«Ich habe meinen Platz gefunden»

  24.10.2021 Kaisten, Persönlich

Barbara Keller lebt seit über drei Jahrzehnten in Ecuador

Die wirtschaftliche und soziale Lage in Ecuador ist zurzeit äusserst angespannt. Zudem hat Corona das Land in seiner Entwicklung rund 20 Jahre zurückgeworfen. Für die Kaisterin Barbara Keller ist das ecuadorianische Manglaralto gleichwohl der Ort, an dem sie vor 31 Jahren in der Mission Santa Maria del Fiat ihren Platz gefunden hat und sie sich seither für die Menschen in der Region einsetzt.

Susanne Hörth

«Ich wollte einfach mal ein Jahr gehen, daraus wurden dann zwei, zehn, zwanzig. Mittlerweile sind es einunddreissig Jahre», lächelt Barbara Keller auf die Frage, wie lange sie denn nun schon bei der Mission Santa Maria del Fiat im ecuadorianischen Manglaralto tätig sei. Aktuell weilt sie auf Heimurlaub bei ihren Eltern in Kaisten. Wobei «Heim» sich vor allem auf die Liebe und die Nähe zu den Eltern bezieht. Ihr Zuhause hat sie längst im über 20 Flugstunden entfernten südamerikanischen Land gefunden. Dort ist ihr Platz, dort ist sie vor über drei Jahrzehnten angekommen und findet seither in der anspruchsvollen Missionsarbeit Zufriedenheit. Und: «Da bin ich glücklich.» Glücklichsein ist für Barbara Keller keine Frage des Wohlstandes. Das Streben nach Materiellem und Reichtum sind ihr fremd. Sie ist glücklich, wenn sie sieht, dass die rund 1200 Schülerinnen und Schüler an der von der Mission betreuten Schule dank dieser Bildungsmöglichkeit eine Zukunft bekommen. Glücklich ist Barbara Keller zudem, wenn sie und ihre Missionskolleginnen behinderten Kindern und betagten Menschen helfen können. Mit Nahrungspaketen oder auch mit Matratzen auf die als Bett dienenden Bretter in den ärmlichen Hütten.

Die Anfänge
Warum Ecuador? Warum eine katholische Mission? Darauf Barbara Keller. «Ich wusste schon in ganz jungen Jahren, dass ich Gärtnerin werden will. Nach der Lehre machte ich einen halbjährigen Kurs an der Bäuerinnenschule, die von Benediktinerinnen vom Kloster Fahr geleitet wurde.» Wissen über den Gemüseanbau eignete sich an diesem Kurs ebenfalls eine junge Frau an, die normalerweise in einer Mission in Südamerika arbeitete. Eine Arbeit, für die sich auch Barbara Keller nach einem entsprechenden Dia-Vortrag interessierte. Gut konnte sie sich vorstellen, ebenfalls ein Jahr in einer solchen Mission tätig zu sein. Das teilte sie der jungen Missionarin mit und stiess bei dieser auf offene Ohren. Mit 21 Jahren bestieg Barbara Keller das Flugzeug mit dem Ziel Manglaralto. Der Ort, an dem sich die Mission Santa Maria del Fiat befindet, liegt direkt an der Küste, rund 200 Kilometer von der Hafenstadt Guayaquil entfernt. Die ersten Aufgaben, mit denen Barbara Keller betraut wurde, drehten sich um Garten- und Viehpf lege, nach und nach kamen neue Arbeiten hinzu, so auch das Unterrichten an der Schule.

«Ich habe es bis heute nie bereut. Es ist eine innere Sicherheit. Auf diese Stimme muss man hören, dann findet man das Glück.» So sehr sie ihre Berufung als Geschenk empfindet, so sehr weiss Barbara Keller auch, dass sie sich für einen Weg voller Herausforderungen entschieden hat. Ein Weg, der ihr zudem stetig neue Berufsfenster eröffnet. Zwischenzeitlich ist sie in der aus sechs Personen bestehenden Stiftungsführung für die Kommunikation und Zusammenarbeit zuständig. Während der letzten drei Jahre kam die Arbeit als Krankenpflegerin hinzu. Nach dem Schlaganfall des verantwortlichen Pfarrers wurde dieser rund um die Uhr betreut. Barbara Keller fungierte dabei oft als Übermittlerin für die sprachlose Kommunikation des Geistlichen.

