19-jähriger Wiler kämpft um Weltmeistertitel

  03.04.2022 Mettauertal, Sport, Wil

Liam Parnell ist ein erfolgreicher Formel 1-E-Sportler

Vom Freizeitspieler zum professionellen E-Sportler ist es ein weiter Weg. Liam Parnell hat es bereits in die höchste Liga, der Formel 1, geschafft und sich als Teamplayer einen Namen gemacht. Er hat auch eine Talentschmiede für Nachwuchsfahrer ins Leben gerufen.

Bernadette Zaniolo

Wenn man über den Formel 1-Motorsport und Red Bull spricht, kommen einem aktuell wohl in erster Linie Namen wie Max Verstappen und Sergio Pérez in den Sinn. Im ländlichen Wil, einem Ortsteil der Gemeinde Mettauertal, sitzt jedoch ein 19-Jähriger im Cockpit eines Red Bull. Liam Parnell ist einer der wenigen Fahrer (unter den 500 000 Bewerbern), die einen Platz im 30-köpfigen Feld des Formel 1-E-Sports erhalten hat. In weissen Socken und Rennoveral rast der 19-Jährige über eine der offiziellen Formel 1-Pisten, die am Bildschirm vor ihm in echt eingeblendet ist. Angesprochen auf die Socken, sagt der E-Sport Pro Driver, dass er so ein besseres Gefühl für die Pedalen habe. «Ich kann das Auto gut einstellen», verrät Liam. «Sein technisches Wissen hat ihm von seinen Kollegen den Spitznamen ‹The Scientist› eingebracht und sein Fachwissen wird eine grosse Rolle bei der Verbesserung der Leistung des Teams spielen», hält seine Mutter Susan Parnell fest. «Nachts kann ich mich am besten konzentrieren», verrät der E-Sportler und selbständige Unternehmer. Wie ein Profifussballer hat auch Liam einen Werbevertrag; in seinem Fall mit Red Bull. «Er hat den Entscheid selber getroffen. Ich konnte ihn da nicht beraten», so Vater Ralf, der eine eigene Firma im Bereich Messe- und Eventbau hat.

Enorme geistige und körperliche Leistungsfähigkeit
Wie ein Profi trainiert Liam 14 Stunden täglich. «Es braucht sehr viel Disziplin, eine enorme geistige und körperliche Leistungsfähigkeit», sagt Liam. Mit einem Lachen ergänzt seine Mutter: «Täglich fallen zwei bis drei durchgeschwitzte T-Shirts zum Waschen an.» Kaum zu glauben! Und das beim Gamen im Zimmer! Doch spätestens, wenn man sieht, was diese E-Sportler leisten müssen, wird klar, dass es fast keinen Unterschied gibt, zwischen dem Game und der echten Formel 1.

In diesem Zusammenhang widerspricht Susan Parnell – sie ist gebürtige Engländerin – auch dem Klischee, dass wer viel online spielt, zurückgezogen und abgekapselt von der Aussenwelt lebe. «Genau das Gegenteil ist der Fall. E-Sport ist kein Sport für Einzelgänger. Und natürlich gelten auch in dieser F 1-Gaming-Szene strenge Verhaltensregeln und Fairness.»

Fakt sei doch, dass fast jeder Jugendliche Gaming betreibe, dies aber im stillen Kämmerlein. Viele Eltern könnten den Konsum weder steuern noch würden sie wissen, was da abgeht. «Die Zukunft ist schon längst da.» Deshalb ist Susan Parnell (sie ist im Werbe und Kommunikationsbereich tätig) wichtig: «Der Bereich E-Sports sollte nicht unter den Teppich gekehrt werden, sondern ihn als Teil eines neuen Sports und Businessbereiches sehen, in dem er seit Jahren seinen Platz hat.» Hier seien mittlerweile hohe Summen und technische Investitionen eingeflossen und durch Corona habe dieser Online-Gaming-Bereich einen enormen Auftrieb erhalten. «2017 haben nur im Bereich Formel 1-E-Sports rund sechs Millionen Menschen das Finale verfolgt. Auch durch späterere Videoaufrufe auf Youtube, Facebook, Twitch, Instagram und Twitter eingebunden. Zweitweise haben sich die Streams 20 Millionen Menschen angeschaut. Das sind Rekordzahlen in der Formel 1.» Die reelle Formel 1 profitiere genauso von dem Formel 1 E-Sports, wie umgekehrt. Die stetige Zunahme von Zuschauern und Werbekonsumenten würden dies zeigen.

Angesprochen auf das von Jahr zu Jahr steigende Preisgeld (750 000 Dollar insgesamt im 2020) und die damit verbundenen Erwartungen an das Einkommen, relativiert Susan Parnell: «Ohne Strom und Internet geht gar nichts.» Sie macht auf die grossen Investitionen in diesem Zusammenhang aufmerksam. Dennoch, so sagt der Jungunternehmer Liam «könne er davon leben», dies mit weitergehender Unterstützung seiner Eltern. Dass die Mutter ebenfalls von dieser Szene begeistert und stolz auf ihren Sohn ist, ist unschwer zu erkennen. «Er reiste im letzten Jahr, während der Pandemie alleine nach England», verrät sie. «Es war schon speziell, Verstappen und Perez die Hand zu geben. Sie sind mega nett und heben nicht ab», sagt Liam mit einem Lächeln. Sein Hauptziel sei es: «E-Sport-Weltmeister zu werden und so den Sprung in ein echtes Formel 1-Team zu schaffen, ob als Fahrer oder im technischen background.»

