«Nicht weltbewegend, aber soumässig»

  31.12.2020 Möhlin

Feuriges Brauchtum auf Eis: Hans Mahrer und die sonderbare Silvesternacht

Es gibt Dinge im Leben, die ändern sich nie? Von wegen. Hans Mahrer aus Möhlin, der Mann mit dem Amboss, kann heute Nacht ein Lied davon singen. Trotzdem will er nicht aufhören, an das Glück zu glauben.

Ronny Wittenwiler

Als Hans Mahrer den Hammer schwingt, als er den Amboss erklingen lässt, gemeinsam mit seinem Sohn Adrian, und als bald einmal die Korken knallen – da ist alles wie gehabt in dieser Nacht. Es ist Silvester 2019 und Stunden zuvor schrieb die NFZ: «Es gibt Dinge im Leben, die ändern sich nie. Und das ist gut so.» Dann kam zuerst 2020, dann das Virus und vieles war nicht mehr so, wie es gewesen war.

Seit 1956 im Einsatz
Das sei schon eine «ganz verrückte» Sache, sagt Hans Mahrer jetzt, ein Jahr später, und nimmt sein fast schon legendäres «soumässig» in den Mund. Das 64. Silvesterschmieden auf der Schmittenbrücke? Abgesagt. Grund: allen bekannt. Hans Mahrer, vor zwei Wochen eben erst 81 geworden, steht seit 1956 jedes Jahr in der Silvesternacht im Einsatz und schmiedet das Eisen, solange es heiss ist. Kaum einer, der diesen Meler-Mahrer-Brauch im Dorf noch nicht kennen würde. Alle Jahre wieder, bislang. «Und jetzt ist doch alles total anders herausgekommen mit der ganzen Welt, das ist der Wahn», sagt Mahrer. Einmal nur habe er seit Beginn der Tradition mit dem Silvesterschmieden ausgesetzt, anno 1969 war das, als der Vater kurz davor stirbt. Und jetzt also fällt das Silvesterschmieden auf der Brücke über dem Möhlinbach nach so vielen Jahren ins Wasser. «Stell dir das einmal vor», sagt der Schmittehans jetzt: «Ich habe immer gesagt, solange es die Gesundheit zulässt, machen wir das. Und jetzt geht es nicht und wir sind nicht mal schuld daran. Das ist zwar nicht weltbewegend – aber glich soumässig

Und jetzt?
Plötzlich ist da diese Frage, die sich der Meler während bislang Dreivierteln seines Lebens nicht stellen musste, ja, tatsächlich: «Was sell i jetzt au mache hüt z’obe?» Er sagts mit einem Lächeln, und einem Spruch hinterher: «Ich gehe nicht einfach ins Bett. Ausser ich habe bis Mitternacht zu viel gesoff…» Natürlich nicht. Den Humor hat der Mahrer Hans nicht verloren – das ist gut, wenn sich zumindest solche Dinge nicht ändern, Empathie aber macht sich breit: Er selbst sei ja nicht mehr im Arbeitsprozess, drum treffe ihn das alles nicht so sehr. «Aber für die anderen, für unsere Kinder, für unsere Enkel – das sind verrückte Dinge.»

Nein, auch er hätte sich nie im Traum vorstellen können, dass alles so kommen könnte: Als Hans Mahrer den Hammer schwingt in jener Nacht vor einem Jahr, als er den Amboss erklingen lässt, gemeinsam mit seinem Sohn, und als bald einmal die Korken knallen, da war doch alles wie gehabt in Möhlin. «Wir werden dennoch ein Hufeisen schmieden», hatte der Schmittehans vor ein paar Tagen in dieser Zeitung versprochen. Einfach nicht draussen auf der Schmittenbrücke und nicht um Mitternacht – sonst kämen ja die Leute trotzdem, und das gehe dieses Mal einfach nicht. Er und Sohn Adrian aber wollen ein «extra starkes Hufeisen schmieden», verspricht der 81-Jährige, «es soll allen enorm viel Glück bringen im 2021. Glaubt einfach daran und bleibt gesund!»

In dieser Silvesternacht wird vieles anders sein. Nur eines bleibt beim Mahrer Hans so, wie es immer gewesen ist: «Immer nach Mitternacht, wieder zuhause nach dem Silvesterschmieden, habe ich mich ein auf Paar Wienerli gefreut.» Die lässt er sich auch heute nicht nehmen.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote