«Wir wollten etwas tun, das allen dient»

  24.07.2020 Nordwestschweiz

Uhrenhersteller-Chef Christopher Bitterli über die schwierige Zeit und den Maskenimport

Der Uhrenhersteller Grovana aus Tenniken BL importiert seit Wochen Hygienemasken. Bald 8 Millionen Stück seien bisher verkauft worden, sagt Firmenchef Christopher Bitterli im Interview. Und fügt an: «Zu fairen Preisen.»

David Thommen – Volksstimme

Herr Bitterli, als wir bei Ihnen um ein Interview angefragt haben, haben Sie mit der Bemerkung zugesagt, dass in der Uhrenbranche «seit März nichts mehr ist wie vorher». Was hat sich geändert?
Christopher Bitterli:
Alles. Krisen gab es immer schon, doch die waren stets eingrenzbar – auf Asien, den Mittleren Osten oder was auch immer. Jetzt ist die Krise weltweit, was die Uhrenverkäufe total einbrechen liess. Ich komme soeben aus Genf zurück und habe dort mit unseren stationären Händlern gesprochen. Sie sagen: Es läuft nichts! In Genf finden weder Konferenzen statt noch kommen internationale Touristen. Die UNO ist derzeit so gut wie «tot», erst im September soll es wieder Aktivitäten geben – aber auch das in nur sehr beschränktem Rahmen. Das sind für uns schlechte Nachrichten.

Grovana ist also auf internationale Gäste angewiesen?
Wir profitieren stark vom internationalen Tourismus. Wir verkaufen viel in Interlaken, Luzern, Zermatt. Die Umsätze dort sind mittlerweile seit Monaten weg.

Und ein Ausweichen auf andere Märkte ist unmöglich?
Seit Beginn der Coronakrise hat der Onlinehandel zwar einen starken Schub erhalten, doch die Ausfälle lassen sich damit niemals ausgleichen. Wir sind auf den stationären Handel angewiesen. Südamerika, das für uns wichtig ist, wird bestimmt bis weit in den Herbst hinein geschlossen bleiben, in den USA hatte man zu rasch gelockert und muss nun wieder einschränken und auch der Mittlere Osten ist so gut wie komplett zu. Und so weiter.

Die Schweizer Uhrenbranche beklagt ebenfalls einen gewaltigen Einbruch der Verkäufe in Hongkong, was allerdings weniger mit Covid-19 zu tun hat …
Hongkong ist bereits seit vergangenem Sommer schlimm. Seitdem die Proteste dort angefangen haben, sind die Verkäufe drastisch zurückgegangen. Für uns war dieser Markt – wie übrigens ganz China – allerdings noch nie wahnsinnig wichtig. Wir sind in den USA, in Japan, Südkorea, auf den Philippinen oder in Vietnam deutlich stärker. Und natürlich ist Europa wichtig, ebenso Russland. Dort hat man Corona total unterschätzt und jetzt ist der Markt so gut wie inexistent. Zudem halte ich die Meldungen für beunruhigend, wonach in Russland an der Grenze zu China offenbar ein weiteres gefährliches Virus festgestellt worden ist.

Wie stark ist Ihr Geschäft insgesamt eingebrochen?
Bestimmt um 50 Prozent.

Ein Vertreter der Schweizer Uhrenbranche hat kürzlich in einem Interview gesagt, dass einzelne Schweizer Hersteller seit Wochen keine einzige Uhr mehr verkauft hätten.
Nein, so schlimm ist es nicht. Wir haben nach wie vor laufend Auslieferungen – auf tieferem Niveau. Aber es ist klar: Die Branche hat ein Riesenproblem. Im April gab es 82 Prozent weniger Exporte, im Mai waren es 68 Prozent weniger und im Juni dürften es immer noch 50 Prozent oder weniger gewesen sein. Das ist noch nie dagewesen.

Was bedeutet das für Grovana? Kurzarbeit? Entlassungen?
Entlassungen zum Glück nicht, aber Kurzarbeit im Rahmen von etwa 50 Prozent. Das ist in dieser Situation unumgänglich. Wir beschäftigen plus/minus 30 Angestellte.

