«Wir können leider nicht jedes Tier aufnehmen»

  31.12.2020 Kaisten

Die Herausforderungen auf dem Tierlignadenhof in Kaisten sind gross

Tieren in Not aktiv zu helfen, bedeutet ebenfalls, sich mit schwierigen, nicht selten traurigen Situationen auseinandersetzen zu müssen. Für Stefanie und Janina Sutter vom Tierlignadenhof Kaisten überwiegen bei der täglichen Arbeit rund um die Tiere trotzdem immer die schönen Momente.

Susanne Hörth

Ein intensives, ereignisreiches und stets von neuen Tierschicksalen geprägtes Jahr 2020 liegt hinter Stefanie Sutter und Janina Sutter. Die Betreiberinnen des Kaister Tierlignadenhofes betonen unisono, dass es in Bezug auf die Corona-Pandemie sicher ein Jahr zum Vergessen gewesen sei. Wenn es aber um das geht, wofür die Zwillingsschwestern fast rund um die Uhr im Einsatz stehen, so war jeder einzelne Tag ein besonderer und immer auch von aussergewöhnlichen Geschichten geprägt. Geschichten, die täglich von den rund 150 tierischen Bewohnern des Gnadenhofs geschrieben werden.

NFZ: Können Sie das nun zu Ende gehende Jahr mit einem Wort umschreiben?
Stefanie Sutter:
Wohl kaum. Das Jahr war super streng. Es gab keine Woche, keinen Tag, keine Stunde ohne eine neue Herausforderung.

Gibt es dabei eine spezielle Herausforderung?
Stefanie Sutter:
Sicher immer wieder viele der Tiergeschichten. Herausfordernd, nein, vielmehr belastend sind aber vor allem die Erwartungen mancher Leute.

Was erwarten Sie?
Janina Sutter:
Immer wieder bekommen wir bei Anfragen zu hören, wenn ihr das Tier nicht nehmt, wird es eingeschläfert, es wird gemetzget oder erschossen…
Stefanie Sutter: … das ist für uns kaum zu ertragen.

Kann man mit so etwas umgehen?
Stefanie Sutter:
Eigentlich nicht. Wir haben grosse Mühe damit.
Janina Sutter: Das Schlimme dabei ist, dass es immer wieder um gesunde, junge Tiere geht. Erst kürzlich haben wir erfahren, dass aus der Androhung Ernst gemacht wurde und zwei junge Hunde von einem Tierarzt eingeschläfert wurden.
Stefanie Sutter: Wir können nicht jedes Tier, für das ein Platz gesucht wird, aufnehmen. Das wäre den anderen, bereits hier lebenden Tieren gegenüber nicht fair. Es würde den räumlichen und finanziellen Rahmen des Tierlignadenhofes sprengen.

Wie grenzt Ihr Euch ab?
Stefanie Sutter:
Indem wir nicht mehr jede Geschichte anhören. Das tut uns eigentlich sehr weh, geht es doch immer um ein Tierschicksal. Aber wir müssen uns wirklich auch abgrenzen können.

Können Sie ein Beispiel für eine solche Abgrenzung erzählen?
Stefanie Sutter:
Weil ich ja die Tierpflegerausbildung habe und sie bei einer im Ausland tätigen Tierschutzhilfe nötig ist, um die Tiere in die Schweiz holen zu können, wurde ich kürzlich um meine Mithilfe angefragt. Ich habe es mir lange überlegt und dann abgelehnt. Entscheiden zu müssen, welche zehn von hundert Hunden gerettet werden und die anderen ihrem traurigen Schicksal zu überlassen, das kann ich einfach nicht. (lacht) … am Schluss würde ich dann alle hundert Hunde zu uns holen.


«Es brauchte solche Arbeit  und Plätze für die Tiere»

Auf dem Kaister Tierlignadenhof blickt man auf ein intensives Jahr 2020 zurück

«Handeln bedeutet auch immer wieder, zu akzeptieren, wenn etwas trotz aller Bemühungen traurig endet», sagen die Tierlignadenhof-Betreiberinnen Stefanie Sutter und Janina Sutter. Jedes Tier, dem sie helfen können, motiviert sie zum Weitermachen.