Und wie sieht es mit einem «normalen» Beruf aus? «Ich wollte Informatiker werden», so der 19-Jährige. Die Familie kam 2019 (von Lörrach) in die Schweiz. Eine Lehrstelle zu finden war schwierig, halten die Eltern fest. Vielleicht würden sich durch die gewonnenen Erfahrungen Türen im Event- oder Gamingbereich öffnen.

Und gleichzeitig wird klar, woher die gute Reaktionsfähigkeit von Liam kommt. «Er war Torwart und ich Jugendtrainer, jedoch waren seine Ambitionen im Sim racing grösser», so der Vater von Liam. Innert einer durchschnittlichen Runde finden je nach Strecke zirka 60 bis 70 Betätigungen von diversen Knöpfen am Lenkrad statt, dies unter gleichzeitiger Konzentration auf die Piste, die Mitstreiter und das Bedienen des Gasund des Bremspedals.

Mit der Gründung von Parnell Racing fördert Liam den Nachwuchs. «Am Anfang habe ich junge Fahrer betreut. Als ihre Fähigkeiten verfeinert wurden, schlossen sich uns erfahrenere Athleten an. Heute sind das die unglaublich ehrgeizigen Rennfahrer, die die Truppe von Parnell Racing bilden. Wir unterstützen uns gegenseitig, helfen, wo wir können, so natürlich auch im mentalen Bereich», so Liam. Es sei ein Pool an grossartigen Talenten entstanden, «die bereit sind, Verträge mit grossen Ställen abzuschliessen.» Das Team werde durch eigene Ingenieure abgerundet, «die Fakten und Daten sammeln, um unsere Strategien zu entwickeln.» Wie Liam gegenüber der NFZ sagt, würden sie zum Saisonende der realen Formel 1, jeweils auch von deren Ingenieuren und Technikern bei der Weiterentwicklung unterstützt.

Die Saison der Gaming-Formel 1 dauert jeweils von September bis Dezember. In dieser Zeit finden 12 Rennen statt, normalerweise in einer «Arena» in England. Während der Pandemie jedoch online. Liam und seine Eltern sind überzeugt, dass Red Bull in diesem Jahr sowohl im Formel 1-E-Sport wie auch in der realen Formel 1 den Weltmeistertitel holt. Letztes Jahr sei Mercedes im E-Sportsbereich noch technisch überlegen gewesen.


Eigenes Nachwuchsteam

Die Formula 1 E-Sport-Series ist ein professionelles E-Sport-Programm, das von der Formel 1 gefördert wird. Die Live-Rennen sowie die Zuschauerzahlen springen unglaublich in die Höhen. Im Jahr 2018 schlossen sich die offiziellen Formel-1-Teams erstmals dem Programm an, um ihre eigenen E-Sport-Teams zu gründen, die an der Formula 1 E-Sports Series-Meisterschaft teilnehmen.

Liam Parnell kam 2021 zu Red Bull Racing E-Sports, um das Team in der F 1-E-Sports Pro Championship zu unterstützen. Als Setup-Meister begann Liam 2017 mit E-Sports und spezialisierte sich auf F 1-Rennen. Der 19-jährige deutsche Fahrer hat ein F 1-Pro-Exhibition-Rennen gewonnen, bei dem er auch den DHL Fastet Lap Award erhalten hat. Sein technisches Wissen hat ihm von seinen Kollegen den Spitznamen «The Scientist» (der Wissenschaftler) eingebracht.

Der 19-jährige Liam Parnell wohnt in Wil. Von hier aus, sowie vom Red Bull Standort Militon Keynes (England), arbeitet er und konzentriert sich 2022 mehr auf das Fahren. Sein eigenes F 1-Team «parnellracing.com» für Xbox, Playstation und PC fährt regelmässig Siege ein «und könnte den grossen Ställen ein Fundus an F 1-E-Sports-Jungfahrern liefern», verraten Liam und seine Mutter. Diese können in kleineren Ligen erste Erfahrungen sammeln und erhalten von Liam eine breite Unterstützung. «Er hat unter anderem einem Fahrer eine Pedale geschenkt», so Susan Parnell. Eine solche kostet zirka 250 Franken und muss zirka alle drei Jahre ersetzt werden. Aufgrund des jugendlichen Alters sowie des Herkunftslandes könne dies schon sehr viel Geld sein. Deshalb sind auch Sponsoren für das Nachwuchsteam willkommen.

Liam Parnell hofft, dass er auch junge Fricktaler beziehungsweise alle Schweizer für diesen Gaming-Bereich faszinieren kann. Und wer weiss: vielleicht schafft es ein Fricktaler zu Ehren wie Clay Regazzoni in den 70er-Jahren. (bz)


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