Es geht staatspolitisch um sehr viel

  27.01.2022 Abstimmungen, Fricktal

Leitartikel zum Medienunterstützungspaket

Die Schweiz ist zu Recht stolz auf ihre grossartige direkte Demokratie. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen über alle wichtigen Themen, sowohl auf der Ebene ihrer Gemeinde, ihres Bezirks, ihres Kantons als auch auf der Ebene des Bundes abstimmen und wählen. Für uns alle eine Selbstverständlichkeit – für viele Menschen anderer Länder ein unerreichbarer Traum.

Doch diese grossartigen demokratischen Rechte bringen auch Pflichten mit sich. Jeder Entscheid, jede Stimme will gut überlegt sein. Qualitativ gute Entscheide kommen nur auf diese Weise zustande. Gut überlegen heisst zuerst, sich gut informieren. Gut informieren heisst, alle erforderlichen Informationen in guter Qualität und Vielfalt vorfinden. Diese müssen gut recherchierte Informationen sein und keine beeinflussten, oder gar gefälschten «Fake News». Und diese Informationen müssen auf allen demokratischen Ebenen, auf lokaler, kantonaler und nationaler Ebene, vorhanden sein.

Unser vielfältiges und qualitativ gutes Mediensystem in der Schweiz liefert dies zum Glück. Noch – bin ich geneigt zu sagen. Denn die aktuellen Entwicklungen bedrohen diese wichtige Basis massiv. In den Zentren, vor allem aber in den ländlichen Regionen der Schweiz. Der Grund dafür ist im Grunde genommen sehr einfach. Qualität im Journalismus ist sehr aufwändig. Eine gute Berichterstattung braucht eine gute Recherche, intelligente Köpfe, Erfahrung und ganz viel Zeit. Dies alles kostet, gerade in der kleinräumigen und vielfältigen, kulturell reichen Schweiz, enorm viel. Dies war immer so, werden Sie denken. Ja, das stimmt. Doch viele Leserinnen und Leser vergessen, dass in der Vergangenheit der Abonnent immer nur einen Teil dieser Kosten getragen hat, den anderen Teil die Werbung. Eine glückliche Fügung ergab ein gut funktionierendes Geschäftsmodell, bei dem alle am Schluss zufrieden waren: Der interessierte Leser erhielt hochstehende Informationen zu einem vorteilhaften Preis. Der Werbekunde erhielt Reichweite und Kontakte zu einem reellen Preis und der Verlag erzielte unter dem Strich ein Ergebnis, mit dem er weiter in die Qualität des Journalismus und in die Zukunft des Verlags investieren konnte. So funktionierten seit Jahrzehnten hunderte von Kleinverlagen und Medienhäusern und ein paar wenige Grossverlage in der ganzen Schweiz. Zum einen vor allem im Printbereich, heute aber auch auf allen digitalen Kanälen.

So funktioniert auch in unserem Verlag, der Neuen Fricktaler Zeitung, die Herausgabe der lokalen und regionalen Informationen – und dies seit 1861. Unabhängig, freiheitlich, der Wahrheit und dem Volk verpflichtet. «Die Wahrheitssuche stellt den Ausgangspunkt der Informationstätigkeit dar» steht in der Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten.

Warum?
Aber warum sehen sich nun viele Verlage und Medienunternehmen bedroht? Warum diskutieren wir das Thema Medienförderung, warum haben National- und Ständerat das Medienpaket beschlossen?

Weil mit der Digitalisierung die Werbegelder von den Schweizer Kleinund Grossverlagen abwandern zu grossen Medienhäusern und vor allem zu den grossen internationalen Konzernen in den USA wie Facebook, Google und Amazon. Sie folgen den Klicks und der Aufmerksamkeit und nicht der Schweizer Medienqualität und -vielfalt. Dabei geht es nicht nur um ein paar Franken, sondern jährlich um Milliarden von Franken.

Die Finanzierung der Qualität und der Vielfalt im Journalismus wird dadurch immer schwieriger und teilweise regional unmöglich. In den nächsten Jahren droht daher ein Abbau beim Journalismus und beim Medienangebot in der Schweiz. Staatspolitisch ist dies gleichbedeutend mit einer Unterversorgung an wichtigen und kompetent recherchierten Informationen, was zu einer Gefährdung unserer direkten Demokratie führt. Wie können der Bürger und die Bürgerin gut entscheiden, wenn sie die dafür notwendigen Informationen auf allen Ebenen nicht mehr erhalten? So wie das menschliche Gehirn ausreichende Versorgung mit Sauerstoff benötigt, braucht die direkte Demokratie kompetente Informationen. Wer berichtet über kulturelle und gesellschaftliche Themen, über Gemeindeversammlungen, Sport und die vielfältigen Vereinsaktivitäten in den Regionen?

