Bilder als Mosaiksteine eines Lebens

  05.06.2021 Kunst, Persönlich, Laufenburg

In Syrien wie in der Schweiz – Raja Dibeh ist Künstler aus vollem Herzen

Raja Dibeh war in Syrien ein namhafter Künstler, bis der Krieg seine Karriere beendete. Seit 2015 ist er in der Schweiz – auf der Suche nach einem neuen Leben. Ohne Malerei geht es dabei nicht. Jüngst fand in Laufenburg seine fünfte Ausstellung mit hier entstandenen Werken statt.

Birke Luu

Wann immer es geht, findet man Raja Dibeh momentan im Laufenburger Atelier Quelle. Trudi Hofer, selbst Malerin, teilt gerne ihr Atelier mit dem höflichen und sensiblen Künstler aus Syrien, der diese Geste sehr zu schätzen weiss. Das fremde Atelier bietet ihm die Möglichkeit, einen wesentlichen Teil seiner selbst auszuleben, er selbst zu sein. «Mein Leben ist die Kunst», erklärt der 49-Jährige mit Nachdruck.

Kunst sei in seiner Jugend erst ein Hobby gewesen, dann habe er dies in Damaskus studiert und schliesslich in Bloudan, einem Ort rund 50 Kilometer nordwestlich von Damaskus, ein eigenes Atelier eröffnet. Er malte und zeichnete, restaurierte alte Werke, war als Bildhauer, Fotograf und Designer tätig. Zudem hatte er eigene Schüler, organisierte monatliche Ausstellungen und war 1994 bis 2015 Vorsitzender der «Union of Fine Arts in Syria». Über 20 000 Zeichnungen verkaufte er im ganzen arabischen Raum, rund 7000 seiner Öl-Bilder erstanden Käufer aus der ganzen Welt. Raja Dibeh wurde also zum bekannten Künstler, dessen Werke auch international gefragt waren. Doch das Erstarken des «Islamischen Staates» und der Beginn des Krieges in Syrien beendeten abrupt sein sorgenfreies Leben und seine Karriere. Sein Atelier wurde verwüstet und viele Werke zerstört, beschädigt oder gestohlen. Aufgrund seines Berufes und seiner Religion f loh der orthodoxe Christ in die Schweiz, welche er nur aus Zeitschriften voller schöner Naturaufnahmen kannte.

Neubeginn im Aargau
Innert kurzer Zeit wurde so 2015 aus dem namhaften Künstler ein vorläufig aufgenommener Asylbewerber. Raja Dibeh wurde dem Kanton Aargau zugewiesen, wohnte dort in den letzten sechs Jahren in verschiedenen Asylunterkünften. Aktuell teilt er sich mit zehn jungen Männern ein Haus

in Wegenstetten, wartet auf seine B-Bewilligung. Es ist ihm anzumerken, wie schwer die letzten Jahre für ihn waren. Er schätze das schöne Leben in der Schweiz, habe aber daran noch nicht richtig Anteil, beurteilt er seine Situation. Als Asylbewerber unterliegt er den entsprechenden behördlichen Vorgaben, ist nicht Herr seiner selbst, hat keine feste Arbeitsstelle, kein eigenes Einkommen, keine Privatsphäre. Seine ungewisse Zukunft belastet ihn.

Willkommene Hilfe und Ablenkung bietet Raja Dibah in dieser Zeit des Wartens seine Malerei. Zwei Jahre lang durfte er für andere Flüchtlinge einen integrativen Malkurs an der UMA Schule Aarau leiten, doch Corona beendete diese Tätigkeit. Seit Sommer 2020 kann er nun im Atelier Quelle von Trudi Hofer malen. Der Kontakt kam zustande durch die Integrationsfachstelle «mit.dabei-Fricktal». Sie bot ihrem Kollegen kurzerhand an, ihr Atelier mitbenutzen zu dürfen. Und so sitzen die abstrakt malende Schweizerin und der gegenständliche Maler aus Syrien nun im kleinen Laufenburger Atelier und malen Seite an Seite.

Fotorealistische Werke
Raja Dibah ist ein vielseitiger Künstler, der auch schon verschiedenste Malstile ausprobiert hat. Sein Fokus ist jedoch die gegenständliche, ja fotorealistische Technik. Mit grösster Präzision und Sorgfalt bringt er das, was er genauestens beobachtet hat, aufs Papier. Etwas verschämt meint er: «Ich zeichne Menschen immer nur vom Foto ab, denn um so realistisch malen zu können, müsste ich die Leute sonst zu sehr anstarren.» Dass er überhaupt Portraits zeichnet, liegt daran, dass er Christ ist. Im islamischen Raum habe man es nämlich nicht gerne, dass Gesichter gezeichnet würden, erklärt er. Auch der Ursprung seiner Affinität für die gegenständliche Malerei liege in der syrischen Gesellschaft. «In Syrien sind reale Bilder beliebt. Abstrakte Kunst hingegen wird nur in akademischen Kreisen gekannt und verstanden.» So malte er damals, als der Tourismus in Syrien boomte, zahlreiche Landschaften, fiktive wie reale, für die neu erbauten Hotels und stattete Restaurants, Konferenzräume und Foyers mit seinen Werken aus.

Künstlerisches Asyl
Und was ist nun hier in der Schweiz? Hier könnte er zwar frei von gesellschaftlichen Vorgaben malen, doch seine stark begrenzten (finanziellen) Möglichkeiten schränken ihn ein. «Für abstrakte Kunst braucht es meist viel Leinwand und Material», erklärt der 49-Jährige. Er müsse momentan die vorhandenen günstigeren Möglichkeiten nutzen und auch auf Holz oder Karton malen. In Syrien hätte er seine verwendeten Materialien und Farben selbst hergestellt oder gekauft, in
Trudi`s Atelier darf er nicht wählerisch sein, kann sich glücklicherweise an deren Ausstattung bedienen. An den gesundheitsdienlicheren Schweizer Farb- und Materialstandard muss er sich dabei noch gewöhnen. Und auch daran, dass das Parkett im Atelier sauber zu hinterlassen ist und er nicht nach Lust und Inspiration einfach mal die Nacht durchmalen kann. Er vermisst verständlicherweise sein altes Leben, weiss jedoch, dass es nie wiederkommen wird. In Syrien hat er keinen Kontakt mehr zu seinen ehemaligen Künstler-Kollegen, die es in alle Welt zerstreut hat. Kontakt hat der Ledige nur noch zu seiner Familie, die in Syrien immer noch wie zu Kriegszeiten lebe, nur eben ohne Raketen: «Kein Geld, kein Strom, keine Ärzte oder Medizin – das ist kein wirkliches Leben.» Aufbau sei dort nicht spürbar, an eine gefahrlose Rückkehr nicht zu denken.

Sein Leben geht also nur in der Schweiz vorwärts – er hofft, nach sechs Jahren nun bald von den Behörden Klarheit über seinen Aufenthaltsstatus zu bekommen. Und dann möchte er endlich die Flüchtlingszeit hinter sich lassen, wieder normal leben, malen und davon seinen Unterhalt bestreiten. «Malen ist in meinem Blut. Ich träume nachts von neuen Gemälden und Farben. Ich habe keine Pausen, möchte einfach immer weiterzeichnen», lacht er. Bis es soweit ist, bietet ihm Trudi Hofer in ihrem Atelier künstlerisches Asyl. Es entstehen unter anderem Werke mit Motiven, welche nur in der Schweiz entstehen konnten. Raja Dibeh`s Bilder spiegeln also bereits seine neue Heimat wider – sein Aufenthaltsstatus bislang noch nicht.

 


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote