Ein Lehrer und Opernfan

  19.06.2021 Persönlich, Rheinfelden

Während 41 Jahren hat Stefan Lütte an der Primarschule Rheinfelden unterrichtet. Anfang Juli geht er in Pension. Der Opernliebhaber will in Etappen nach Bayreuth wandern.

Valentin Zumsteg

«In einem Aufsatz in der Primarschule habe ich geschrieben, dass ich später einmal Primarschullehrer werden möchte. So ist es gekommen», erzählt Stefan Lütte mit einem Lachen. Zum Beweis legt er das Schulheft von damals auf den Tisch. In schöner Schnürlischrift legt er dar, wieso er diesen Beruf ergreifen möchte. Für den Aufsatz bekam er übrigens die Note 2. Das tönt jetzt nicht so vielversprechend, doch es war noch das alte Notensystem – heute würde das einer 5 entsprechen.

Über 60 Bewerbungen waren nötig
Nach der Volksschule hat Stefan Lütte, der in Basel aufgewachsen ist, das Lehrerseminar im Kanton Zug besucht. Fünf Jahre dauerte die Ausbildung, zu der auch viel Praxis gehörte. «Danach wusste man, wie es geht.» Er fühlte sich bereit für den Beruf, doch eine Stelle zu finden, gestaltete sich schwierig. «Als ich das Seminar begonnen hatte, gab es einen Lehrermangel. Als ich fertig war, hatte es zu viele Lehrer», erinnert sich der 64-Jährige. Über 60 Bewerbungen musste er schreiben, bis es endlich mit einer Anstellung klappte. So begann er 1980 seine Arbeit – eher zufällig – in Rheinfelden. Die ersten zwölf Jahre war er im neuen Schulhaus im Augarten, 1992 wechselte er ins altehrwürdige Hugenfeldschulhaus im Städtchen.

Er hat die Schule geprägt. Legendär sind seine Theater, die er jedes Jahr mit den Schülerinnen und Schülern aufführte. Da steckte der Opernfan viel Herzblut hinein. «Es ist schön, wenn man zusammen etwas erarbeiten kann. Das hat den Zusammenhalt in der Klasse immer gefördert.» Acht Theaterstücke hat er selber geschrieben und dazu Märchen adaptiert. «Die Vermittlung der Schriftsprache war mir dabei immer wichtig.»

«Die ersten Schüler sind jetzt 50 Jahre alt»
Nach insgesamt 41 Jahren als Primarlehrer geht er nun auf Ende des laufenden Schuljahrs, Anfang Juli, in Pension. Das letzte Theater wird derzeit mit den Kindern vorbereitet, es handelt sich um das Stück «Wilhelm Tell in Amerika» mit der Tell-Overture von Rossini als musikalische Begleitung. «Damit schliesst sich für mich ein Kreis. Das erste Theater im Augarten war ein Singspiel, ebenfalls mit Wilhelm Tell.» Manchmal staunt er selbst, wie schnell die Zeit vergeht. «Die ersten Schüler, die ich im Augarten unterrichtet habe, sind jetzt 50 Jahre alt.»

Lütte hat als Primarlehrer unzählige Veränderungen in der Bildungslandschaft miterlebt. Vieles habe sich zum Positiven gewandelt, anderes gefällt ihm weniger: «Die Einführung der integrativen Schule und die Auflösung der Einführungs- und Kleinklassen sehe ich kritisch. Es bräuchte in den Klassen viel grössere Ressourcen für die Heilpädagogik, das fehlt heute.» Veränderungen stellt er auch bei den Schülerinnen und Schülern fest. «Sie sind heute selbständiger als früher, aber auch lauter. Ich habe das Gefühl, dass viele in den Sprachen schwächer sind als früher. Dafür können sie gut mit technischen Hilfsmitteln umgehen.» Die Rolle des Lehrers habe sich ebenfalls gewandelt. «Wir sind heute mehr Coaches und weniger Pauker». Er selber sieht sich als «strengen Lehrer», dem es ein Anliegen ist, dass die Kinder vorwärtskommen. «Der Humor ist aber ebenso wichtig. Man soll zusammen lachen können – und dann wieder arbeiten.» Während 14 Jahren hat Stefan Lütte neben dem Unterrichten das Schulrektorat geführt. Das Rektorat wurde später durch die Schulleitungen ersetzt, die über mehr Kompetenzen verfügen. «Ich war in einem der ersten Ausbildungskurse vom Kanton zum Schulleiter. Ich habe diesen abgeschlossen, nachher aber nie als Schulleiter gearbeitet.» Die Personalführung und die ganzen administrativen Schreibangelegenheiten sind nicht seine Welt, wie er feststellte. «Ich hätte nur noch wenig unterrichten können. Diese Perspektive gefiel mir nicht, so habe ich mich dann entschlossen, zu 100 Prozent Lehrer zu bleiben.»

Wenn nicht Lehrer, dann Opernregisseur
Er freut sich nun auf das neue Kapitel in seinem Leben, auch wenn etwas Wehmut zum Abschied mitschwingt. «Es ist schön, dass ich diesen Lebensabschnitt abschliessen kann. Ich habe aber immer noch Freude an der Arbeit mit den Kindern. Wenn man älter wird, braucht es aber mehr Energie.»

Rheinfelden ist ihm und seiner Frau, die aus Nordrhein-Westfalen stammt, zur Heimat geworden. Hier haben sie ihre zwei Töchter aufgezogen, hier wollen sie auch in Zukunft bleiben.

Einen anderen Beruf hätte er sich nie vorstellen können – ausser vielleicht Opernregisseur. Denn Stefan Lütte ist ein grosser Wagner-Liebhaber. Jedes Jahr reist er an die Wagner-Festspiele in Bayreuth. Die Musik ist neben dem Wandern sein grosses Hobby. Manchmal verbindet er die zwei Dinge auch: Seit längerem verfolgt er das Projekt, in 29 Etappen von Rheinfelden nach Bayreuth zu wandern. Die nächsten Etappen führen ihn mit seinem Hund Elsa auf diesem Weg von Donaueschingen nach Stuttgart. Daneben will er die neugewonnene Freizeit nutzen, um Italienisch zu lernen.

Die Zeit als Lehrer neigt sich dem Ende zu, doch ein Hintertürchen lässt er sich noch offen: «Bei Bedarf helfe ich am Sporttag, bei einer Schulreise oder bei den Weihnachtsfenstern gerne mit, denn wir haben hier ein tolles Team. Stellvertretungen von Lehrpersonen möchte ich deshalb höchstens im Schulkreis Altstadt übernehmen.» Vorerst gilt aber: Wagner und Bayreuth rufen. Stefan Lütte betont: «Jetzt freue ich mich auf das, was kommt.»


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