Susanne Hörth

NFZ: Abgrenzen können ist ein grosses Thema auf einem Tiergnadenhof…
Stefanie Sutter:
Beim Einschläfern von alten Tieren, die hier bei uns gelebt haben, können wir uns mittlerweile etwas besser abgrenzen. Wenn es auch nicht weniger weh tut.
Janina Sutter: Hund Jamie hat 13 Jahre bei uns gelebt, er fehlt uns überall. Aber wir konnten ihn loslassen, als es für ihn zu schwierig wurde.
Janina: Ja da sind wir besser geworden. Bei Ivy war es nicht so.
Stefanie: Und trotzdem bin ich froh, dass wir für sie in ihrem kurzen Leben alles gegeben haben, es auch versucht haben, ihr ein schönes Leben bei uns zu ermöglichen. Dennoch fragen wir uns in solchen Momenten auch immer wieder, wo denn da die Gerechtigkeit ist.

Das Ponyfohlen Ivy wurde nach einem schweren Start ins Leben in einer Rettungsaktion auf den Tierlignadenhof gebracht. Danach folgten mehrere Tierklinikaufenthalte, verbunden mit Operationen und Medikamentenbehandlung. In Absprache mit den Tierärzten wurde das dreieinhalb Monate alte Pony aufgrund der Vielzahl seiner Erkrankungen eingeschläfert.

Trotz solch trauriger Momente macht ihr weiter. Warum?
Stefanie:
Das haben wir uns eigentlich nie überlegt. Es stimmt einfach so, wie es ist
Janina: Es sind so oft Notsituationen, in denen die Tiere uns brauchen und wir helfen können. Und was ganz wichtig ist, all die Tiere, die hier leben, bringen uns Freude. Wir machen es für sie. Wir bereuen keine Sekunde, in der wir für sie da sein können.
Stefanie: Den Gedanken zu ertragen, dass du nichts gemacht hast, wäre viel schlimmer. Handeln bedeutet halt auch immer wieder, zu akzeptieren, wenn etwas trotz aller Bemühungen traurig endet.

Ihr habt das «allen gerecht»-Werden angesprochen. Geht das denn überhaupt?
Stefanie:
Es beschäftigt uns ständig. Gehe ich mit dem Schäferhund Osky spazieren, achte ich ganz fest darauf, nachher gleiches auch mit Bernhardiner Balu zu tun. Das sind nur zwei von ganz vielen anderen Tieren, die alle Zeit für sich verdient haben. Manchmal reichen die Tage nicht, dann werden halt die Nächte für uns etwas kürzer.
Janina: Wir versuchen, jedem Tier die gleiche Zuwendung zukommen zu lassen. Und wir haben auch viele treue Leute, die uns dabei unterstützen.

Ihr könnt ja nicht alles selbst tragen.
Stefanie: Eben. Zum Perfektmachen braucht es ein starkes, gutes Team.

Wie war das mit den Leuten, in diesem von Corona geprägten Jahr?
Janina:
Der grobe Kern war immer da Unsere Mitarbeiter und engen Freunde sind immer gekommen.
Stefanie: Etwas einschränken mussten wir die freiwilligen Helfer. Wir haben nicht Angst vor dem Virus. Aber wir müssen darauf achten, dass niemand von uns krank wird. Wir tragen die Verantwortung für alle.
Stefanie: Ich war einmal zwei Tage ganz allein auf dem Hof. Rein-Raus hiess der Turnus. Und am Ende des Tages war trotzdem noch nicht alles gemacht.

Ihr habt auch die Besuchstage aus obengenanntem Grund nicht mehr durchführen können. Ihr habt neben Euren Berufen ausserhalb des Hofes, den unzähligen Aufgaben auf dem Hof in der ganzen Zeit nie die sozialen Medien vernachlässigt. Warum sind die so wichtig? Janina: Damit die Verbundenheit mit den Leuten bleibt. Der Bezug zu uns nicht verloren geht. Auch wenn wir Tür und Tor nicht offen haben, möchten wir zeigen, dass wir trotzdem immer da sind.
Stefanie: Die Arbeit geht ja trotzdem gleich weiter, die Kosten sind immer da, werden nicht weniger.

