«Die Bäuerinnen und Bauern rennen uns die Türen ein»

  29.12.2017 Aargau, Frick, Natur, Gesundheit, Nordwestschweiz, Oberes Fricktal, Gemeinden, Landwirtschaft

von Susanne Hörth

 

NFZ. Herr Niggli, laut Bio Suisse haben sich zu Jahresbeginn 2017 386 Betriebe neu bei Bio Suisse angemeldet. So viele wie seit den 90er-Jahren nicht mehr. Es gab auch eine Zeit, da war die Zahl der Bio-Betriebe eher rückläufig. Was glauben Sie, ist der Grund für dieses Umdenken?

Urs Niggli: Die Konsumentinnen und Konsumenten kaufen seit 30 Jahren jedes Jahr mehr Bio. 1990 wurden vielleicht für 50 Millionen Franken Bioprodukte verkauft, heute sind es 2,5 Milliarden. Das heisst, dass 8,4 Prozent aller Lebensmittel biologisch sind. Dieser konstant wachsende Trend, der weltweit zu beobachten ist, zeigt, was die Konsumenten der Zukunft wollen. In Dänemark, Schweden, der Schweiz, Österreich und Deutschland werden wir in wenigen Jahren einen Marktanteil von 10 Prozent sehen. Die Schweizer Landwirtschaft reagiert in Wellen auf diesen Trend. In den 1990-Jahren stellten Tausende Bauernfamilien um, dann wurde es wieder etwas ruhiger und heute zieht es wieder an. Es ist sehr gut, dass die Schweizer Landwirtschaft die Qualitätsschiene Bio nicht dem Import überlässt.

 

Gleichwohl bedeutet der Entscheid, auf Bio umzustellen und sich an die Richtlinien von Bio Suisse zu halten, einen grossen Aufwand für die Betriebe. Warum lohnt es sich trotzdem?

Biobetriebe sind wirtschaftlich besser dran, weil sie bessere Preise und höhere Direktzahlungen erhalten. Auch für die Umwelt lohnt es sich: Massiv weniger Düngernitrate in der Umwelt, schätzungsweise 90 bis 95 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel in den Gewässern, humusstabilere Böden und eine grössere Artenvielfalt.

 

Wird diesen Argumenten auch im Fricktal Rechnung getragen und ist somit auch bei uns eine Zunahme der Bio-Betriebe zu verzeichnen?

Das Fricktal liegt im Durchschnitt und hat seit letztem Jahr etwa 7 Prozent mehr Biobetriebe. Ich würde mich natürlich freuen, wenn das Fricktal zum «Bio-Valley» würde. Bio im Sinne von zertifiziertem Biolandbau und nicht im Sinne von Syngentas Pflanzenschutzmittel- und Gentechnik-Forschung.

 

Es gibt immer mehr Bio-Betriebe: Was bedeutet das für das FiBL?

Die Bäuerinnen und Bauern rennen uns die Türen ein. Es ist hochmotivierend, dass unsere Arbeit auf so grosses Interesse stösst. Das FiBL entwickelt einerseits einen modernen Biolandbau. Beispiele sind satelliten- und sensorengesteuerte Jät-Roboter oder auf Abfall gezüchtete Insektenlarven, welche das Hühner- oder Schweinefutter der Zukunft sind. Wir arbeiten aber auch eng mit traditionellen Biobauern zusammen, die altes bäuerliches Wissen pflegen.

 

Wo etwa?

Ein Beispiel dafür sind die mehr als 1000 Rezepte mit traditionellen Heilkräutern in der Tiermedizin, welche wir zusammen mit Bauern und Tierärzten dokumentiert haben. Sie ahnen vielleicht, dass gute Lösungen auch im Biolandbau sehr forschungsaufwändig sind. Wir haben neue Lösungen in 300 Videos auf Youtube dokumentiert. Mit 2,5 Millionen Zuschauern ist dies ein regelrechter Hit geworden.

 

Der Trend zu immer mehr Bio ist sehr positiv. Weniger positiv sind sicher nach wie vor  umweltschädliche Pestizide und Herbizide in der Landwirtschaft. Um darauf verzichten zu können, müssen Alternativen gesucht werden. Aber auch die Politik ist gefordert. Wie gross ist deren Unterstützung?

