«Ich will selber für mich und meine Kinder sorgen»

  14.07.2021 Persönlich, Rheinfelden

Nabila Ali Omar: Dem Terror und der Anarchie in Somalia entflohen

Nabila Ali Omar kommt aus Somalia und damit aus einer anderen Kultur. Sie denkt und verhält sich wie eine vorbildliche Schweizerin. Sie ist arbeitsam, zuverlässig und ehrlich und möchte nun ihr eigenes Geschäft aufbauen. Sie will nicht mehr von Sozialhilfe abhängig sein. In der Rheinfelder Altstadt hat sie im vergangenen Monat das Take-Away «Issra» eröffnet.

Edi Strub

Nabila Ali Omar, 1983, ist als Kind einer wohlhabenden Familie aufgewachsen. Ihr Vater und ihre Mutter besassen in der somalischen Hauptstadt Mogadischu mehrere grosse Geschäfte. Sie verkauften Kleider, Lebensmittel und Autoteile. Die Familie lebte in einem grossen Haus zusammen mit der Grossmutter, Tanten, Cousinen, Cousins und andern Verwandten. «Insgesamt waren wir etwa zwanzig Personen. Es war selbstverständlich, dass ärmere Mitglieder der Grossfamilie bei uns leben und essen konnten.» Dann kamen der Krieg und schliesslich die Anarchie und der Terror der Warlords, Piraten und Islamisten. «Mein Vater musste Schutzgelder bezahlen und beschäftigte zeitweise über zwanzig Soldaten, die ihn vor Anschlägen auf sein Leben und Eigentum schützten.» Doch eines Tages ist Nabilas Vater dennoch ermordet worden, zusammen mit Nabilas Brüdern, weil er sich weigerte, den Terroristen auch noch ihre Waffen zu bezahlen.

«Du musst weg, ich komme mit der Grossmutter dann später», sagte Nabilas Mutter. Nabila hatte ein paar Monate zuvor ein Kind bekommen. Dennoch band ihr die Mutter einen grossen Beutel mit Geld und Gold um den Leib, damit sie wie eine Schwangere aussah. Denn eine Frau in Erwartung abzutasten, war selbst für ruchlose Krieger und Wegelagerer tabu. Über Äthiopien, Griechenland und Österreich schaffte es Nabila mit Schleppern bis in die Schweiz. «Es war eiskalt, als ich mit meinem Baby im Berner Bahnhof ankam. Ein Mann, den ich um Hilfe bat, brachte mich schliesslich zu einer somalischen Familie.» Die Mutter Nabilas erlag wenig später einer Herzattacke, sie konnte ihr Versprechen nicht umsetzen, ihrer Tochter nach Europa zu folgen.

Monatelang in Flüchtlingslagern
Nabila sass monatelang in Flüchtlingslagern. Schliesslich wurde sie krank, ein angeborenes Rückenleiden begann sie zu plagen. Der Arzt sagte, sie könne höchstens vierzig Prozent arbeiten. Auch andere sagten: «Du bist krank, du kannst dein Leben nicht selbst verdienen, dafür gibt es in der Schweiz Sozialhilfe. Mach Dir keine Sorgen.» Doch das war nicht der Weg, den Nabila gehen wollte. Sie wollte selber für sich und ihre beiden Kinder (inzwischen war ein Sohn dazu gekommen) aufkommen. «Ich wollte eine Mutter sein, auf die die Kinder einst stolz sein würden. Keine Bettlerin und Almosenempfängerin.»

Nabila lernte Deutsch. «Wenn man in einem neuen Land leben will, muss man die Sprache lernen. Das war für mich klar.» Bald konnte sie für andere Somalier dolmetschen, wenn sie zum Arzt mussten oder zur Lehrerin ihrer Kinder. Doch für Nabila war das zu wenig. Sie bekam zu wenig Aufträge, um davon eine Familie zu ernähren. Und so besann sie sich auf ihr Können als Köchin. Im Elternhaus hatte sie viel gekocht, oft für zehn oder zwanzig Personen. Und so entwickelte sie den Plan, ein Take-Away zu eröffnen. Jemand, der nicht genannt werden will, bezahlte ihr eine Kurz-Ausbildung bei Crescenda in Basel für angehende Beizerinnen. Und schliesslich bewarb sie sich um ein kleines Lokal in der Rheinfelder Altstadt. Der Besitzer des Lokals war erstaunt, als sie ihm gestand, dass sie von der Sozialhilfe lebe und keine Mittel einzubringen vermöge. Doch er wies sie nicht einfach ab, sondern setzte sich mit Nabilas Referenzen bei der Katholischen Kirche und der Integrationsfachstelle in Verbindung. Und dort bekam er nur Vorteilhaftes zu hören. Alle baten ihn, Nabila doch eine Chance zu geben. Sie musste bloss versprechen, ihn rechtzeitig zu informieren, wenn sie es nicht schaffe, mit dem Take-Away genügend Geld zu verdienen.

Grosses Lob
Seit Mitte Juni nun bietet Nabila in der Brodlaube jeden Tag zur Mittagszeit zwei somalische Gerichte zum Mitnehmen an. Eins mit Fleisch, eins für Vegetarier. Dazu Sandwiches, Fingerfood und dergleichen. Jeden Tag würden etwa acht bis zehn Personen kommen, erzählt sie. Sie habe Angst gehabt, dass die Leute ihr Somali-Essen nicht mögen. Sie mache daher alles weniger scharf als man es in ihrer Heimat gewohnt sei. Doch alle hätten ihr Essen gelobt, es sei sehr lecker. Und dann hätten sie Mengen von Flyern mitgenommen, um sie an Kolleginnen und Freunde zu verteilen. Auch die Nachbarn in der Brodlaube seien sehr freundlich. Als einmal ein ganzes Büro gemeinsam essen wollte, hätten sie spontan Stühle und einen Tisch herbeigeschafft.

Nabila hofft, dass sie eine stabile Kundschaft findet. Eben habe eine Frau angerufen und mitgeteilt, dass sie nun in die Ferien gehen würde. Nach den Ferien würde sie aber bestimmt wieder kommen, Nabila solle nicht aufgeben. Irgendwann hofft Nabila ein grosses Restaurant aufmachen zu können. Trotz häuf igen Schmerzen im Rücken wolle sie wie ihre Mutter eine Geschäftsfrau werden. «Issra» heisst das Take-Away – so wie ihre Tochter. Auf somalisch bedeutet das «Reise in der Nacht». Nabila hofft, dass sich ihr Traum erfüllt, selbstständig für sich und ihre Kinder zu sorgen. Und irgendwann möchte sie auch Schweizer Bürgerin werden. Denn zurück nach Somalia könne sie nicht mehr. Der Krieg und Terror hätten ihre Familie ausgelöscht.


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