Apropos Kosten. Nicht nur die Tiere kosten, sondern auch der Liegenschaftsunterhalt fordert. Was steht hier an grösseren Arbeiten?
Janina:
Die Sickerleitung hinter dem Haus. Die ist dringend. Ebenso auch die Sanierung des hinteren Teils des Hofes.
Stefanie: Es ist ein 200-jähriges Bauernhaus. Dafür muss immer viel Geld und auch viel Zeit aufgewendet werden.

Wenn ihr das Jahr 2020 reflektiert. Was sticht besonders heraus?
Stefanie:
Das ist sehr schwierig zu beantworten. Es ist immer das Aktuelle präsent. Wunderschön ist sicher, dass Hündin Honey nach zweieinhalb Jahren wieder zurück bei ihrer Familie ist. Für Honey ist es ein Happyend, für mich ist es schon ziemlich schwierig.

Wieder ein Loslassen?
Stefanie:
Ja

Vermittelt ihr den jetzt Tiere?
Stefanie:
Eigentlich nicht. Wir stehen den Tieren aber nicht im Weg, wenn sich für sie anderswo eine gute Zukunft auftut. So zu denken hat uns Moni gelernt.

Moni Spoerlé war die Gründerin des Tierlignadenhofes. Nach ihrem Tod im Februar 2019 haben die Zwillingsschwestern Stefanie und Janina Sutter, die schon seit ihrem 10. Lebensjahr auf dem Hof mithelfen, den Gnadenhof übernommen.

Janina: Wir wollen nicht mit einem Tierheim gleichgestellt sein, wir sind nach wie vor ein Gnadenhof, ein Ort, an welchem die Tiere für immer bleiben dürfen.

Ihr seid in diesem Jahr als tierische Heldinnen in ganz vielen Schweizer Stuben daheim gewesen. Wie habt ihr die fünfteilige SRF-Serie erlebt.
Stefanie:
(lacht laut auf) das war ja dieses Jahr auch noch. Es war eine mega intensive Zeit während der Dreharbeiten. Zudem auch eine ganz tolle. Wir durften viele gute Erfahrungen machen. Auch wie die Sendung dann rübergekommen ist, fand ich richtig schön. Es war sehr authentisch
Janina: (nickt zustimmen) Ich sehe es ebenso. Wir haben auch sehr viele Rückmeldungen darauf erhalten. Nach jeder Sendung gab es eine Unmenge an E-Mail, Telefonaten, Briefe und sogar Blumen wurden uns geschickt.

Habt ihr darauf reagiert?
Janina:
Selbstverständlich. Unter anderem haben wir täglich rund 50 Mails beantwortet.

Stefanie Sutter arbeitet 40 Prozent ausserhalb, Janina Sutter hat dieses Jahr ihren Job im Büro auf 80 Prozent reduziert und arbeitet jeweils am Freitag auf dem Hof. Stefanie macht neben ihrer bereits erfolgreich bestanden Tierpflegeausbildung eine weitere Ausbildung zur Tierheilpraktikerin.

Euer Tag scheint unendlich.
Stefanie:
… es gehört halt dazu. So wie auch um 2 Uhr morgens mit Chow-Chow-Hündin Anuk zum Tierarzt zu fahren, weil sie eine Magenumdrehung hat. Und am Morgen stehst Du wie gewohnt auf der Matte.

Hier drängt sich die Frage nach dem wieso macht ihr das, doch einfach ein weiteres Mal auf
Janina:
Weil es solche Arbeit und Plätze für die Tiere braucht. Einfach deshalb
Stefanie: Es ist auch gut, dass uns Grenzen gesetzt sind. Mit ganz viel mehr Geld und noch viel mehr Zeit würden wir wahrscheinlich noch weitere Gnadenhöfe führen und versuchen, allen Tieren zu helfen. Für sie tun wir das, was wir tun.

Spendenkonto unter: www.tierlignadenhof.ch


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