Ein Werdegang mit Quantensprüngen

  23.05.2021 Persönlich, Schwaderloch

Franz Meyer: Vom Schreiner zum Strahlenschutzexperten

Während 37 Jahren waren unsichtbare Strahlen und deren Quellen die täglichen Begleiter von Franz Meyer: Seine Schreinerkarriere endete als Strahlenschutzexperte. Energiegeladen ist er auch im Ruhestand, wo ihn eine Vision antreibt: Ein ausgedienter Bunker soll als Naturschutz-Beobachtungsstelle die Gemüter der Besucher inmitten der Natur erstrahlen lassen.

Paul Roppel

«Hier, dieses Büro war während 21 Jahren mein Arbeitsplatz als Beamter beim Bundesamt für Gesundheit», lädt Franz Meyer zum Gesprächstermin in den hellen, grossen Nebenraum ein. Verschmitzt fügt er an: «Mit Dienstort Schwaderloch; vernetzt mit den Bundesstellen, die Büromöbel hat Bern geliefert». Also ein Einzelarbeitsplatz zuhause, nur wenige Schritte vom Wohnzimmer entfernt, Jahre bevor das Wort Homeoffice überhaupt geboren war. «Langweilig war es mir nie. Denn neben der Bürotätigkeit war ich tagelang unter Leuten, auf Inspektionstour in der ganzen Schweiz», ergänzt der vife und sportlich fitte 74-Jährige, der den Zuhörer mit interessanten Erzählungen in Beschlag nimmt. Für das Büro als Anbau zum Einfamilienhaus habe er mit Kollegen den Aushub gemacht, betoniert und gemauert. «Mein handwerkliches Geschick kam mir hier zugute», bekennt er; der Raum ist mit Holz gefällig eingerichtet.

Firma Pleite gegangen
Meyer ist nämlich gerne Handwerker. Er hat in Sulz eine Lehre als Bau- und Möbelschreiner gemacht. Er wurde andernorts Küchenmonteur, später Zeichner, Arbeitsvorbereiter und Montageleiter. Er hatte eine Ausbildung für Innenarchitektur begonnen, die aber ein jähes Ende fand. Als 27-Jähriger war er nämlich mitten in der Bauphase seines Einfamilienhauses als er den Job verlor, weil die Firma Pleite ging. «Das war ein grosser Schock und Existenzängste plagten mich und meine Frau», erinnert sich Meyer. Ein neuer Job musste dringend her, der sich im Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung (EIR, dem Vorläufer des heutigen PSI) in Würenlingen anbot – als Betriebsschreiner. Zwei Jahre später lockte ein finanziell interessantes, aber komplett neues Angebot im Zweischichtbetrieb für die Sortierung, Abpackung und die Entsorgung des bereitgestellten radioaktiven Materials. Hier, im praktischen Alltag, ausgerüstet in fremdbelüfteter Vollkörperspezialmontur, machte er wegen der Radioaktivität erstmals Bekanntschaft mit den strikten Vorschriften, Schutzmassnahmen und Überwachungen.

Strahlen und Radioaktivität
Schon wenige Monate später akzeptierte er das Angebot sich als Strahlenschutz-Kontrolleur ausbilden zu lassen. Der 30-Jährige, der sich zuvor mit Holz, Hobelspänen und Sägemehl herumgeschlagen hatte, erlebte einen beruflichen Quantensprung, der ihm die Welt der Atomkerne, Neutronen und Protonen und des nukliden Zerfalls näher brachte, und ihn konfrontierte mit den einhergehenden Alpha-, Beta-, Gammaund Röntgenstrahlen. «Meine acht Kollegen von Kernkraftwerken und ich waren 1978 Pioniere in der 21 Wochen dauernden Ausbildung. Es gab erst um die 60 Strahlenschutzkontrolleure in der Schweiz», erinnert sich Meyer, der zudem Kernphysik, Mathe und Algebra büffeln musste. «Nach der Prüfung folgte die extrem harte Bewährung in der Praxis in der Isotopenproduktion und in Hotlabors und Radiochemie, wo mit Brenn-stäben, Bestrahlungsquellen und Komponenten aus Kernkraftwerken mit Uran, Radium, Cäsium, Thorium und dergleichen hantiert wurde», erzählt Meyer. Das Ziel war Kontaminationen, sowie Strahlenbelastung des Personals zu verhindern. Praktische Weiterbildungen folgten bei wochenlangen Revisionen an den Reaktoren in Mühleberg und Beznau.

