«Das Kraftwerk war mein Zugang zu Rheinfelden»

  07.01.2023 Persönlich, Rheinfelden, Unteres Fricktal

 

Boris Burkhardt

Germanist, Lehrer, Kommunalpolitiker, Musiker, Sänger, Historiker – Wolfgang Bocks (77) war in seinem Leben vieles. Am besten kennt man ihn heute im badischen wie im Schweizer Rheinfelden in seiner letzteren Eigenschaft, als Historiker, der den Arbeitskreis Geschichte des Vereins Salmegg leitet, die «Rheinfelder Geschichtsblätter» initiierte und im diesjährigen Jubiläumsjahr der Stadt die Chronik herausbrachte. In erster Linie fühlt sich der gebürtige Mönchengladbacher noch immer als Rheinländer (und Fan von Borussia Mönchengladbach): «Aber gleich an zweiter Stelle bin ich Rheinfelder», sagt er.

Erinnerungen an die Zerstörung
Das Interesse für Geschichte kann Bocks schon auf seine früheste Kindheit zurückführen: Er wurde im April 1945 geboren, also gerade noch im Zweiten Weltkrieg. Er hat noch Erinnerungen an die zerstörte Stadt: «Die Trümmer waren für uns Kinder schöne Spielplätze», sagt er ohne Ironie: «Das hat mich sehr geprägt.» Beim Studium ab 1964 in Bonn spezialisierte sich Bocks auf Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Dieses Studium legte den Grundstein für sein fast lebenslanges Forschungsthema, die Kraftwerke in Rheinfelden, deren Stromproduktion und die Menschen wie Walther und Emil Rathenau, die dahinterstehen – Menschen, die im lokalen Zusammengang vor Bocks’ Publikationen auch in Badisch Rheinfelden kaum bekannt waren.

Doch schon im Studium schaffte er sich mit Philosophie, Musik und Deutsch als weiteren Fächern (ab 1966 in Freiburg) die grosse Bandbreite an Interessen, die sein Wirken in Rheinfelden prägen sollten. Ab 1988 engagiert sich Bocks 30 Jahre gemeinsam mit seiner zweiten Frau Heide Bocks-Kern im Vorstand der Musikschule, die in Rheinfelden im Gegensatz zu anderen Städten nicht kommunal, sondern von einem Verein finanziert und geleitet wird. 30 Jahre lang trat er als Solosänger an Liederabenden auf; 20 Jahre lang ging er in der Gächinger Cantorey auf Welttournee. Daneben gründete er noch das Abendgymnasium in Rheinfelden mit.

Von der Uni in die Schule
1973 verlor Bocks wegen der Ölkrise seine Anstellung als Assistent für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Uni Freiburg und wechselte in den Schuldienst: Während seine damalige Frau 1975 ans Gymnasium in Lörrach versetzt wurde, bewarb er sich erfolgreich bei der Gewerbeschule in Rheinfelden und unterrichtete die Fächer Geschichte, Deutsch, Ethik und Management. Seine Doktorarbeit schrieb er über einen Zeitraum von fünf Jahren noch im Schuldienst über die «Badische Fabrikinspektion 1870–1914»: «eine interdisziplinäre Pilotstudie, die noch heute zitiert wird», wie er sagt.

«Das Kraftwerk war mein Zugang zu Rheinfelden», betont Bocks. Er führte erste Interviews mit den Verantwortlichen der damaligen KWR; 1994 wurde er gebeten, die Festschrift zum 100-Jahr-Jubiläum des Unternehmens zu schreiben. Später sollte sich Bocks gemeinsam mit Peter Scholer in der IG Pro Steg für den gescheiterten Steg als Ersatz für den alten Kraftwerkssteg einsetzen. Die Geschichte war für ihn eine grosse Enttäuschung: «Ich bin fest davon ausgegangen, dass der Steg gebaut wird.» Bocks vermutet, dass bei der letzten Abstimmung im Schweizer Rheinfelden weniger sachliche Gründe ausschlaggebend gewesen seien.

1988 gründete Bocks den Salmegg-Verein mit; 1996 übernahm er den Vorsitz dessen Arbeitskreises Geschichte vom Schulleiter der Schillerschule, Bernd Wiedenbauer. «Typisch Historiker», sagt Bocks: «Wenn er irgendwohin zieht, will er sofort wissen, was das für ein Ort ist.» 1990 organisierte Bocks für den Salmegg-Verein zusammen mit dem Hebelpreisträger Manfred Bosch die erste Ausstellung über die Brücken in Rheinfelden.

Rheinfelder Geschichtsblätter
«Wir waren sehr kühn und schrieben auf das Begleitbüchlein zur Ausstellung ‹Band 1›», erinnert sich Bocks. So waren die «Rheinfelder Geschichtsblätter» geboren, die sich immer einem zentralen Thema widmen, etwas, das die «Neujahrsblätter» im Schweizer Rheinfelden von den badischen Kollegen übernahmen, wie Bocks sagt. Gleich der zweite Band griff mit den Fremdarbeitern in Rheinfelden während des Zweiten Weltkriegs ein Thema auf, «mit dem wir relativ früh dran waren».

Bocks veröffentlichte weiterhin Aufsätze zum Thema Elektrotechnik und verfasste Biographien von Menschen, die sich damit beschäftigten. Zum 100-Jahr-Jubiläum der Elektrizitätskraftwerke in der Schweiz schrieb er einen Beitrag über die Kraftwerke am Hochrhein und hielt einen Vortrag über die Nachkriegsgeschichte. «Ich spürte, dass der Zweite Weltkrieg einen Riss durch beide Rheinfelden gezogen hatte», sagt Bocks: «Den lockeren Umgang miteinander gibt es erst wieder seit etwa 30 Jahren.»

Kontakt mit Bergier-Kommission
Bei einer Fernsehdiskussion zum Thema «Die Schweiz im Zweiten Weltkrieg» sprach Bocks als einziger deutscher Historiker über die Beschäftigung von Kriegsgefangenen der Deutschen in Schweizer Betrieben. Er sei deshalb auch von der Bergier-Kommission angesprochen worden, weil es in der Schweiz keine Unterlagen dazu gegeben habe. Zwei Schweizer Filmemacher hätten mit ihm einen Dokumentarfilm gedreht. Bei der Premiere habe er gemerkt, wie überrascht die jungen Schweizer gewesen seien, wie stark die Schweiz im Krieg profitiert habe: «Sie waren bis dahin in dem Glauben aufgewachsen, die Schweiz habe sich nur gegen das böse Deutschland verteidigt.»

Seine anderen Hobbys und Leidenschaften hat Bocks nach und nach bis auf das Klavierspielen aufgegeben. Als Historiker will er nun noch den Band über die aktuelle Ausstellung im Rathaus herausbringen und eine Ergänzung zum Jubiläumsband: «Danach ist dann erstmal Schluss.»


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