Kaisten kennt Gottfried Keller

  19.12.2020 Kaisten, Persönlich

Während 23 Jahren hat er im Boll für Ordnung gesorgt

«Godi» – Gottfried Keller – ist der Bevölkerung in Kaisten viel näher als sein berühmter Namensvetter aus Zürich. Denn es gibt wohl kaum jemanden, der in den letzten 23 Jahren nicht etwas mit ihm zu tun hatte, während der Zeit als er in der Entsorgungsstelle zum Rechten sah. Jetzt hat der 84-Jährige dieses Kapitel abgeschlossen.

Paul Roppel

Die Entsorgungsstelle Boll in Kaisten ist ein Hotspot, wo zeitweise emsiger Hochbetrieb herrscht, aber trotzdem mancher noch Zeit für einen Schwatz findet; unbestritten ein gesellschaftlicher Treffpunkt. Dort werden nicht nur alte und unbrauchbare Sachen deponiert, sondern auch das Neueste an Informationen aus dem Dorf heimgenommen. Früher sorgte das Milchhüsli für diesen Transfer, heute ist es die Entsorgungsstelle. «Willst du für den Gemeinderat kandidieren, präsentiere dich für zwei Wochen im Boll und das halbe Dorf hat dich gesehen», lautet ein Bonmot, das ein Ortskundiger mit einem herzhaften Lachen bejaht und quittiert, der während 23 Jahren in dieser Szene eine Hauptrolle eingenommen hat.

Bei jedem Wetter im Einsatz
Bei Wind und Wetter, Regen, Schnee und Kälte, aber auch brütender Hitze hat Gottfried Keller an dieser Stätte gewirkt. Kein Wunder gibt es im Ort kaum jemanden, der den agilen und wachsamen Pensionär nicht kennt oder mit seinen Anweisungen Bekanntschaft gemacht hat. Sicher mit einem Quäntchen Nachdruck und beharrlichem Durchsetzungsvermögen. «Godi», wie er im Dorf genannt wird, hat seinen Job als einer der Betreuer dieses sauberen und einen ordentlichen Eindruck hinterlassenden Platzes pf lichtbewusst und genau ausgeführt. «Ressortchefs aus Gemeinderäten haben unserem Platz schon in Augenschein genommen und waren beeindruckt», erinnert sich Keller mit sichtlichem Berufsstolz. Mit Herzblut hat sich Gottfried Keller in seinem Amt engagiert und eine äusserst sinnvolle, aber auch anspruchsvolle Betätigung als Pensionierter gefunden.

Unerwünschtes abgewiesen
«Ein Gemeinderat hat mich für die Aufsicht angefragt. Der Platz war einmal pro Woche geöffnet. Mein Chef war Ernst Furler, der Förster», erinnert er sich. Zuletzt war es Bauamtleiter Andreas Gertiser. «Es ist unglaublich, was seit 1997 gegangen ist und wie sich die Abfallentsorgung entwickelt hat», erzählt Keller. «Die Leute haben damals alles irgendwie deponiert; es war keine Ordnung, eine richtige Schweinerei», fügt er an. Sogar als der Platz eingezäunt worden war, gab es Leute, welche ihr Material über den Zaun auf den Platz geworfen hatten. Ein ganz ärgerliches Erlebnis hat sich in sein Gedächtnis eingebrannt: «In der Mulde für den Recyclingkarton befand sich eine Schachtel, gefüllt mit gebrauchten Windeln», schüttelt er den Kopf. «Heute ist alles klar aufgezeigt und reglementiert, was angenommen wird und zwar dreimal in der Woche für zweieinhalb Stunden», erklärt Keller. Trotzdem müsse die Aufsicht immer noch Sachen zurückweisen und aufpassen, dass Unerwünschtes nicht «untergeschmuggelt» werde. Gerade für Neuzuzüger und Fremdsprachige sei die Beratung anfänglich wichtig, bekräftigt er. Heute werden auch viel mehr Sachen rezykliert als früher und der Umschlag sei enorm gestiegen. Wegen des grossen Andranges und des Unfallrisikos dürfe der Platz nun nicht mehr befahren werden.

Sinnvolle Freizeitbeschäftigung
«Am Anfang war ich allein und es wurde mir langsam zuviel und zeitlich zu einschränkend», meint Keller. So wurde die Aufsicht auf eine weitere Person und das Bauamt aufgeteilt, so dass Keller jeweils einen Monat dienstbefreit war. Zwar hat er noch keine Ermüdungserscheinungen, aber die Corona-Pandemie hat für den rüstigen und aufgeweckten 84-Jährigen die Demission vorzeitig eingeleitet und seine Einsatzbereitschaft eingeschränkt. «Es war eine sehr schöne und befriedigende Freizeitbeschäftigung», zeigt sich Keller zufrieden, der nun dieses Kapitel abschliesst. Überrascht und gefreut hat ihn die Verabschiedung durch den Gemeinderat am letzten Arbeitstag am 28. November. Gerne erzählt er auch, dass er jeweils bei den Ausf lügen der Gemeindeangestellten und beim «Rehessen» dabei sein durfte. Godi ist ein geselliger Mensch, der jahrelang Mitglied des Männerchores war und auch als Fähnrich amtete.

Viel in der Schweiz herumgereist
Etwas überraschend und drei Jahre früher als er es für sich geplant hatte, wurde er 1995 bei einer Umstrukturierungswelle in der Firma Hoffmann-La Roche frühpensioniert. Dort hatte er 1964, in den Anfängen der Chemie im Fricktal, einen interessanten Job gefunden und gute Weiterbildungen erlebt. Er arbeitete in der Produktion von Mastfutter im Dreischichtbetrieb als Schichtführer, wo er ein Team von einem halben Dutzend Arbeiter führte. «Ein Schwager hatte mir den Tipp gegeben, dass im Fricktal neue und gut bezahlte Arbeitsplätze entstehen», erinnert sich Keller. «Ich hatte ursprünglich eine Lehre in einer Sägerei in Zug gemacht und fand später einen Job als Monteur für Türen und Fenster bei der Novopan in Klingnau. Aber nach längerer Zeit wurden mir die Einsätze in der ganzen Schweiz zuviel», erzählt Keller, der ursprünglich aus Wil im Mettauertal stammt und seit der Jugendzeit mit der Landwirtschaft verbunden ist. Der Chef offerierte ihm ein besseres Gehalt, das aber natürlich mit demjenigen der Chemie nicht konkurrenzfähig war. «Der Fünf-Tage-Schichtbetrieb hat zwar das Vereinsleben etwas eingeschränkt», hält er dagegen. Dafür hat er mit seiner Frau viele Berggipfel erwandert und unzählige Ausflüge in der Schweiz gemacht. «Besonders nach der Pensionierung haben wir jeden Monat mit einem Busunternehmen herrliche Tagesausf lüge erlebt», schwärmt Keller.

Wie hat es Gottfried Keller mit seinem berühmten, 1819 geborenen und 1890 verstorbenen, Schweizer Namensvetter? «Also, mein Vater hiess schon gleich», hält er vorab mal schmunzelnd fest und fügt an: «Ich habe das Geburtshaus von Keller «Zum goldenen Winkel» am Neumarkt in Zürich besucht». Dann habe er ein paar seiner Geschichten wie «Kleider machen Leute» oder «Die Leute von Seldwyla» gelesen. «Und ich habe noch eine der letzten 10-Franken Banknoten mit dem Konterfei von Gottfried Keller», fügt seine Frau lachend hinzu. Diese waren zwischen 1957 und 1980 im Umlauf.


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