«Es gibt leider Fälle, bei denen wir nicht helfen können»

  22.12.2022 Brennpunkt, Rheinfelden, Gesundheit

Der Rheinfelder Chirurg Tibor Horvath ist soeben aus Gambia zurückgekehrt, wo er in der ASB Health Clinic in Serrekunda mit einem Schweizer Kollegen und einem Team von Operations-Schwestern und Ärzten rund 60 Operationen durchgeführt hat. Es war eine intensive Zeit mit Erfolgserlebnissen und traurigen Momenten.

Valentin Zumsteg

NFZ: Herr Horvath, Sie waren während drei Wochen ehrenamtlich in Gambia im Einsatz. Was war das eindrücklichste Erlebnis für Sie?
Tibor Horvath:
Es war mein dritter Einsatz in dieser Klinik. Ich durfte erfreut feststellen, dass sich bereits eine gewisse Routine einstellt – und zwar im positiven Sinn. Wir wissen, was wir machen können und was dort nicht möglich ist. Knocheninfekte sind in Gambia ein grosses Problem, das kennt man in der Schweiz kaum. Wir haben mittlerweile eine gewisse Erfahrung darin. Es hat diesmal eigentlich alles geklappt, das Material war rechtzeitig vor Ort. Es gab aber die üblichen Probleme wie zum Beispiel Stromausfälle – teilweise auch während der Operationen. Meistens dauerten sie aber nur kurz, da es ein Notstromaggregat gibt.

Ihre Aktion ist in Gambia im Radio und Fernsehen angekündigt worden. Wie viele Leute haben sich gemeldet?
Rund 300 Leute haben sich nach dem Aufruf gemeldet. Die Mitarbeiter der Klinik haben anschliessend eine Vorauswahl getroffen, so dass wir nach unserer Ankunft zügig loslegen konnten. Was mir immer wieder auffällt: Die Leute sind extrem geduldig. Wenn es nötig ist, warten sie klaglos mehrere Stunden, bis sie an der Reihe sind. In der Schweiz wird nach zehn Minuten schon reklamiert. In diesem Sinn könnten wir von ihnen etwas lernen.

Mit welchen Schicksalen wurden Sie konfrontiert?
Wir sehen leider immer wieder Patientinnen und Patienten, bei denen wir nichts machen können. Entweder, weil die medizinischen Möglichkeiten nicht ausreichen oder weil wir zu kurz dort sind und es mehrere Operationen bräuchte, was nicht möglich ist. Ein Beispiel: Ein sechsjähriges Mädchen kam mit seiner Mutter und grossen Hoffnungen zu uns. Das Kind leidet an einem Knocheninfekt. Sein Schienbein ist mehr oder weniger weg, der Unterschenkel dadurch völlig krumm gewachsen und nicht belastbar. Wir mussten sie leider nach Hause schicken, da wir in diesem Fall nichts machen konnten, ausser eine Amputation vorschlagen. Das wollten sie nicht. In Europa wäre eine Operation möglich. Dabei würde man das Wadenbein an die Stelle des Schienbeins verpflanzen. Das ist aber höchst komplex und wird bei uns durch spezialisierte Teams durchgeführt.

Wenn Sie eine solch traurige Diagnose mitteilen müssen, wie gehen Sie damit um?
So etwas geht mir nah, das ist nicht einfach, vor allem wenn es Kinder betrifft. Das Mädchen und seine Mutter haben geweint. Es war ein trauriger Moment. Das Kind tut mir sehr leid.

In der Schweiz wäre eine Operation möglich, in Gambia nicht. Was sagen Sie zu einer solchen Ungerechtigkeit?
Wenn man an einem solchen Ort arbeitet, wird einem bewusst, dass es einfach eine Glückssache ist, wo man geboren wird. Es ist ein reines Glück, wenn man in der Schweiz leben kann. Dieses Mädchen hat dieses Glück nicht. Mit unserem kleinen Einsatz können wir an dieser Ungerechtigkeit leider nichts ändern.

Sie konnten aber auch vielen Menschen mit einem Eingriff helfen. Was ist Ihnen da besonders in Erinnerung?
Ein 18-jähriger Mann kam zu uns, der ebenfalls an einem Knocheninfekt litt. Seit sieben Jahren eitert sein Bein, irgendwann wäre er wahrscheinlich daran gestorben. Eine Operation im Universitätsspital in der Hauptstadt von Gambia können sich seine Eltern nicht leisten, deswegen schickten sie ihn zu uns. Ihm konnten wir helfen: Wir haben die infizierten und toten Teile des Wadenbeins weggeschnitten und alles gereinigt. Er hat gute Karten, dass alles verheilt und er das Bein wieder uneingeschränkt belasten kann.

War dies Ihr letzter Einsatz in Gambia?
Nein, sicher nicht. Ich liebe Afrika. Gambia ist ein wunderschönes Land mit fröhlichen Menschen. Ich vergesse die unschönen Seiten schnell und behalte nur das Positive in Erinnerung. Die Zeit dort ist jeweils intensiv und arbeitsreich. Wir sind bereits am Planen für einen Einsatz im November 2023.

Zum Schluss: Wenn Sie einen Wunsch für das neue Jahr frei hätten, wie würde dieser lauten?
Ich würde mir wünschen, mal einen längeren Einsatz in Gambia leisten zu können. Dann könnten wir dort etwas Tolles aufbauen und viel mehr Menschen helfen und ihr Leben verbessern.

www.drive-to-help.de


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