«Die Gäste werden mir fehlen»

  01.08.2021 Gansingen, Persönlich

Ende August schliesst das Restaurant Gartenlaube

Seit über dreissig Jahren wirtet Dorli Erdin auf der «Buurebeiz» im Gansinger Ortsteil Büren. Bei ihr kehren sowohl der Arbeiter wie der Geschäftsmann gerne ein.

Bernadette Zaniolo

«Die Kontakte mit so vielen Menschen kann man nicht hoch genug schätzen», sagt Dorli Erdin voller Freude. Beim Gespräch an diesem Montagabend, ihrem «freien» Tag, wird es emotional. Viele Erinnerungen flammen auf. Dorli Erdin hat die «Bürer Pinte» – wie das Restaurant von vielen Gästen genannt wird – im Alter von 41 Jahren übernommen. Das war 1992, als sie das Wirtepatent gemacht hat. Doch sie war bereits seit 1990, nach dem Tod ihres Vaters, für das «kulinarische» Wohl der Gäste verantwortlich. Sie sei einfach so hineingewachsen, sagt sie zu ihrer «Berufung».

Dorli Erdin stand jedoch nicht nur all die Jahre hinter dem Herd und bekochte die Gäste, sie war meistens auch Serviertochter und für so manchen Gast sogar «Seelsorgerin». «Für viele Leute war sie wie eine Mutter. Man hat sich in der Pinte immer heimisch und sehr gut aufgehoben gefühlt und die Küche war sehr gut. Es gibt keine Zweite wie Dorli, ein Dorforiginal», sagt Dölf Erdin, OK-Präsident der Anlässe des Reit- und Fahrvereins Laubberg (RFVL) Gansingen und ehemaliger Präsident des Veloclubs Gansingen. Die «Bürer Pinte» ist seit vielen Jahren das Stammlokal des Veloclubs und des Reitvereins. So werden an der Austrinkete am letzten Samstag im August nicht nur Mineralwasser, Bier und Wein f liessen, sondern auch so manche Träne. Und auch die eine und andere Anekdote wird da nochmals die Runde machen und für Schmunzeln sorgen.

«Ich bin eigentlich immer zufrieden und ich würde es rückblickend nicht anders machen», so die 70-Jährige. Sie staunt, wie viele Menschen unzufrieden sind «und doch könnten sie es nicht schöner haben». Auch wenn Dorli Erdin als Gastgeberin lange Präsenzzeiten hatte, «ich war immer mein eigener Chef». Mit der «Metzgete» und der gut bürgerlichen Küche hat sie sich weit über die Region hinaus einen Namen gemacht. Sie ist sich bewusst, dass man aus dem Lokal mehr hätte machen können. «Man hätte aber auch viel investieren müssen. Um ein solches Restaurant zu führen, muss man Idealist sein», sagt die «Pinte»-Wirtin mit strahlenden Augen.

Dankbarkeit und Veränderungen
Dorli Erdin ist dankbar, dass sie – «wenn Not an Frau war» – auf die Mithilfe von drei Frauen zählen durfte sowie auf die ihrer Geschwister (drei Brüder und eine Schwester). «Rita hat viel geholfen», sagt Dorli. In den 30 Jahren Wirtetätigkeit hat sich aber auch einiges geändert. So waren damals Stammgäste selbstverständlich. «Heute geht man bewusster auswärts essen», weiss die Gansingerin. Viele Menschen haben heute schöne Küchen und «sie bilden sich in Sachen Kochen weiter». Auch das Rauchen und Trinken hätte abgenommen. «Aber das ist ja nicht falsch. Es war früher eine andere Zeit.» Bei der Frage, was sie denn selber gerne esse beziehungsweise was sie für sich kocht, wenn sie frei hat, überlegt Dorli Erdin. «Raclette, das kann ich auch bei diesem warmen Wetter essen», sagt sie schmunzelnd und ergänzt: «Oft werden dann aber Reste verwertet. Heute gabs verschiedene Salate. Käse habe ich sehr gerne, vor allem Hartkäse. Am liebsten Sbrinz.» Dorli Erdin kennt nicht nur «ihr» Gansingen; sie ist auch «auf der Welt herumgekommen». Unter anderem hat sie Amerika mit dem «Greyhound»-Bus bereist, war mehrere Wochen mit der Transsibirischen Eisenbahn unterwegs von Zürich nach Peking («eine eindrückliche Reise» mit 54 Teilnehmern), hat in Alaska Elche und Bären gesehen oder war ein Jahr als Au-Pair in London und hat dort in einer Sprachschule auch Englisch gelernt. Gelernt hat sie auf diesen Reisen und über die Jahre auch: «Es ist nicht alles selbstverständlich im Leben und im Alltag. Man lernt gewisse Sachen bewusster zu schätzen und ist dankbar.» Vielleicht ist es diese Dankbarkeit, die Dorli Erdin schon über 30 Mal dazu bewogen hat, an der 40-Kilometer langen Fusswallfahrt von Hornussen nach Todtmoos (D) teilzunehmen (auch tags darauf den Retourweg bis nach Laufenburg). «Skifahren mache ich so lange wie ich keine Kondition benötige», verrät sie eine grosse Leidenschaft. «Das Skifahren war mir immer wichtig.» Seit vielen Jahren ist die «Pinte»-Wirtin auch Mitglied in der hiesigen Frauenriege sowie im Verein Nordic Walking Mettauertal. Während der Pandemie bedingten Schliessung sei sie regelmässig walken gegangen. «Es ist nicht gut, wenn man nichts zu tun hat», ist Dorli Erdin überzeugt. Es brauche einen Rhythmus. Diesen wird sie bestimmt für sich auch nach dem Ende der Wirtetätigkeit finden. «Ich konnte ja in den letzten Monaten ‹trainieren›», sagt sie lachend. Sie lässt ihr «Pensionierten-Leben» auf sich zukommen. Dennoch verrät sie der NFZ, dass zu einem späteren Zeitpunkt der Umzug in eine Wohnung (im Dorfkern) vorgesehen ist. «Der Zusammenhalt hier in Gansingen ist gross», betont Dorli Erdin. Das glaubt man ihr aufs Wort, denn sie fügt gleich an: «Ich werde mich im sozialen Bereich engagieren.» So stellt sie sich etwa als Fahrerin für Arzttermine oder zum Einkaufen zur Verfügung. «Man muss nicht immer für alles bezahlt werden», schiebt sie mit einer Selbstverständlichkeit nach. Und was wird aus der Liegenschaft? Diese gehört der Erbengemeinschaft. Nach dem Umzug soll das Gebäude zum Kauf angeboten werden. «Es soll jedoch kein Spekulations-Objekt werden», betont die Mitbesitzerin. Nach der Schliessung Ende August will Dorli Erdin aber erst einmal in Ruhe mit Aufräumarbeiten beginnen. Zuerst findet jedoch ein innerliches Aufräumen statt, denn die «Pinte»-Wirtin sagt mit Tränen in den Augen: «Die Gäste werden mir schon fehlen.» Damit endet auch eine Ära.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote