Christbaum mit Lunte

  29.12.2020 Rheinfelden, Tradition

Auf einzigartige Weise werden in der Rheinfelder Stadtkirche die Kerzen entzündet

Die christkatholische Christnachtfeier ist weit über die Rheinfelder Stadtkirche bekannt für die Art, wie die Wachskerzen am Christbaum über Zündschnüre «von alleine» entflammen. Pfarrer Peter Grüter weiss nicht, woher dieser Brauch kommt, erklärt ihn aber gerne.

Boris Burkhardt

In dieser besonderen Christnacht scheint der Baum etwas kleiner als sonst. Pfarrer Peter Grüter widerspricht nicht; mit Corona habe das aber nichts zu tun: «Alle drei Kirchen in Rheinfelden bekommen den Baum jedes Jahr verdankenswerterweise über die Stadt von der Ortsbürgergemeinde.» Normalerweise sei er in der Stadtkirche St. Martin zwischen sechs und acht Meter hoch, fährt Grüter fort: «Dieses Jahr mussten wir unten allerdings 30 bis 40 Zentimeter abschneiden. Aber das macht nichts.» Der Tannenbaum der Rheinfelder Christkatholiken ist auch nicht wegen seiner Grösse so besonders. Es ist die Art, wie seine Wachskerzen in der Christnachtfeier entzündet werden.

Einmaliger Brauch
Zusammengeknotete Zündschnüre von je zehn Metern Länge verbinden die Kerzen des Baums miteinander. Sie sind mit der Pyrosil genannten Flammenbeschichtung umhüllt, sodass im Idealfall zum Beginn des Gottesdiensts, mittels des von Hand entzündeten Luntenendes, in Sekundenschnelle alle Kerzen «von selbst» angehen. Ein Spektakel, das wirklich überrascht, wer es zum ersten Mal unerwartet erlebt. Manch ein Besucher der Christnachtfeier von ausserhalb der christkatholischen Gemeinde – von denen es abgesehen vom heurigen Coronajahr – immer einige gibt, kommt vielleicht vor allem wegen dieses weit und breit einmaligen Brauchs.

Dabei ist der Idealfall in den zwei Jahrzehnten seiner Amtszeit in Rheinfelden erst einmal eingetreten, wie Grüter zugibt: Vor etwa 15 Jahren sei das Feuer tatsächlich ohne Unterbrechung über die Zündschnüre von einer Kerze auf die andere übergegangen. Im Normalfall wird der Prozess des Entzündens jedoch immer irgendwo unterbrochen, etwa, wenn die Flamme von der Kerze nicht auf die am Docht angeknotete Zündschnur übergeht sondern diese mit glimmendem Ende nach unten fällt und in der Luft hängt. Dann müssen die Mitglieder der Chlausengilde, die jedes Jahr dafür verantwortlich sind, die ausgegangenen Lunten wieder von Hand anzünden. Dafür sind sie mit Anzündern an langen Stäben gut ausgerüstet.

Die Kerzen und Zündschnüre werden am frühen Nachmittag von Heiligabend angebracht, wenn der Christbaum auch aufgestellt und geschmückt wird. Alex Bringolf, Fredi Huber, David Hunn und Thomas Spichiger sind an diesem Nachmittag dabei, den Baum aufzurichten und mit Kupferschmuck zu behängen, dazu Pfarrer Grüter und sein Sohn Matthias sowie dessen Freundin Ronya Saladin. Dazu haben sie einen Hubsteiger in den Kirchenraum gebracht. Grüter bestätigt auf Nachfrage, einen Hubsteiger in der Kirche gebe es nur an Heiligabend. Aber für die kommenden Monate müsse sich die Gemeinde an diesen Anblick gewöhnen, wenn die Nordseite des Kirchenschiffs innen wegen Wasserschäden saniert werde.

Der Brauch des Lichterentzündens am Christbaum in St. Martin ist so alt, dass Grüter dessen Ursprünge nicht mehr kennt – und auch nicht Kirchgemeinderätin Maria Kym. Wo es einen solchen oder ähnlichen Brauch sonst noch gibt, ist den beiden ebenfalls nicht bekannt. Offensichtlich wird aber, dass Pfarrer Grüter diesen Brauch vollauf verinnerlicht hat und sich dafür verantwortlich fühlt. Wegen Corona hängte er die Zündschnüre, die in Wasser verschweisst geliefert werden, erstmals bei sich daheim zum Trocknen an die Wäscheleine. Für die Kerzen liess er schon vor Jahren eigens bei der Stiftung MBF in Stein Halter aus Kupfer anfertigen, die oben einen Dorn zum Aufspiessen der Kerzen und unten ein langes Gegengewicht mit kugelförmigem Ende haben. So stehen die Kerzen buchstäblich kerzengerade.

Verschiedene Methoden getestet
Über zwei Tage testete Grüter heuer vor Weihnachten verschiedene Methoden, um die Zuverlässigkeit der Zündschnüre zu verbessern. Laut eigener Aussage telefonierte er dazu mit Kerzenherstellern und Pyrotechnikern, die ihm unter anderem zu Terpentin geraten und einen speziellen Kerzenkleber hätten vorbeibringen wollen. Bisher wurden die Dochte der Kerzen angebrannt und die Schnüre in Petroleum getaucht. Dieses Jahr versucht es Grüter erstmals damit, das Wachs vom Docht abzuknübeln und mit Nadeln zu zerzausen. Eine aufwendige Arbeit, die sich hoffentlich lohnt. 2019, weiss Matthias Grüter zu berichten, seien nämlich 60 bis 80 Prozent der Kerzen nicht ohne Nachhilfe angegangen.

Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass die neue Methode in einer Christnachtfeier mit besonders wenigen Besuchern ausprobiert wurde: Nur 30 von 50 erlaubten waren es am Abend, dazu nochmal ebenso viele via Livestream zu Hause an den Bildschirmen. Wie sich zeigte, klappte es auch diesmal nicht hundertprozentig, aber doch zufriedenstellend. Pfarrer Grüter und die Chlausengilde sind überhaupt froh, dass diese einmalige Tradition in St. Martin dieses Jahr stattfinden durfte. Die Sebastianisänger, die andere einmalige Tradition, durften ihr Weihnachtslied zum Abschluss der Christnachtfeier nämlich nur vom Band abspielen.


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