«Mit 13 wollte ich Bundesrat werden»

  31.01.2022 Frick

Gunthard Niederbäumer, Vizeammann von Frick

Er lernte Elektroniker, holte die Matura nach, studierte Klimawissenschaften und erforschte Polargebiete. Heute ist der 59-Jährige zuständig für Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche, glücklich als SP-Politiker im Fricker Gemeinderat – und er begleitet den Bundesrat an Klimakonferenzen.

Simone Rufli

Als 13-Jähriger wollte Gunthard Niederbäumer Bundesrat werden. «Heute bin ich froh, dass ich es nicht bin.» Zu fremd-bestimmt sei die Agenda eines Bundesrates, sagt der Mann, der erst im November wieder drei Bundesräte an eine Klimakonferenz begleitet hat – und schätzt sich glücklich, dass er als Vizeammann von Frick und Schadensversicherungsexperte weitgehend selber über seine Agenda bestimmen kann.

Und so hat er bereits bestimmt, dass er im September mit 60 Jahren in Frühpension gehen wird. Seine Berufszeit sei spannend, aber auch intensiv gewesen und habe Energie gekostet. «Künftig möchte ich noch mehr Zeit in meine Arbeit im Gemeinderat investieren.» Als er 2013 ins Amt gewählt wurde, hat er sein Pensum auf 90 Prozent reduziert. Seit dem 26. September ist Niederbäumer nun Vizeammann von Frick. Hatte er zuvor während acht Jahren als Gemeinderat die Dossiers Soziales, Gesundheit und Alter unter seiner Obhut, ist er neu auch für Infrastruktur und Tiefbau zuständig. «Eine Aufgaben-Verteilung, für die wir uns im Hinblick auf meine Frühpensionierung entschieden haben.» Niederbäumer ist alles andere als amtsmüde. Er freut sich auf eine noch intensivere politische Tätigkeit.

Ein Ingenieur vor der Nase
«Nach der Sekundarschule war ich schulmüde», räumt er ein und erzählt schmunzelnd, wie es ihn nach der Lehre als Elektroniker, während seines einjährigen Aufenthalts in Paris, dann doch gewurmt hat, dass ihm immer ein Ingenieur vor der Nase sass. «Ich habe die Matura nachgeholt, und zwar im vollen Umfang – Brückenangebote gab es zu jener Zeit noch nicht – und festgestellt, dass mich die angewandte Physik interessiert.» Und so folgte ein Studium der Klimawissenschaften an der ETH in Zürich.

In die Zeit seines Studiums fiel anno 1992 die Umweltkonferenz von Rio de Janeiro. «Es war die Zeit, als das Klima zum ersten Mal im breiten Bewusstsein der Menschen ankam.» Das Klima als a ngewa ndte Physi k öf f nete Niederbäumer in der Folge so manche Türe – zuerst jene in die USA. An der University of Wyoming schrieb er einen Teil seiner Doktorarbeit.

Drei Zelte auf einer Holzplatte
Eine weitere Türe habe sich nach Grönland geöffnet. «Während dreier Sommer war ich als Polarforscher in Grönland tätig.» Drei Zelte auf einer Holzplatte, fünf bis sechs Personen. Ein Satellitentelefon für den Notfall, ein Telegraph, erreichbar nur per Helikopter – «und auch nur bei schönem Wetter». Kein Handynetz – «das gab es zu Beg i n n der 1990er Jahre noch längst nicht überall». Niederbäumer lacht und ernst fährt er fort: «In wochenlagen Schneestürmen, aufs Überleben vertrauend, lernt man, was man alles unbeschadet überstehen kann. Das hat mich ein Stück weit geprägt.»

Die Winter verbrachte er in Zürich mit dem Auswerten und Modellieren der im Schnee und Eis gewonnen Daten. Heute sagt er: «Der richtige Forscher war ich dann doch nicht. Nur Feldarbeit in Polargebieten war mir zu wenig sozialkompatibel, die reine akademische Arbeit zu einseitig.» Der richtige, gelebte Alltag habe ihn eben auch interessiert.

Zu seinem gelebten Alltag gehört unter anderem die Politik. Er sei in Kreuzlingen am Bodensee nicht in einem politischen Umfeld grossgeworden, habe sich aber früh für Politik interessiert. «Ich habe auch schon als Kind regelmässig Zeitung gelesen.» Mit 22 stieg er dann in Zürich in die Politik ein, wurde Mitglied der SP, war aktiv, ohne ein öffentliches Amt zu bekleiden. Als Vizepräsident und Projektleiter einer Baugenossenschaft, gegründet in den 1940er Jahren, war er während zehn Jahren zuständig, alte Siedlungen durch neue zu ersetzen. «Den Mietern mitteilen, dass sie aus ihren Reihenhäuschen ausziehen müssen, war nicht immer einfach.» Dann folgte der berufliche Wechsel zur Basler Versicherung. Das tägliche Pendeln von Oerlikon, wo er mit seiner Frau wohnte, nach Basel habe er bald einmal satt gehabt. «Das Fricktal habe ich zu jener Zeit noch nicht gekannt, es bot sich vom Arbeitsweg her aber als Wohngegend an. Am Schluss war es ein bewusster Entscheid, ins Fricktal zu ziehen. Dass es Frick wurde, war eher zufällig.» Ironie des Schicksals: Heute arbeitet Niederbäumer wieder in Zürich. Noch bis im September ist er Bereichsleiter Nichtleben und Rückversicherung beim Schweizerischen Versicherungsverband (SVV) und zuständig unter anderem für die Nachhaltigkeit der Versicherungsbranche. Darunter fällt zum Beispiel die nachhaltige Anlage von finanziellen Reserven in Milliardenhöhe. Aber auch die Prävention und die Frage, welche Kunden überhaupt versichert werden.

Vertreter der Wirtschaft
«Der Klimawandel bringt andere Schadensereignisse mit sich. Starke Niederschläge mit Platzregen werden zunehmen. Dazu haben wir zusammen mit Fachstellen des Bundes und der Kantone eine Gefährdungskarte Oberflächenabfluss erarbeitet, die heute schon in jede Baubewilligung einf liesst.» Niederbäumer vertritt den SVV in der economiesuisse, dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft. Das wiederum prädestiniert ihn – als Vertreter der Wirtschaft – als Mitglied der Schweizer Delegation, den Bundesrat zu Klimakonferenzen zu begleiten und Verhandlungen zu führen. Glasgow im November 2021 war seine vierte Teilnahme. Klimawandel beziehungsweise die Massnahmen dagegen, das sei ein Prozess der kleinen Schritte und doch sehe man, dass sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren vieles bewegt habe.

Niederbäumer ist ein geduldiger Mensch. «Ohne Geduld hält man es in der Politik doch nicht aus», sagt er und lacht. «Die Arbeit im Gemeinderat macht mir wirklich Spass. Es ist ein tolles Team.» Er ist auch einer der Ausdauer hat. «Bis vor fünf Jahren habe ich zusammen mit meiner Frau Marathonläufe bestritten. Anfangs hauptsächlich Städtemarathons, mit den Jahren immer mehr auch Gebirgsmarathons.» Marathons visiere er keine mehr an, aber gegen mehr Reisen in den Norden werde er nach der Pensionierung nichts haben.


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