusserte sich Churchill anfangs Juli, dass bis im Herbst mit einer grösseren Aktion zu rechnen sei. «Wir die Vereinten Nationen, haben nur eines von den Nazis, den Faschisten … zu verlangen: bedingungslose Kapitulation.» Der Redaktor schätzte die Lage richtig ein, dass weder Hitler noch Mussolini je darauf eingehen werden. Mussolini selbst erwähnt in einer Rede Anfangs Juli, dass sich Italien nie ergeben werde. «Die Invasion … werde kommen … Die Italiener müssten aber den Feind an der Küste packen …»

Am 12.7.1943 berichtet der Frickthaler (Nr. 79) ausführlich über die ersten Landemanöver auf Sizilien, die seit dem 10.7.1943 laufen. Auch in den folgenden Ausgaben wird ausführlich über die Kämpfe berichtet. Dabei ist bemerkenswert, dass die Informationen dazu sowohl von Alliierter Seite als auch aus den Deutschen und italienischen Heeresberichten zitiert werden.

Italien war nach dem Debakel in Tunesien vom Mai 1943 zu einem unsicheren Verbündeten für Deutschland geworden. In weiten Teilen der Bevölkerung, aber auch in höheren Kreisen des Militärs und der Politik bildete sich eine Oppositionshaltung gegen eine Fortsetzung des Krieges an der Seite Deutschlands heraus. Diese Kriegsmüdigkeit nutzte die alliierte Propaganda aus. Nachdem grosse Teile Siziliens von den Alliierten besetzt sind, wird über den Sender Algier am 18.7.1943 eine Botschaft von Churchill und Roosevelt an das italienische Volk verbreitet. Der ausführliche Text ist im Frickthaler (Nr. 82) zu lesen und endet mit dem Aufruf: «Der Augenblick ist gekommen, um zu entscheiden, ob die Italiener für Mussolini und für Hitler sterben, oder für Italien und für die Zivilisation leben wollen».

Mitten in die täglichen Kampfberichte platzt am 26.7.1943 (Fth 85) die Nachricht vom Rücktritt von Mussolini. Nachdem am 19.7.1943 Hitler und Mussolini in Mailand noch «vollkommene Übereinstimmung» ihrer Ziele erklärten (Fth 84), wirkt dieser Rücktritt sehr überraschend, wenn nicht verwirrend, und hat zu zahlreichen Spekulationen geführt, die im Kommentar vom 26. Juli zusammen getragen wurden. In der Ausgabe 86 (Fth 86, 28.7.43) wird in einem ganzseitigen Kommentar «Italien nach Mussolinis Abschied» über die Hintergründe spekuliert. Unter anderem soll sich Italien vom Kriegspartner Deutschland trennen, um in separaten Verhandlungen mit den Alliierten einer «bedingungslosen Kapitulation» zu entrinnen. Auch wird die Hoffnung geäussert, dass sich durch diese politische Veränderung der Krieg «abkürzen» lässt. Über die Vorgänge im Detail berichtet der Frickthaler allerdings erst am 10.9.1943 (Fth 105).

Auf der 2. Seite dieser Ausgabe (Fth 86) wird die «Erklärung Churchills über die Vorgänge in Italien» wiedergegeben. Darin wird deutlich, dass die Alliierten weiterhin an der bedingungslosen Kapitulation festhalten und «wir werden auf diese Weise versuchen, die Italiener die äusserste Gewalt des Krieges fühlen zu lassen.» In der Ausland-Rundschau vom 30.7.1943 wird hingegen argumentiert, «Roosevelt und Churchill haben den Italienern eine ehrenvolle Kapitulation versprochen, … wenn das fascistische Regime beseitigt werde.» (Fth 87). Noch deutlicher wird General Eisenhower in seiner Botschaft an das italienische Volk (Fth 87, Seite 2): «Ihr könnt diesen Frieden sofort haben zu den ehrenvollen Bedingungen … wir kommen als Befreier zu euch. Eure Aufgabe ist es nun, jede Hilfestellung an die deutsche Streitkräfte, die sich noch in eurem Lande befinden, sofort einzustellen». Allerdings war beiden Seiten klar, so einfach wird das nicht gehen. Denn zum einen hatte sich der grosse Waffenbruder mit Truppen im Lande festgekrallt, zum anderen waren die italienischen Truppen in Teilen von Frankreich und in Griechenland für die Deutsche Besetzung zuständig.

Am 18.8.1943 (Fth 95) teilt die Deutsche Heeresleitung mit, dass Sizilien vollständig geräumt worden sei und sich die deutsch-italienischen Streitkräfte nun in Kalabrien auf die Abwehr vorbereiten. Ab dem 3.9.1943 (Fth 102) gelingt allerdings den Alliierten den Sprung auf das italienische Festland. Es folgen ausführliche Berichte wie «Die Alliierten in Kalabrien» (Fth 103, 6.9.1943) oder «Südkalabrien fest in alliierter Hand» (Fth 104, 8.9.1943).