Denn der freie Markt regelt vieles, aber er führt nicht automatisch zu einer guten Medienqualität und -vielfalt, so wie er auch weitere essentielle Dinge einer Gesellschaft wie das Rechtssystem, den sozialen Zusammenhalt, die saubere Luft, die Sicherheit (Polizei/Armee) und die Landesversorgung nicht regelt. Es geht somit nicht nur um die Zukunft der Medien – es geht auch um die Zukunft unserer Gesellschaft und unserer Demokratie.

Alle Schweizer Verlage, grosse wie kleine, arbeiten heute intensiv an neuen Geschäftsmodellen. Sie investieren in die Digitalisierung und neue Projekte mit dem Ziel, dadurch neue Ertragsquellen zu erschliessen, um diese Qualität und Vielfalt der Medien zu erhalten. Diese Investitionen kosten viel Geld und benötigen Zeit. Beides wichtige Faktoren, welche bei vielen Kleinverlagen nur begrenzt vorhanden sind.

Eine Unterstützung auf Zeit
Die meisten Mitglieder des Schweizer Parlaments haben diese bedrohliche Situation erkannt und daher im Sommer mit grosser Mehrheit einem Medienpaket zugestimmt, welches die vielen Verlage und Medienhäuser in der Schweiz bei diesem schwierigen Prozess unterstützt. Mittels einer ausgebauten indirekten Presseförderung über die Post und einer Onlineförderung werden die Klein- und Grossverlage entlastet und unterstützt (die Kleinen prozentual stärker als die Grossen), damit diese weiterhin in die Qualität und Vielfalt ihrer Verlage und gleichzeitig in die Zukunft ihrer Medien investieren können. Dieses Paket ist befristet auf sieben Jahre, danach wird die Situation neu beurteilt.

Wie bei allen Vorschlägen hat auch dieses Medienpaket gute Aspekte und teilweise typisch schweizerische Kompromisse. Auch gibt es Kreise, die nicht berücksichtigt wurden, berechtigt oder auch nicht. Zum einen beispielsweise die reinen Gratiszeitungen, weil Bundesrat und Parlament Qualität fördern wollen und diese am Verkauf bezahlter Medien festmachen. Zudem profitieren die reinen Gratiszeitungen bereits heute von niedrigeren Posttarifen. Zum anderen werden Onlinemedien nur dann unterstützt, wenn sie auch Aboeinnahmen haben.

Beim gesamten Medienunterstützungspaket bleiben die Pressefreiheit und Unabhängigkeit gewahrt, so wie dies seit 1849 der Fall ist, als die indirekte Presseförderung in der Schweiz eingeführt wurde.

Eine grosse Chance
Niemand wird die Tatsache leugnen, dass der Wandel bei den Medien rasant voranschreitet. Wir laufen daher in der Tat staatspolitisch Gefahr, in kurzer Zeit unsere Qualität und Vielfalt der Medien zu verlieren. Und sind diese einmal verloren, sind sie, wie Beispiele aus dem Ausland zeigen, wohl für immer verloren.

Auch für unser lokales Medienhaus stellt die aktuelle Situation, noch verschärft durch Corona, eine grosse Herausforderung dar. Als verantwortlicher Lokalverleger, Chefredaktor, Unternehmer und Vertreter der vierten Familiengeneration setze ich mich gemeinsam mit unseren ausgezeichneten Mitarbeitenden, meiner Familie und unserem Verwaltungsrat mit höchstem Engagement für die Medienqualität und -vielfalt im Fricktal und für eine erfolgreiche Zukunft unseres Medienhauses ein.

Das Medienpaket gibt den Medienhäusern die notwendige Unterstützung und die Zeit, in eine gute Zukunft zu steuern, zum Wohl unserer Gesellschaft. Dieses Medienunterstützungspaket bietet eine grosse Chance – wir sollten sie nutzen!

walter.herzog@nfz.ch


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