Urs Niggli: Momentan herrscht tatsächlich ein grosser öffentlicher Druck. Trotz aller positiven Anstrengungen hat die Schweizer Landwirtschaft immer noch Umweltprobleme mit Pestiziden, Herbiziden und zu vielen Düngern. Jeder Landwirt, der auf Bio umstellt, entschärft das Problem. Um das weiter zu beschleunigen, braucht es eine grosse Verschiebung der Forschung. Auch die IP-Bauern, die noch einen grossen Schritt vom Biolandbau entfernt sind, sollten in Zukunft mit biologischem Pflanzenschutz, mit mechanischer statt chemischer Unkrautbekämpfung oder mit organischen Düngertechniken arbeiten können. Da braucht es schon noch eine Umdenken in der Agrarforschung. Das FiBL alleine kann das nicht stemmen.

 

Indem ich als Konsument Bio-Produkte kaufe, trage ich auch zum Schutz von unserer Landwirtschaft, unseren Nutztieren bei. Stimmt diese Aussage?

Ja! Ein vorbehaltloses Ja. Da gibt es mittlerweile Tausende von Untersuchungen.

 

Bio Suisse hält seinem Jahresbericht auch fest, dass 2016 in der Schweiz pro Kopf 299 Franken für Bio-Produkte ausgegeben worden sind. Damit ist die Schweiz Weltmeisterin im Biokonsum. Können sich die Schweizer einfach mehr leisten als in anderen Ländern oder warum dieses Bekenntnis zu Bio?

Die Schweiz ist Spitze, auch deswegen, weil bei uns die Preise für Lebensmittel sehr hoch sind. Schaut man jedoch auf den Anteil von Bio am Lebensmittelmarkt, ist uns Skandinavien voraus. Europa ist generell im Biofieber und das geht auch weiter so. Bio passt einfach zu einem modernen Lebensgefühl. Ich glaube, Geiz ist beim Essen nicht mehr «geil».

Dass Bio bezüglich Qualität und Sicherheit gut ist und die Umwelt schont, dass wissen mittlerweile auch viele Konsumenten in China, Korea, Indien, in arabischen Ländern, in Nordamerika und eine wachsende Mittelschicht in Afrika. Es passiert mir immer häufiger, dass mich wildfremde Menschen in diesen Ländern über Bio «aufklären» wollen.

 

Ist der Schweizer Bio-Markt dem steigenden Anspruch der Konsumenten gewachsen?

Die Schweizer Konsumenten stellen bezüglich Qualität, Schmackhaftigkeit und äusserem Aussehen von Bioprodukten die allerhöchsten Ansprüche. Das erfüllen die Landwirte, die Lebensmittelverarbeiter und der Handel ausgezeichnet. Nur mit der Menge hinkt die Produktion hinter dem Wachstum des Marktes her.

 

Welche Bio-Produkte werden aus dem Ausland importiert, welche Anforderungen müssen diese Produkte erfüllen?

Die Bio Suisse führt für alle Knospe-Produkte eine zusätzliche Zertifizierung durch, um sicherzustellen, dass exakt die gleichen Anforderungen wie für die Inlandproduktion eingehalten werden. Da bei einigen wenigen Kriterien die Bio Suisse höhere Anforderungen als die EU-Bioverordnung hat, verhindert das teilweise ein Dumping. Trotzdem wird wegen den unterschiedlichen Lebenshaltungskosten im Ausland billiger produziert. Generell kann man sagen, dass heute weltweit eine einheitliche gesetzliche Mindestdefinition existiert, was Bio ist. Ware, die dem nicht entspricht, wird von der Lebensmittelkontrolle aus dem Verkehr gezogen.

 

Was kann unser Schweizer Bio-Markt abdecken?

