Eine Frau als Chefin auf der Baustelle

  05.08.2020 Persönlich, Zeiningen

Heidi Marti: erfolgreich und glücklich in typischen Männerberufen

Noch immer gibt es Berufe, die fast nur von Frauen, andere beinahe immer von Männern ausgeübt werden. Heidi Marti hat sich nie um solche Konventionen gekümmert. Sie machte eine Lehre als Schreinerin und wurde später Bauführerin; bis zu ihrer Pensionierung war sie Chefin auf über dreihundert Baustellen. Sie habe sich nie diskriminiert gefühlt, sagt die rüstige 79-jährige, die seit vielen Jahren in Zeiningen lebt.

Edi Strub

Zur Welt kam Heidi Marti in Dürrenroth im Emmental. Ihre Mutter hatte dort ein kleines Lädeli, ihr Vater eine Schreinerei. Vater Marti machte Särge, Holzböden für Schuhe und komplette Aussteuern, wie sie damals von jungen Paaren bei der Verheiratung in Auftrag gegeben wurden: Doppelbett, Schränke sowie Tisch und Stühle – alles in währschafter Ausführung. Heidi half ihrem Vater schon als kleines Mädchen in der Werkstatt. Als ihr Vater dann früh verstarb, entschloss sich Heidi Marti eine Bauund Möbelschreinerlehre zu machen, um später den Betrieb übernehmen zu können. Ihre drei Brüder waren andere Wege gegangen. Einer war Bäcker geworden, der andere Käser und der dritte durfte als einziger studieren.

Büromöbel für das Weisse Haus
«Ich war Mädchen Nr. 2, das eine Schreinerlehre machte», lacht Heidi Marti. Eine Frau als Schreinerin war damals noch ungewöhnlicher als heute. Aber Heidi Marti fühlte sich wohl in diesem Beruf. Er entsprach ihren Neigungen und sie habe nie den Eindruck gehabt, dass sie von den Burschen im Lehrbetrieb nicht respektiert worden sei. Als sie ihren Lehrabschluss gemacht hatte, wollte sie dann aber doch nicht den väterlichen Betrieb übernehmen. Sie träumte davon Architektin zu werden. Ohne Matura war das freilich nicht möglich und so beschloss sie, ihren Weg über ein Auslandjahr in Schweden zu finden. Bei der feinen «Nordiska Kompaniet» baute sie Prototypen von Möbeln, die später industriell in Serien hergestellt werden sollten. In einem Falle auch Büromöbel für das Weisse Haus in Washington aus extraharter Wenge aus Afrika. «Schweden war für mich ein wunderbares Land. Ich liebte die Natur, die Seen und die Küste.»

Erstmals versuchte Heidi Marti auch mit Polyester zu arbeiten. Für sich selber baute sie ein Paddelboot – eine Vorübung für einen gelben Stuhl aus Kunststoff, den sie später für Vitra baute und der noch heute im Schaudepot in Weil am Rhein zu sehen ist.

Als Frau muss man eine Spur besser sein
Die Ausbildung für ihre spätere Arbeit als Bauleiterin holte sich Heidi Marti an der Kunstgewerbeschule in Basel. «Das war ein Beruf, der meinen Neigungen noch besser entsprach als Architektur. Ich bin eine gute Organisatorin, ich vermag zuverlässig Kosten zu berechnen und kann mit Menschen umgehen.» Das sei das, was eine guten Bauführerin ausmache. Dennoch: Das war eine mutige Berufswahl, denn das Baugewerbe steht nicht im Ruf, mit Frauen besonders rücksichtsvoll umzugehen. «Aber mir ging es während der vielen Jahrzehnte als Bauführerin gut. Als Frau muss man in diesem Beruf vielleicht eine Spur besser sein als die meisten Männer», sagt Heidi Marti. Aber nach einer gewissen Zeit habe es geheissen, «lasst das die Marti machen», wenn es irgendwo Schwierigkeiten gab. Heidi Marti hat über dreihundert Bauten und Umbauten gemanagt. Sie hat für die besten und bekanntesten Architekten gebaut: für Diener & Diener zum Beispiel und für Hans Zwimpfer, der in Rheinfelden die bekannten Pile-Ups baute. Während mehr als zehn Jahren war sie auch für eines der ehemals grössten Bauunternehmen tätig – Suter & Suter. Als diese Firma zu Beginn der 90er-Jahre auf den Konkurs zusteuerte, reichte Heidi Marti die Kündigung ein. Das Chaos sei unbeschreiblich gewesen.

Das Ufo
Massgeblich beteiligt war Heidi Marti auch am «Ufo», das an der Muba 1969 mit seinem futuristischen Konzept und Design Aufsehen erregte. Diese wie ein riesiger Diskus aussehende Wohneinheit stand auf langen dünnen Stelzen und hätte leicht von Ort zu Ort zu verschoben werden können. Man hätte die «Ufos» auch aufeinanderschichten oder an einem riesigen Mast befestigen können, erklärt Heidi Marti anhand von Plänen und Zeichnungen. Einmal wäre das Ufo vielleicht am Hang des Monte Generoso gestanden, wie man auf einer Fotomontage sehen kann, ein andermal in Zürich oder auf einer Forschungsstation im Norden Kanadas. Aus dem kühn konzipierten Haus für den «mobilen Mann» ist aber letztlich nie etwas geworden. Es habe zwar über zweihundert Bestellungen gegeben, aber die Firma hinter dem «Rondo», wie das Projekt offiziell hiess, kam nie über einen Prototyp hinaus.

Heute ist Heidi Marti 79 Jahre alt und als die NFZ sie vor einer Woche für das Interview besucht, hatte sie sich im Garten beim Umschichten von Steinplatten überhoben und musste ins Spital gebracht werden. «Ich will mich nun zurücknehmen, ich will mich nicht mehr um so viele Dinge kümmern», sagt sie. Das Haus auf Lanzerote, in dem sie während der spanischen Covid-Ausgangssperre blockiert war, möchte sie veräussern. «Es würde mir genügen, irgendwo hier im Fricktal auf einem Stuhl zu sitzen und zu schauen, wie sich das Wasser des Rheins flussabwärts bewegt. Von mehr träume ich nicht mehr.»


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