Sein Tod bedeutete für die Stiftungsleitung, vermehrt Führungsaufgaben zu übernehmen. «Das ist nicht so meins. Ich stehe nicht gerne vorne, sondern arbeite lieber im Hintergrund», meint die 52-Jährige in ihrer authentischen, sehr bescheidenen Art. «Das, was ich mache gibt mir Friede und Freude. Es stimmt so einfach. Wenn wir helfen können, so bin ich glücklich.»

Glücklich in einem Land, in dem alles schwierig ist? «Es wird leider immer schlimmer. Das Land ist voller Korruption. Man kann sich nirgends Hilfe holen. Weder bei der Polizei noch bei der Justiz, geschweige denn bei der Politik. Wir dürfen uns nicht darauf konzentrieren. Wir schauen für die Randgruppen. Sie sind unser Wegweiser.» Mit einer ausholenden Armbewegung fügt sie an: «Es ist meine Aufgabe, das Gute weiterzugeben, nicht das Schlechte.»

Corona
Die Pandemie hat dem Land und seiner Bevölkerung massiv zugesetzt, tut es noch. «Der Staat hat hart durchgegriffen. Er verhängte eine monatelange Ausgangssperre. Alles wurde total lahmgelegt. Man durfte nur mit staatlicher Bewilligung herumfahren, um beispielsweise Essen einzukaufen», erzählt Barbara Keller. Es sei so ruhig geworden, dass sich sogar die wilden Tiere in den Städten ausbreiteten. «Irgendwann mussten die Leute aus Hunger aus den Häusern heraus. Dann kam es zum grossen Durcheinander. Viele wurden krank, viele starben.» Vor allem in den Städten. «Dank dessen, dass wir auf dem Land wohnen, konnten wir während der erlaubten Zeiten draussen herumlaufen.» Die Kirchen hätten kartonweise Lebensmittel gesammelt, welche dann von den Missionsmitarbeitenden in die Dörfer verteilt wurden. «Wir bekamen von Bäckereien Brot, das wir verteilen durften. Ein anderes Dorf, in dem sie vom Fischgang leben, hat uns kistenweise Fische gebracht. Es war unglaublich, wie man in einer Notsituation zusammenhält und das wenige, das man noch hat, auch teilt.»

Leise fügt Barbara Keller an: «Die Notsituation hält noch an. Seit zwei Jahren findet keine Schule statt. Alles geht nur über das Internet. Nicht alle haben das aber.» Für die Mission bedeutete das, Internetplattformen für den Fernunterricht aufzubauen, Lehrer und Schüler zu instruieren. Gleichzeitig auch, für alle jene, die weder über Internet, geschweige denn Computer, Tablets oder Smartphones verfügen, die von den Lehrpersonen erstellten Aufgabenblätter auszudrucken und zu den Schülern zu bringen. «Seit dieser Woche beginnt die Oberstufe wieder dank der Sammlung von Elternunterschriften», zeigt sich Barbara Keller erleichtert. «Was wir in diesen letzten zwei Jahren verloren haben, bedeutet für das ganze Land einen Rückschritt von zwanzig Jahren.»

Am 4. November tritt Barbara Keller den Rückflug nach Ecuador an. In diesem, ihrem Wahlheimatland, kann sie wieder auftanken. «In der Schweiz fehlt mir oft die Tiefe bei den Menschen. Alles ist hektisch, leistungsgetrieben.» Umgekehrt wird ihr in Ecuador die Schweizer Pünktlichkeit fehlen.

Am Samstag wird von 17 bis 20 Uhr vor der Kirche ein Kürbissuppenverkauf zugunsten von Barbara Keller (Ecuador-Hilfe) und Elsy Amsler (Afrika-Hilfe) stattfinden.


Die Mission
1972 hat die Mission Santa Maria del Fiat auf der Halbinsel Santa Elena die Pfarrei, bestehend aus 17 Dörfern übernommen. Anfänglich gab es viel Aufbauarbeit. Dazu zählen etwa sauberes Trinkwasser, Häuserbau für die ärmste Bevölkerung, für mehr Nahrung mehr Gemüseanbau, medizinische Unterstützung und vor allem auch Bildung. «Heute übernimmt der Staat davon immer mehr. Wir können es ihm überlassen», macht Barbara Keller deutlich, dass es sich hier letztlich um Staats- und nicht Kirchenaufgaben handelt. Die Mission mit ihren mittlerweile sieben Pfarreien und 35 Mitarbeitenden, alles Frauen, kümmert sich vermehrt um das Soziale. Nach wie vor konzentriert sich die Mission auf die Bildung. (sh)


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