Weniger Interesse an aktuellen Informationen

  29.10.2022 Brennpunkt, Kultur

Medienforschung sieht negative Folgen für die Demokratie

Informationsmedien erreichen immer weniger Menschen. Junge Erwachsene konsumieren auf ihrem Smartphone nur gerade sieben Minuten News pro Tag.

Walter Herzog

SCHWEIZ. Diese Entwicklung ist für eine Demokratie problematisch, denn mit News unterversorgte Menschen interessieren sich weniger für Politik, nehmen weniger am politischen Prozess teil und vertrauen den politischen Institutionen weniger. Das zeigt das in diesen Tagen veröffentlichte Jahrbuch Qualität der Medien 2022 des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft fög der Universität Zürich. Der Informationsjournalismus verliert an gesellschaftlicher Reichweite. Die Gruppe der «News-Deprivierten», für die ein unterdurchschnittlicher News-Konsum typisch ist, wächst seit einigen Jahren kontinuierlich. Sie liegt 2022 mit einem Anteil von 38 Prozent in der Schweizer Bevölkerung auf einem neuen Höchststand und ist besonders bei jungen Erwachsenen stark vertreten.

Nur Sieben Minuten News pro Tag
Das Smartphone ist für junge Erwachsene eine wichtige Quelle für verschiedene Arten von Informationen. Doch darüber, wie häufig sie ihr Mobiltelefon zu Newszwecken nutzen, war bisher noch wenig bekannt. Das fög hat deshalb die mobile Mediennutzung von über 300 Studienteilnehmenden zwischen 19 und 24 Jahren mit einem Mobile Tracking detailliert erfasst. Die Ergebnisse zeigen, dass die Teilnehmenden durchschnittlich nur gerade sieben Minuten pro Tag News konsumierten. Der Befund bestätigt die seit einigen Jahren bereits in Umfragen ermittelte News-Deprivation bei jungen Erwachsenen. Während junge Männer täglich durchschnittlich elf Minuten News konsumieren, liegt die mobile Nutzungsdauer bei Frauen bei fünf Minuten pro Tag.

Wer nichts weiss, geht nicht abstimmen
Dies hat Folgen: «Welche Medien eine Person nutzt und wie oft, hat einen Einfluss auf ihre Teilnahme am politischen Geschehen», sagt Medien-Experte und fög-Direktor Mark Eisenegger. Besonders hoch ist die Stimmbeteiligung (70 Prozent) bei Menschen, die traditionelle Schweizer Medienangebote wie Zeitungen, Radio- oder TV-Nachrichten nutzen – zwar nicht intensiv, aber regelmässig. Sig nif ikant tiefer ist sie bei den News-Deprivierten (30 Prozent), die im Vergleich zu anderen Gruppen mit Nachrichten unterversorgt sind. Typisch für diese Gruppe ist auch ein geringeres Interesse an Politik und ein tieferes Vertrauen in die Regierung. News-Deprivierte bleiben der Politik jedoch nicht komplett fern, sondern lassen sich für einzelne Abstimmungen mobilisieren.

Die Befunde des Jahrbuchs zeigen weiter, dass die Qualität der Schweizer Medien insgesamt leicht zugenommen hat. Die Medien ordnen seit Beginn der Corona-Pandemie stärker ein und berichten vermehrt über Hard News, vor allem über Schweizer Politik. Bei der Medienberichterstattung zum Ukraine-Krieg lässt sich eine relativ hohe Qualität beobachten.

Interesse an Nachrichten sinkt, Zahlungsbereitschaft stagniert
In der Schweiz hat das Interesse an Nachrichten abgenommen, wenn auch moderater als in anderen Ländern. 2022 geben noch 50 Prozent der Befragten an, sich stark oder sehr stark für Nachrichten zu interessieren (2021: 57 Prozent). Die Zahlungsbereitschaft stagniert auf tiefem Niveau. Nur 18 Prozent geben an, im vergangenen Jahr für Online-Nachrichten bezahlt zu haben (2021: 17 Prozent). Dass auch das gesellschaftliche Umfeld zunehmend schwieriger wird für den Journalismus, zeigt der hohe Anteil an Schweizer Medienschaffenden (87 Prozent), die bereits Einf lussnahmen von extern erlebt haben.

Journalismus ist unter Druck
Nicht nur die Finanzierung des qualitativ guten Journalismus bleibt schwierig, besonders nach der Ablehnung des Mediengesetzes durch das Stimmvolk. Auch die Reichweite und gesellschaftliche Akzeptanz journalistischer Medien nimmt ab, mit negativen Folgen für die Demokratie. Was also tun? «Die Medienkompetenz an Schulen muss stärker gefördert und die demokratische Relevanz der Medien besser vermittelt werden», ist Eisenegger überzeugt. Auch brauche es im Journalismus mehr Wissen darüber, wie qualitativ hochstehende Inhalte über digitale Kanäle ein Publikum erreichen. Nicht zuletzt sind laut dem Medienwissenschaftler neue politische Vorlagen zur Finanzierung der Medien und angrenzender Institutionen nötig.


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