Am 10.9.1943 (Fth 105) folgt der ganz grosse Titel «Bedingungslose Kapitulation Italiens». Die Bedingungen werden in Fth 106 13.9.1943 detailliert vorgestellt. Im ausführlichen Kommentar dazu auf Seite 2 dieser Ausgabe wird auch die Sprache der Redaktion deutlicher: «Keine Unterhaltung pflegt offener, herzhafter, zuweilen sogar handgreiflicher zu sein, als eine solche zwischen verkrachten Freunden. Im konkreten Fall besteht diese Unterhaltung allerdings aus einem deutschen Monolog … das Vokabularium dieser politischen Rasse an herzlichen aber rauhen Ausdrücken … ist nicht gerade arm». Und so «haben Italien und dessen heutige Führung eine Flut von Beschimpfungen über sich ergehen zu lassen … Sogar am Fiasko von Stalingrad … sollen jetzt die armen Italiener schuld sein. Nun, Italien ist nachgerade Kummer gewöhnt, es wird auch diesen überstehen».

Bemerkenswerterweise wird die Befreiung von Mussolini vom 12.9.1943 in der Ausgabe 106 vom 13.9.1943 nur unter den Kurznachrichten auf Seite 3 erwähnt. In der Ausgabe 107 vom 15.9.1943 folgt ein Kommentar zu diesem Ereignis. «Wo Mussolini herausgeholt wurde, sagt auch ein deutscher Bericht nicht … In der deutschen Presse herrscht ein Jubel, dessen herzhafte Akzente an die bekannte Szene in Schillers ‹Räuber› erinnert.»

Unter dem Titel Mussolini wieder in Aktion (17.9.1943, Fth 108) versucht der Kommentator das Errichten der faschistischen Gegenregierung in Italien einzuordnen. «Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Duce zunächst dank der deutschen Waffenhilfe von den drei in Italien jetzt regierenden Gewalten, König-Badoglio, alliierte Invasionsarmeen und deutsch-fascistischen Besetzung wohl über die grösste tatsächliche Macht verfügt …» Aber «man wird sich fragen können, ob der befreite Mussolini heute … nicht eher der Handlungsbevollmächtigte des Reiches als Führer des italienischen Volkes ist … zumal wenn Deutschland sich darauf beschränkt, Italien nur als Kriegsschauplatz zu benützen, um den Krieg von den eigenen Grenzen und Gebieten fernzuhalten … Deshalb wäre es wohl falsch, sich von der neuen zweiten Machtergreifung Mussolinis für die Achsenpolitik und die Kriegsführung zuviel zu versprechen.»

Am 24.9.1943 legte Marschall Badoglio die offizielle italienische Sicht dar (Fth 111): Mussolini hat Italien in den Krieg hineingezogen, den kein Italiener wollte. «Deutschland hat uns stets als minderwertige Rasse betrachtet … Das italienische Volk wird die Verzettelung seiner Streitkräfte nicht vergessen, die einzig dazu dem Zweck erfolgte, für die Deutschen in Frankreich, Korsika, Griechenland und Kreta, und sogar an der russischen Front zu kämpfen.»

Zum Waffenstillstand bemerkte er: «Die Bedingungen sind hart, aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir besiegt worden sind.» In acht Punkten legte Badoglio die Regierungsziele fest. Unter anderem will das italienische Volk nichts mit dem Faschismus zu haben (Punkt 2), und das Verhalten des Deutschen nach dem Waffenstillstand macht eine Aktion des italienischen Volkes unvermeidlich (Punkt 5) – wenig später erfolgt der öffentliche Aufruf zum Widerstand und Partisanenkrieg.

In einem Kommentar zur Kriegslage (Fth 107, 15.9.1943) wird festgestellt, dass die bedingungslose Kapitulation Italiens ein Ereignis sei, das in seiner vollen Bedeutung noch nicht erkannt werden kann. «Fest steht aber, dass Italien vorderhand als Kriegsschauplatz noch nicht ausscheidet … es ist vielmehr damit zu rechnen, dass sich … noch wochen-, ja vielleicht noch monatelang Kämpfe abspielen, die das italienische Volk vor härteste Prüfungen stellen». Wie recht die Vermutungen sind, zeigten die Ereignisse der nächsten zwei Jahre, in denen die Deutschen Besatzer in Italien zum einem gegen die Alliierten kämpften, zum anderen durch italienische Partisanen immer wieder in Bedrängnis kamen. Beruhigt hatte sich die Lage erst am 2. Mai 1945 mit der Kapitulation der deutschen Truppen in Norditalien.


Nachrichten aus einer kriegerischen Zeit

Das Fricktaler Projekt «Kriegsnachrichten» macht die Originalausgaben der «Volksstimme aus dem Frickthal», der «Neuen Rheinfelder Zeitung» und des «Frickthalers» aus den Jahren 1939 bis 1945 im Internet für jedermann zugänglich. Zudem erscheint viermal jährlich ein Essay, basierend auf der Berichterstattung des jeweiligen Quartals, in welchem der Autor das Kriegsgeschehen thematisiert und unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet. Als dieses Projekt vor 8 Jahren gestartet wurde, ging es um einen Rückblick auf schlimme, längst vergangene Zeiten des Ersten und Zweiten Weltkrieges und die Wahrnehmung in der lokalen Öffentlichkeit. Nie hätten es die Initianten des Projektes für möglich gehalten, dass wir heute in Europa wieder einen Krieg erleben müssen. Thomas Bitterli, Autor des hier publizierten Beitrags, ist Historiker und Archäologe und arbeitet in der historischen Siedlungsforschung. (nfz)

www.kriegsnachrichten.ch


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