Am Gesetz vorbei argumentiert

  28.04.2016 Brennpunkt, Möhlin, Wirtschaft, Landwirtschaft, Unteres Fricktal

Von Ronny Wittenwiler

«Die Post geht bei der Anwendung der Rechtsgrundlage ‹Hauszustellung› behutsam vor.» Dieser wohlklingende Satz stammt von der Schweizerischen Post selber. Und «Ja», erhielt die NFZ auf Nachfrage bestätigt: Selbstverständlich auch im Fall der Bauernfamilie Gremper in Möhlin gehe die Post bei der Anwendung der Rechtsgrundlage behutsam vor. Wer die jüngsten Vorgänge allerdings genau betrachtet – dafür ist auch ein Blick zurück nötig – könnte diese deklarierte Behutsamkeit anzweifeln.

Das war bislang geschehen
Beat Gremper, der zuvor seine Post an die alte Wohnadresse im Dorf hatte liefern lassen, gab am 18. März auf der Poststelle Möhlin seine neue Zustelladresse in Auftrag: den Ziegelhof, den er mit der Familie bewohnt und bewirtschaftet. Noch gleichentags erhielt Gremper dann aus Liestal mitgeteilt, man werde ihn nicht per Hauszustellung bedienen. Das liess sich die NFZ von der Post schliesslich bestätigen: Gemäss Artikel 31 der Postverordnung sei der Ziegelhof nicht zustellpflichtig. Folgendes Argument führte die Schweizerische Post dabei ins Feld: «Der Hof liegt mehr als 500 Meter ausserhalb des Siedlungsgebietes.»

Mit derselben Beharrlichkeit, wie der Staatsbetrieb diese 500 Meter für sakrosankt erklärte, genauso konsequent unterliess er es dagegen, dazu Stellung zu nehmen: Nämlich zur Tatsache, dass eine Zustellpflicht in ganzjährig bewohnte Häuser besteht, für deren Bedienung die Wegzeit von einer Siedlung aus nicht mehr als zwei Minuten beträgt (je 1 Minute für den Hin- und Rückweg).

Doch nachdem die Post verlauten liess, man habe die Distanz zum Möhliner Ziegelhof gemessen und sei die Strecke mit dem Auto abgefahren, hakte die NFZ nochmals nach bei der Schweizerischen Post in Bern (nachfolgend der Wortlaut). «Die Zuständigen müssen folglich auch zur Kenntnis genommen haben, dass die Wegzeit von der Siedlung bis zur Hofzufahrt deutlich weniger als eine Minute beträgt und die Wegzeit von der Siedlung bis auf den Hofplatz selber ebenfalls nicht mehr als eine Minute beträgt. Was sagt die Post dazu?» Die Antwort der Post kam einen Tag später, und sie wich der konkreten Frage aus: «Die zusätzliche Wegzeit von insgesamt 2 Minuten bezieht sich, wo dies möglich ist, auf die Zustellung mit motorisierten Fahrzeugen und entspricht ca. 1 km (Hin- und Rückweg).» Wieder also räumte die Post dem Kriterium Distanz alleinige Priorität ein.

Spätestens hier leistet sich die Post richtig dicke Post
Denn nicht bloss, dass man keine konkrete Antwort auf eine konkrete Frage erhält – noch viel sonderbarer ist die daraus abzuleitende Praxis, welche die Schweizerische Post im vorliegenden Fall an den Tag legt. Eine Praxis, die sich auch der NFZ erst bei genauerer Betrachtung gezeigt hat: In der Postverordnung selber steht nämlich kein einziges Wort über irgendwelche Distanzen, welche die Post zur Hauszustellung verpflichten beziehungsweise von ihr befreien würden. Das heisst also, man höre und staune: In ihrer Überzeugung, den Hof der Familie Gremper nicht mit Hauszustellung  bedienen zu müssen, verweist die Schweizerische Post auf die Postverordnung – und stützt sich auf ein Argument, das in dieser Postverordnung gar nicht erst vorkommt (ganz im Gegensatz zur oben beschriebenen Wegzeit, welche für den Ziegelhof eingehalten werden könnte).

Das Kriterium Distanz, auf dem die Post beharrt, ist lediglich im Erläuterungsbericht zur Postverordnung selber zu finden. Mirjam Teitler, Rechtskonsulentin und Rechtsanwältin vom Verband Schweizer Medien, erklärt: Bei diesem Erläuterungsbericht handle es sich entweder um eine Richtlinie oder eine verwaltungsinterne Verordnung ohne Aussenwirkung. Die Expertin hält fest: «Die Post kann sich nicht auf diese Richtlinien berufen. Vielmehr müsste sie den Einzelfall aufgrund der Postverordnung beurteilen. Für Dritte rechtswirksam ist die Postverordnung.» Dass sich die Post im vorliegenden Fall aber offenbar etwas schwer tut in der Unterscheidung, provoziert dann doch die Frage: Wieviel Behutsamkeit steckt hier wirklich in der Anwendung der Rechtsgrundlage «Hauszustellung» – und wo beginnt unter diesen Umständen eine unredliche Verweigerung der Postzustellung?


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