«In den Sommerferien kommt eh niemand»

  29.07.2022 Möhlin

Hans Widmer: ein Appenzeller am Fusse des Sonnenbergs

Ein Künstler? Er ganz bestimmt nicht. Die NFZ traf den pensionierten Lehrer Hans Widmer in den Gängen des Möhliner Gemeindehauses, wo seine Bilder hängen.

Ronny Wittenwiler

Immer wenn Hans Widmer von Wil (SG) herkommend in Richtung Appenzell fährt, geschieht Sonderbares. Baut sich am Horizont der Säntis auf, ändert sich sein Dialekt. «Das sagt jedenfalls meine Partnerin.» Widmer lacht. Das Appenzellische solle dann noch viel stärker durchdrücken, als es das jetzt schon tut. Dabei ist er doch schon so lange weg von dort. Hans Widmer, der Mann vom Säntis, lebt heute am Fuss des Sonnenbergs, hier in Möhlin. Er könne aber genauso gut woanders wohnen, stellt Widmer klar und wer weiss, wohin ihn der Lebensabend mal hinziehen wird; das müsse weder Möhlin noch das Fricktal generell sein. Noch aber ist er hier, und jetzt gerade stellt er aus.

Für eine Flasche Whisky
Seit ein paar Tagen hängen von ihm gemalte Bilder in den Gängen des Möhliner Gemeindehauses. Die NFZ wollte den Künstler Hans Widmer treffen, doch richtig geklappt hat das nicht. Widmer ist zwar da im Gemeindehaus, pünktlich auf die Sekunde, doch Minuten später heisst es: «Ich ein Künstler? Nein. Ich bin einer von diesen Hobbymalern, von denen es in der Schweiz vielleicht Hunderttausende gibt.» Künstler sein ist nicht so sein Ding und Widmer macht sich nicht wichtiger, als er ist. «Ich mache das hier effektiv nur aus Freude.» Das heisst auch: Um einen echten Widmer zu besitzen, muss keiner einen Kleinkredit aufnehmen. «Ich habe auch schon Bilder für eine Flasche Whisky verkauft.» Das Wichtigste sei, dass jemand Freude an einem Bild habe, wenn er es aufhänge. «Und seien wir ehrlich: All diese Hobbybilder im Land landen früher oder später auf dem Flohmarkt. Es heisst nämlich nicht, dass die nächste Generation dieselben Bilder auch gut findet.»

Widmer und der Moment
Wie er zu dieser Bilderausstellung hier gelangte? Auch das ist so eine Geschichte. Fotografien, Bilder, Skulpturen – immer wieder bietet die Gemeinde Möhlin Interessierten die Möglichkeit, ihre Werke im Rahmen einer Wechselausstellung zu präsentieren. Als Widmer davon hörte, klopfte er einfach mal an, doch bis auf das aktuelle Zeitfenster allerdings war die Ausstellungsfläche in den Gängen des Gemeindehauses auf längere Zeit hinaus schon verbucht. «Okay» habe er sich gesagt: «Dann hänge ich jetzt halt in den Sommerferien mal ein paar Bilder auf.» Widmer lacht, und spricht dann den Satz, der dafür steht, weshalb im Gemeindehaus ausgerechnet jetzt noch Ausstellungsf läche frei gewesen schien: «In den Sommerferien kommt eh niemand.» Vielleicht aber, schiebt er ganz entspannt nach: «Vielleicht hat’s doch noch ein paar Leute, die das schön finden.» Für all diese Leute wäre Widmer dann so etwas wie ein Glücksfall im richtigen Moment. Denn der Maler, der kein Künstler sein will, war sein Leben lang ein Lehrer.

Mit fünfzehn von zuhause weg
Aufgewachsen in Waldstatt und Stein im Appenzellischen, besuchte Widmer das Lehrerseminar in Kreuzlingen, wo er dort im Konvikt auch wohnte. «Mit Fünfzehneinhalb war ich also von zuhause weg.» Sein Beruf sollte Berufung werden. «Insgesamt habe ich 46 Jahre lang als Lehrer gearbeitet», erzählt Widmer, den es irgendwann hinauszog, hinaus nicht in die weite Welt, aber hinaus aus dem Appenzellerland. «Das Appenzell ist eine wahnsinnig schöne Gegend, aber auch eng.» Heute sagt der 68-Jährige: «Lehrer ist der genialste Beruf. Ich habe stets gerne Schule gegeben.» Diese Tätigkeit brachte ihn schliesslich auch ins Baselbiet, nach seiner Pensionierung übernahm er zuletzt Stellvertretungen in Eiken und Olsberg. Widmer lehnt sich in den Stuhl, unweit seiner Bilder an der Wand im Gemeindehaus und sagt dann: «Jetzt ist es aber Zeit, dass ich mich mehr dem Malen widme.»

Heimat, immer wieder
Noch bis 24. August bleiben seine Werke im Gemeindehaus hängen. Dann werden sie längst vorbei sein, die Sommerferien. Wer weiss, vielleicht kommt dann doch einer vorbei und macht sich sein eigenes Bild: Dieser Widmer, doch ein Künstler? Ihm ist’s einerlei. Danach wird er die Bilder wieder runterhängen, weitermachen, sich nicht all zu wichtig nehmen und ab und an seine bald neunzigjährige Mutter im Appenzell besuchen. «Man bleibt halt doch irgendwie verwurzelt.» Und was kurz vorher geschieht, von Wil im Kanton Sankt Gallen herkommend, wenn sich ihm plötzlich der Säntis zeigt am Horizont – seine Partnerin weiss es. Wir mittlerweile auch. Die Spinne, die hier von der Decke bei der Möhliner Bahndammunterführung ein Netz gewoben hat, klettert wenig später als riesiges Exemplar eine Hausfassade hoch. Oder doch nicht? Es kursieren darüber verschiedene Theorien… – je nach Perspektive. (rw)

Fotos: Ronny Wittenwiler


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote