«Vertrauen ermöglicht den Kindern Selbständigkeit»

  29.04.2018 Rheinfelden

Monika Lichtin: seit 30 Jahren Sprachenlehrerin und seit zehn Jahren Konrektorin

Durch die Tätigkeiten als Konrektorin am Gymnasium Oberwil, als Lehrerin und im Vorstand der Schweizer Fachmittelschul-Leitungen verfügt Monika Lichtin über unterschiedliche Sichtweisen auf den Schulalltag. Von den Eltern wünscht sie sich Vertrauen in die Kinder und die Schule.

Clara Rohr-Willers

Die 58-jährige Monika Lichtin ist eine einnehmende Person. Durch ihr charmantes Auftreten auf der einen, durch ihre Klarsicht und ihren Witz auf der anderen Seite. Mit ihrem Mann, dem Theologen Hanspeter Lichtin, teilt die Mutter zweier erwachsener Kinder eine helle Wohnung im Rheinfelder Salmenpark.

Monika Lichtin wuchs im Fricktal der Sechziger und Siebziger Jahre auf. 1954 zogen ihre Eltern von Rapperswil (SG) nach Frick, wo der Vater eine Stelle als Redaktor beim «Fricktaler Boten» annahm. Monika Lichtins Mutter kümmerte sich um den Haushalt und die vier Töchter. «Meine Mutter musste als junge Frau für eine kaufmännische Lehre kämpfen, während es selbstverständlich war, dass ihre Brüder eine Berufsausbildung machten», schildert Monika Lichtin. Für die eigenen Kinder wünschte sie sich einen anderen Lebenslauf. Ihr war es sehr wichtig, dass alle eine gute Ausbildung machten.

«Schon in der Primarschule war ich wissensdurstig», erinnert sich Monika Lichtin. «Aus der Leihbibliothek der Kirche las ich alles, was mir in die Finger kam.» Die Lektüre reichte von Parzival über unzählige Krimis bis zu Biographien von Kirchenheiligen. Eine Gemeindebibliothek existierte noch nicht. «Wir waren immer in Horden draussen», schildert die Romanistin und Germanistin. Sogar eine Wanderung auf den Kornberg ohne elterliche Obhut lag drin. «Als Eltern machte man sich früher weniger Sorgen und wollte nicht immer alles wissen», so die Fricktalerin. Auch die Zeit im Blauring und später in der JUBLA oder in der Jugendseelsorge Fricktal förderte das Gefühl von Freiheit und Unbeschwertheit.

«Du warst der Schrecken aller Lehrer»
«Meine Eltern waren unabhängig und frei denkend», schildert Monika Lichtin. Sie gingen zwar in die Kirche, diskutierten aber anschliessend kritisch den Inhalt der Predigt am Familientisch. Der freie Geist der Familie bewirkte, dass Monika Lichtin schon als Kind nicht alles für gottgegeben hielt. «Du warst der Schrecken aller Lehrer», bezeichnete sie erst kürzlich ein ehemaliger Mitschüler der Bezirksschule. Frechheit sei allerdings nie ihr persönliches Ziel gewesen. «Ich kam wohl einfach selbstbewusst rüber», vermutet die Schulleiterin heute.

An der Bezirksschule belegte Monika Lichtin das Fach Latein mit dem Ziel, später Rechtswissenschaften zu studieren. «Eine romantische Vorstellung durch meine Krimilektüre», kommentiert sie mit einem Augenzwinkern.

Von 1976 bis 1980 besuchte Monika Lichtin die Kantonsschule in Baden. «Es war, wenn ich heute zurückdenke, keine sehr glückliche Zeit», erinnert sie sich, die sich in der Bäderstadt als Landei vorkam. Viele Schulkolleginnen stammten aus gut situierten Familien. «Dass etwa ein Austauschjahr in den USA möglich war, habe ich erst erfahren, als die Rückkehrer in unsere Klasse kamen. Ich hatte vier Jahre das Gefühl, ich gehöre nicht dazu», so Monika Lichtin heute. Highlights waren der Latein-, der Deutsch- und Französischunterricht. «Unser Deutschlehrer Uli Däster ermöglichte uns immer wieder den Zugang zu aktueller Schweizer Literatur, lud auch zeitgenössische Autoren wie Otto F. Walter ein», so Monika Lichtin, die mit dem Autor sein aktuelles Buch unter die Lupe nahm.