Und einen Silberstreifen am Horizont haben Sie noch nicht gesichtet?
Es ist zu befürchten, dass es im laufenden Jahr nicht gross aufwärtsgehen wird. Ich rechne mit einer wesentlichen Besserung erst im nächsten Frühling oder Sommer. Entscheidend für uns wird sein, wann der Interkontinentalverkehr wieder möglich ist. Erst wenn die Amerikaner, die Asiaten und die Russen wieder in unsere Touristenorte kommen, wird sich die Situation langsam normalisieren.

Sie sind mit der Grovana der Krise ein Stück weit ausgewichen und haben früh damit begonnen, Hygienemasken zu importieren und zu verkaufen.
Wir wollten nicht jammern, sondern haben überlegt, was wir tun könnten. Ich hatte damals die ganze Berichterstattung über den Mangel an Masken satt. Und die Aussagen des Bundes, dass Masken eigentlich gar nichts nützen, hielt ich für dummes Geschwätz, um das geradeheraus zu sagen. In Asien wird das Maskentragen seit vielen Jahren erfolgreich praktiziert. Wir haben mit unseren Lieferanten in China, die im Verpackungsbereich tätig sind, Kontakt aufgenommen. Sie verfügen über Maschinen, die Masken produzieren können. Also haben wir begonnen, dort zu bestellen.

Wie viele haben Sie bislang importiert und verkauft?
Wir sind heute nahe bei 8 Millionen Stück. Das Problem war weniger der Einkauf der Masken als der Transport in die Schweiz. Wir haben in den wenigen Flugzeugen der Swiss, die noch verkehrten, Platz gefunden. Zum Teil kam die Ware auch mit Turkish Airlines via Istanbul.

Wohin haben Sie die Masken verkauft?
Ausschliesslich in die Schweiz. Den Verkauf in der EU habe ich relativ rasch ausgeschlossen. Es herrscht dort eine unglaubliche Bürokratie und zeitweise war es mit der Beschlagnahmung von Schutzmaterial etwas wie im Wilden Westen. Zu den Kunden in der Schweiz zählten viele kleinere Firmen, zum Beispiel Coiffeurgeschäfte. Vieles ging auch in den Gesundheitsbereich oder an Pharmabetriebe, aber auch an Kantone wie Baselland, Basel-Stadt, Aargau und so weiter.

Masken statt Uhren – ein Geschäftsmodell, das aus der Not geboren wurde …
Wichtig war für uns: Wir wollten etwas tun, das allen dient. Der Profit stand nie im Vordergrund. Einige andere Importeure haben mit ihren überhöhten Preisen ein ziemlich unmoralisches Geschäft gemacht, zum Teil war das absurd. Das war bei uns nie der Fall. Unsere Preise waren immer tief und fair. Und die Qualität stimmte durchgehend. Wir haben die Produktion von einer anerkannten und weltweit tätigen Firma vor Ort überwachen lassen. Wir haben dadurch Gewähr, dass alles stimmt. Es kamen andere Masken von anderen Importeuren auf den Markt, die sofort gerissen sind. Viele sind während des Maskennotstands auf faule Geschäfte hereingefallen: Sie haben zu überrissenen Preisen eingekauft und bekamen «Schutt und Geröll» geliefert. Selbst der Bund hat kürzlich verschimmelte Ware bekommen – mit Herstellungsdatum 2007 …

Von einem Maskennotstand ist heute nicht mehr die Rede. Machen Sie dennoch weiter?
Ja. Wir haben heute nicht mehr viele an Lager. Eine neue Ladung wird dieser Tage bei uns eintreffen. Mittlerweile läuft der Import problemlos, wir kennen alles aus dem Effeff. Wobei wir immer noch etwas Schwierigkeiten haben, genügend Transportkapazität in den Flugzeugen zu finden.

Die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr dürfte Ihnen entgegenkommen, da sich der Bedarf nun nochmals vergrössert.
Das haben wir gut gemerkt, die Bestellungen zogen sofort an.

Mittlerweile hat sich der Bund eingeschaltet und beliefert Grossverteiler mit Masken. Macht Ihnen diese Intervention nicht das Geschäft kaputt?
Das stört mich nicht gross. Es braucht ja unglaubliche Mengen. Sollte die Maskentragpflicht einmal auch auf Einkaufsläden ausgeweitet werden, könnte es einen täglichen Bedarf von 15 Millionen Masken geben.

Ein kleiner Preisvergleich zeigt: Sie bieten 50 Masken für knapp unter 30 Franken an. Beim Grossverteiler liegt der Preis im Normalfall um ein paar Franken höher …
Wie gesagt: Wir wollen ein hochwertiges Produkt zu einem fairen Preis anbieten. Dem Verkaufspreis in den Läden sieht man an, wie hoch die Zwischenmarge ist. Die Behauptung des Bundes, dass die Masken via Grossverteiler quasi zum Einstandspreis an die Kunden weitergegeben werden, stimmt nicht. Ich kenne die Einkaufspreise recht genau …

Nochmals zurück zu Ihrem Kerngeschäft, den Uhren. Die Messe Baselworld hätte bestimmt geholfen, den Markt im nächsten Jahr wieder anzukurbeln. Wie sehr bedauern Sie, dass die Uhren- und Schmuckmesse aufgegeben wurde?
Sehr. Rückblickend muss man sagen, dass es eine Schande ist, was hier gelaufen ist. Die Basler Messe hat das zu verantworten – das war pure Arroganz der Messeleitung und hätte nie passieren dürfen. Aber jetzt müssen wir uns damit abfinden, und ehrlich gesagt: Wir können auch ohne die «Baselworld» leben und sogar sehr viel Geld sparen, da die Messe sehr teuer war. Dafür können wir sehr viele einzelne lokale Events veranstalten oder den Onlinehandel puschen. Vielleicht muss man heute sagen: Das Messebusiness ist ein Stück weit ein Auslaufmodell. Wir werden andere Wege beschreiten.

Sie weichen also nicht nach Genf aus, wo die Grossen der Branche künftig ihre Neuheiten präsentieren werden?
Nein, das ist kein Thema. Wir machen bei einigen Messen wie in Moskau mit oder sind erstmals an der «Inhorgenta» in München präsent, die bisher in Konkurrenz zur «Baselworld» stand. Zudem planen wir einige eigene Schauen, beispielsweise in Südamerika, so es wegen Corona denn einmal wieder möglich ist. Es geht auch ohne die «Baselworld» weiter.


Unsichere Lage für Schweizer Uhrenindustrie

Seit März sind in der Schweizer Uhrenindustrie mehrere hundert Stellen verlorengegangen. Ob es im gleichen Stil weitergeht, hängt vor allem von der weiteren Entwicklung der Coronakrise ab. «Es ist schwierig vorherzusehen, ob es zu weiteren Kündigungen kommt oder nicht», sagte François Matile, Generalsekretär des Arbeitgeberverbandes der Schweizerischen Uhrenindustrie, kürzlich im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Die Situation präsentiere sich uneinheitlich. Verschiedene Unternehmen hätten noch genügend Arbeit. Andere hingegen hätten «seit zwei Monaten keine einzige Uhr verkauft», sagte Matile. Ob es zu einem weiteren Stellenabbau komme, hänge vor allem von der weltweiten Nachfrage ab. Denn in Zeiten der Ungewissheit werde der Erwerb nicht lebensnotwendiger Güter auf bessere Tage verschoben. Während des Lockdowns haben fast 400 der 550 Unternehmen aus der Uhrenbranche Kurzarbeit in Anspruch genommen. Total waren 40000 Personen von der Massnahme betroffen; aktuell sind es nach wie vor 30000.


Traditionelles Unternehmen

Christopher Bitterli (62, Rünenberg) hat im Jahr 2008 die Leitung der Grovana Uhrenfabrik AG in Tenniken übernommen. Gegründet wurde die Manufaktur einst im Jahr 1924 und hiess ursprünglich «Fabrique d’Horlogerie W. & H. Groeflin». 1970, nachdem Christopher Bitterlis Vater, Werner Bitterli, das Unternehmen übernommen hatte, folgte die Umbenennung in Grovana. Produziert und vertrieben werden die Uhren aus Tenniken unter den Marken «Grovana», «Swiss Alpine Military» und «Revue Thommen».

Die Uhren im mittleren Preissegment tragen das Label «Swiss made». Via Grovana-Website werden seit einigen Wochen zusätzlich zu den Uhren auch dreilagige Alltagshygienemaske im 50er-Pack sowie aufwendigere und damit teurere Atemschutzmasken mit der FFP2-Schutzklasse im 10er-Pack angeboten.


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