Natur und Architektur auf Augenhöhe

  04.08.2021 Kaisten, Persönlich

Für den Architekten aus Kaisten ist sein Garten Rückzugsort und gleichzeitig eine nie versiegende Quelle der Inspiration.

Matthias Reimann

Der Lebenslauf von Peter Schweizer lässt auf Vielseitigkeit schliessen. Beim Gespräch wird allerdings klar, dass «Tausendsassa» ihn präziser beschreibt. Er hält aber nichts von Begriffen wie Universaltalent, denn Zeit seines Lebens hat er sich selbst als Handwerker gesehen – und so will er es auch belassen.

Sein ehemaliges Elternhaus steht am westlichen Dorfrand von Kaisten. Das solide, von Feldern umrahmte Haus wurde 1925 erbaut. Für Schweizer steht es für Langlebigkeit und berechenbare Werte. Ein neun Aren grosser Naturgarten umhüllt das Haus wie ein üppiger botanischer Schal. Das grüne Refugium ist eine unerschöpfliche Quelle der I n spi rat ion f ü r sei ne Arbeit.

Architektur wurde ihm von seinem Vater mit auf den Lebensweg gegeben. Bereits während seiner Gymnasial-Zeit merkte er allerdings, dass ein rein schulischer Weg nicht das Richtige wäre. Er hatte das Bedürfnis, die Hände ins Spiel zu bringen. Er wollte das Handwerk lernen und verstehen, wie die Arbeit eines Maurers, Dachdeckers oder Spenglers funktioniert. «Dieses Handwerkliche hat sich durch mein ganzes Leben gezogen» blickt Schweizer zurück. Nach der Schulzeit absolvierte er eine vierjährige Hochbauzeichner-Lehre und danach die Berufsmittelschule für Gestaltung. Zwischendurch arbeitete er immer wieder im Architekturbüro seines Vaters.

Lebenslängliche Neugier
Schweizers Leben war immer von Neugierde geprägt. Lernen und sich Neues beibringen liegt in seiner DNA. Dieser Wissensdurst war es auch, der ihn 2001 ein weiteres Handwerk erlernen liess: er trat eine Carrosserie-Lehre an und arbeitete danach fünf Jahre in leitender Funktion bei einem Carrosseriewerk in Brugg. Auch automobile Formen, Materialien und Farben haben im Leben und Schaffen von Schweizer immer ihren Platz gehabt.

Für Schweizer ist aktuelle Architektur und wie früher gebaut wurde vergleichbar: «In der Geschichte waren Siedlungen immer ein Spiegelbild, wie es den Menschen und ihrer Gesellschaft ging. Reichtum, Not, Überf luss – das alles widerspiegelt sich über den Lauf der Jahrhunderte in der Architektur.» Was er vermisst, ist die Würdigung des Alten: «Ob Genf, Basel oder Chur; es macht keinen grossen Unterschied. Die Fassaden gleichen sich, weil oft auch ‹alt› nicht wertgeschätzt wurde.» Beim Städtebau im 20. Jahrhundert sei häufig ohne Rücksicht auf Verluste abgerissen und neugebaut worden, ohne die Frage nach dem Erhalt von alter Substanz zu stellen. In diesem Zusammenhang sind für Schweizer kleinräumige Strukturen in einem Dorf oder ländliche Architektur besonders anfällig. «Dort sind die Auswirkungen sofort ersichtlich, während sie in Städten der Grösse wegen weniger auffallen.»

Aus Details entsteht Ganzes
Architektonische Schönheit und Ästhetik sind zentral in Schweizers Schaffen. Aber er beginnt seine Arbeit nicht mit Hochglanzbroschüren und aufwändigen Präsentationen. Die zentralen Faktoren seiner Arbeit sind Materialien und Handwerker. «Ich frage mich zu Beginn: Aus welchen Materialien kann ich ein Projekt bauen? Ich schaue mir die Umgebung erst an, bevor ich zu planen beginne» sagt er. Bewusst setzt Schweizer keine Farben ein: «Materialien wie Holz, Eisen, Mörtel und Beton haben wundervolle Eigenfarben, die keinerlei zusätzlichen Anstrich benötigen.» Schweizer ist detailversessen, sieht aber immer den Zusammenhang mit dem grossen Ganzen: «Aus Details entsteht erst Ganzes.»

Bevor Schweizer 2012 in Kaisten den Grundstein zu seinem eigenen Atelier legte, zog es ihn erneut in die Hörsäle: Seiner Wissbegier folgend, absolvierte er ab 2010 die vierjährige Ausbildung an der Schweizerischen Bauschule in Aarau. An seiner heutigen Arbeit schätzt er das alleine arbeiten, obwohl er sich bei entsprechendem Arbeitsanfall Unterstützung herbeiholt. «Ich schätze den Austausch mit Architekten-Kollegen, der Bauherrschaft, Handwerkern und anderen Menschen in einem Projekt. Aber der Freiraum, bei meiner Arbeit selbst bestimmen zu können, ist kostbar.» Multidisziplin spielt auch hier wieder mit: «Weil ich alles selbst mache, arbeite ich vermutlich intensiver. Ich bestimme alles selbst, trage aber auch die Verantwortung dafür.»

Kaisten ist Heimat
Sein Haus und der Naturgarten sind seine Heimat und eine wichtige Oase. Die wirkliche Bedeutung des Gartens hat ihm allerdings seine Lebenspartnerin nähergebracht. Sie widmet sich dem Refugium mit sehr viel Herzblut und Hingabe, und er liess sich davon anstecken. Peter Schweizer hat sein ganzes Leben in Kaisten verbracht. «Ich bin hier aufgewachsen und habe die Veränderungen rundum gesehen. Es enttäuscht mich etwas, wie eine biologische Vereinsamung stattfindet. Neben der Zersiedelung führen auch landwirtschaftliche Monokulturen zu einem Artenabbau.» In seinem Garten steuert Schweizer bewusst gegen diese botanische Verarmung an: seit vielen Jahren zieht er unter anderem alte Hochstamm-Obstsorten. Das ausladende Refugium überlässt er zu einem grossen Teil sich selbst. Diese Ungestörtheit hat ein reichhaltiges Insektenleben in den Garten gelockt. Dieser aussergewöhnlichen A rtenvielfalt ist es zu verdanken, dass der gemeinnützige Verein Pro Natura den Garten mit zwei von drei möglichen Schmetterlingen auszeichnete. Schmetterlinge sind wie Punkte für ein Sternerestaurant.

Bei einem Rundgang durch seinen grünen Rückzugsort versteht man, weshalb der Garten eine nie versiegende Quelle der Inspiration für Peter Schweizer ist. Die Grundgesetze der Natur sind für ihn die Basis seiner Arbeit. Es sind eben die Details, die das Ganze für ihn ausmachen.


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