Nach der Matura nutzte sie die Chance, als Aupair bei einer sechsköpfigen Familie in Paris zu arbeiten und die Begeisterung für die französische Kultur und Sprache zu entdecken.

Warum ist «Julie» immer «jolie»?
Seit 41 Jahren ist Monika Lichtin mit Hanspeter Lichtin liiert, den sie 1975 durch die Jungwacht/Blauring kennenlernte. «Wir teilen dieselben Werte», so Monika Lichtin.

Nach der Geburt der beiden Kinder Anfang Neunziger arbeiteten beide Teilzeit, um gleichberechtigt für die Kinder zu sorgen. «Zudem hatte ich bei meiner ersten Anstellung als Sprachenlehrerin am Gymnasium Münchenstein viele Kolleginnen mit kleinen Kindern, die ebenfalls Teilzeit arbeiteten. Sie waren meine Vorbilder.»

Zwanzig Jahre blieb Monika Lichtin in Münchenstein und erlebte viele Veränderungen. «In den Neunzigern gründeten wir eine Arbeitsgemeinschaft ‹AG Gender› und gingen damit zum Rektor», erinnert sie sich. Warum war «Julie» im französischen Lehrmittel immer «jolie», wohingegen Jungs eher als frech und fordernd dargestellt wurden? Der Rektor empfand die Sensibilisierungskampagne als wertvoll und fördernswert.

«Ich bin ein Macher-Typ»
Später kamen Schulentwicklungsprojekte dazu, für welche Monika Lichtin in der Steuergruppe arbeitete. «Langsam stellte sich heraus, dass ich gerne hinter die Kulissen der Schulleitung sehen wollte», erklärt sie.

Von 1998 bis 2005 amtete sie in der Schulpflege Rheinfelden und erhielt nochmals einen anderen Blick auf die Schule. «Die Mitverantwortung für die Schule aus der Perspektive der Gesellschaft, in diesem Fall der politischen Gemeinde, hat mein Bewusstsein für die Einbindung der Schule in grössere Zusammenhänge geschärft», erklärt sie.

Monika Lichtin beschreibt sich selber als «Macher-Typ». Ziel sei immer eine Position mit Führungs- und Gestaltungsmöglichkeiten gewesen. Nach einer Weiterbildung in Qualitätsentwicklung für Sek. II-Schulen bewarb sie sich vor zehn Jahren für die Stelle als Konrektorin am Gymnasium Oberwil. «Ich hatte nichts zu verlieren», so Monika Lichtin heute.

«Bildung ist immer mehr zu einem politischen Thema geworden»
«Meine Arbeit ist sehr abwechslungsreich», schildert Monika Lichtin. Als Lehrerin suche sie einen Bezug zur Jugend und als Schulleiterin befasse sie sich mit herausfordernden Aufgaben in der Organisation der gesamten Schule. «Das Vernetzt-Sein mit anderen Schulleiterinnen und Schulleitern in der ganzen Schweiz schätze ich zudem im Vorstand der Schweizer FMS-Leitungen», so Monika Lichtin.

«FMS bedroht das Muttenzer Gymnasium», war kürzlich in der Basellandschaftlichen Zeitung zu lesen. «Ein packender Titel», kommentiert Monika Lichtin die Schlagzeile, «gut gemacht, pointiert, aber das Ganze steht in einem grösseren Zusammenhang. Die Bildung ist in den letzten zehn Jahren immer mehr zu einem politischen Thema geworden», so die langjährige Schulleiterin. Und man spüre auch die Sparmassnahmen in der Schule, schildert Monika Lichtin.

Während vor sechzig Jahren wenig Eltern und Kinder die Autorität der Lehrer in Frage zu stellen wagten, was sich seither glücklicherweise geändert hat, schlage das Pendel heute in die andere Richtung. «Für ein gelungenes Schulleben müssen wir Vertrauen haben. Vertrauen ermöglicht den Kindern Selbständigkeit», so Monika Lichtin. «Vertrauen in unsere Kinder – und in die Schule.»


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