Fachlehrer und Instruktor
1980 wechselte Meyer als Fachlehrer für Strahlenschutzkurse an die Schule für Strahlenschutz und war für die Fachausbildung von Feuerwehrleuten, Polizei, medizinischem Personal und A-Spürern verantwortlich. Er war Instruktor in vielen Zivilschutzzentren, bei Berufsfeuerwehren von Städten und Grossfirmen und Inspektor auf Flughäfen. «Damit ich die Sprache der Feuerwehr anwenden konnte, absolvierte ich die Feuerwehrkurse bis zum Kommandant und wurde auch kantonaler Feuerwehrinstruktor», schmunzelt Meyer. So war er von 1982 bis 1991 Feuerwehrkommandant in Schwaderloch und während fünf Jahren Kommandant der Betriebsfeuerwehr am PSI. Er betätigte sich als Instruktor für die praktische Ausbildung der angehenden Strahlenschutz-Kontrolleure in Kernkraftwerken und war im Pikett der Nationalen Alarmzentrale der Schweiz (NAZ) eingeteilt. Unvergessen bleibt ihm die intensive Zeit nach dem KKW-Unfall von Tschernobyl im April 1986. «Wir Kontrolleure wurden keinesfalls überall mit offenen Armen empfangen und mussten manchmal heimlich Proben nehmen», erinnert er sich.

Begeisterter Judokämpfer
In Schwaderloch betätige er sich als Präsident der Schulpflege und in der Steuerkommission. «So kam es, dass ich 1986 ohne meine Zustimmung für den Gemeinderat vorgeschlagen und sogar gewählt wurde», lächelt Meyer. Er konnte das Amt aber nicht antreten, weil er den nächsten beruf lichen Schritt machte und die Technikerschule absolvierte. Fünf Jahre später wechselte er ins Bundesamt für Gesundheit Abteilung Strahlenschutz mit Dienstort Schwaderloch als Inspektor für Röntgenund Therapieanlagen und radioaktive Stoffe. Neben Inspektionen in Spitälern, Arzt- und Zahnarztpraxen, sowie nuklearmedizinischen Betrieben führte er Audits durch, hielt Referate über baulichen und operationellen Strahlenschutz und in Kursen für Sachverständige an der Schule für Strahlenschutz. Daneben amtete er im Aargau als Radonfachberater für öffentliche Gebäude in den Gemeinden. Woher hat Meyer die Energie für das zielstrebige Vorgehen, Durchsetzungsvermögen und die Selbstsicherheit genommen? «Das hat mir das Judo gegeben», bekräftigt Meyer, der bis vor zehn Jahren diesem Kampfsport treu blieb.

Als 17-Jähriger hat er ein Buch über Judo und dessen Stärken gelesen und befand: «Das will ich können». So war er 1966 Mitinitiant zur Gründung des Judoclubs Albbruck und amtete als Trainer. Er betätigte sich in Kampfmannschaften in Albbruck und Zürich und betreute eine Gruppe Jugendliche in Brugg. Auch seine Kinder machten Judo. Seit seiner Pensionierung hält er sich im Fitnesscenter und mit Walkingtouren fit. Auf seinen Rundgängen ist ihm ein ausgedienter Bunker am Rhein aufgefallen, der als Relikt alter Zeiten ein trostloses Dasein fristet. «Dabei wäre diese Stelle fantastisch als Erholungsort und Beobachtungsstelle für Natur und Tierwelt geeignet. Vögel, Fische und Biber hat es dort», meint Meyer. «Aus dem Relikt soll etwas Sinnvolles entstehen», findet Meyer und hat ein Konzept erarbeitet, das er mit Pro Natura und dem Natur- und Vogelschutzverein diskutiert hat. Auch ist er auf der Suche für arbeitstechnische Unterstützung von Firmen und Sponsoren. Meyer ist zuversichtlich für das Gedeihen des Projekts und hofft bald am schönen Ruheplatz meditieren zu können.


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