Bei Milch- und Milchprodukten können die Schweizer Biobauern den einheimischen Markt abdecken, ebenso bei Fleisch und Eiern. Auch beim Gemüse hat die biologische Inlandproduktion einen hohen Anteil von 18 %, auf dem Markt macht der Anteil von Biogemüse sogar 21 % aus. Die Differenz ist nicht alles Import, da wertmässig Bio teurer ist. Vor allem im Winter wird Gemüse aus südlichen Ländern importiert. Die Schweiz ist kein Getreideproduktionsland, dort besteht deshalb der grösste Bedarf an Importen; dies sowohl bei biologischem Brotgetreide wie auch bei Futtergetreide. Die Eigenversorgung ist beim Kernobst (Äpfel) sehr gut, teilweise auch bei den Kirschen. Anderes Steinobst wie Pflaumen, Pfirsiche und Aprikosen wird im grösseren Massstab importiert.  Alles, was nicht in der Schweiz produziert werden kann, wird in grossen Mengen in biologischer Qualität aus dem Ausland eingeführt: Südfrüchte, exotische Gemüse und Beeren, Kakao und Kaffee, Oliven, Hülsenfrüchte oder Nüsse. Viel eingeführt werden auch Bioweine, in zunehmenden Mengen auch aus europäischen Spitzenlagen in Frankreich, Italien, Spanien und Deutschland.

 

Das FiBL in Frick steht im kommenden Jahr vor grossen Ausbauplänen. Macht sich hier auch der Trend zu mehr Bio bemerkbar?

Selbstverständlich wird das FiBL wichtiger, wenn der Bioanbau und der Biokonsum weiter wachsen. Das Wachstum des FiBL hat aber damit zu tun, dass wir bekannt sind, dass wir von anderen Forschungsinstitutionen als Partner für Projektanträge gesucht sind und dass wir immer wieder mit neue Ideen Geldgeber begeistern können. Auf das FiBL als private Stiftung wartet niemand, das heisst, wir müssen überdurchschnittlich gut sein, müssen sehr unternehmerisch auf die Geldsuche gehen und öffentliche Ämter, private Stiftungen, die Lebensmittelindustrie und die Biobauern überzeugen, dass unsere Forschung und Beratung das Geld wert sind. Krass ist das zum Beispiel bei EU-Projekten. Jedes Jahr schreiben wir 10 bis 15 Forschungsanträge, um fünf bis sechs bewilligt zu kriegen. Das ist zwar eine hohe Erfolgsquote, aber jeder Antrag erfordert mehrere Monate Arbeit, man verschleisst also viele Ressourcen. Noch schwieriger ist die Finanzierung einer Produkteentwicklung, zum Beispiel eines natürlich Pflanzenextraktes, das Kulturpflanzen vor Krankheitsbefall schützt. Selbst wenn von 3000 Extrakten 10 eine gute Wirksamkeit haben, dauert es noch ewig, bis alle Studien zur Umweltverträglichkeit oder zur Unbedenklichkeit für Menschen und Tiere gemacht sind. Wenn man dann mal so weit ist, dass alle Tests bestanden sind, muss die Natursubstanz dann noch in ein handelsfähiges Spritzmittel formuliert werden. 

 

Wer profitiert von dem Ausbau?

In erster Linie das FiBL. Wir können dank einer sehr modernen Forschungsinfrastruktur schweizerisch und europäische in der oberen Liga der Agrarforschung mitspielen. Und wir sind eine attraktives Aus- und Weiterbildungszentrum. Daneben werden noch mehr hochwertige Stellen in Frick geschaffen. Und schlussendlich soll das lokale Gewerbe bauen und einrichten können.

 

Was bedeutet für Sie persönlich Bio?

In unserem Haushalt in Frick finden Sie nur biologische Lebensmittel. Auch meine vier erwachsenen Kinder mit ihren sechs Buben essen und leben Bio. Auch am FiBL ist unser Restaurant ganz auf frisch und Bio ausgerichtet. Da ich viel reise, kann ich das leider nicht konsequent durchziehen, aber es gibt mittlerweile in viele guten Restaurants auf der ganzen Welt einzelne Bioprodukte auf der Speisekarte. Ich verwickle Küchenchefs und Personal gerne in Gespräche über Bio und motiviere sie, mehr zu tun. Doch ich mach es nicht nur dem Bauch zuliebe. Wir müssen ja eine umwelt- und tierfreundlichere Landwirtschaft entwickeln und da passt der Biolandbau perfekt rein.


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