Zuverlässig unzuverlässig

  23.06.2020 Magden

Bin ich die Einzige, oder ist es auch anderen schon so ergangen? Man steht schon seit einiger Zeit am verabredeten Ort und die andere Person taucht nicht auf. Fünf Minuten vor, oder nein, noch besser, zwanzig Minuten nach der verabredeten Zeit bekommt man vom anderen die Nachricht: «Hey sorry, ich cha doch nid cho, ich gang mit em XY go ässe.» Ernsthaft? Solche Leute bezeichne ich gerne als zuverlässig unzuverlässig: Sie sind so unzuverlässig, dass man sich zu hundert Prozent sicher sein kann, dass sie kurzfristig absagen werden. Leider ist so etwas bei mir schon mehrmals vorgekommen und ich habe danach überhaupt keine Lust mehr, mit diesen zuverlässig unzuverlässigen Personen etwas zu machen. Um es noch deutlicher zu sagen: Andere Leute zu versetzen ist weder cool, freundlich, anständig oder witzig, sondern verursacht schlechte Laune und ist einfach das Letzte.

Natürlich gibt es auch Momente, in denen es vollkommen verständlich ist, abzusagen, das steht ausser Frage und kann vorkommen. Dennoch scheint es viel zu viele Leute zu geben, die nur aus einer Laune heraus absagen. Dann steht man einfach da und fragt sich, ob diese Person schon jemals etwas vom Wort «Zuverlässigkeit» gehört hat. Es scheint so, als würden manche immer auf etwas Besseres warten, etwas, das ihre Aufmerksamkeit mehr verdient hat als diejenige, die schon seit mindestens zwanzig Minuten im Regen auf sie wartet. Als Person mit der Auffassung, dass die erste Abmachung diejenige ist, die gilt, halte ich dieses Verhalten für vollkommen unverständlich. Vor allem habe ich das Gefühl, dass dieses Phänomen durch WhatsApp, SMS, Instagram und so weiter verstärkt wird: Alles wird schnelllebiger und der Fokus auf das Wesentliche geht verloren.

Und nein, bevor sich wieder jemand über die heutige Jugend beschwert, es betrifft nicht nur meine Generation. Diese zuverlässig unzuverlässigen Leute kommen in jeder Altersgruppe vor. Man muss doch nicht immer auf dem Sprung sein, um eine schöne Zeit zu verbringen, man kann doch auch einfach den Moment geniessen und mit dem zufrieden sein, was man hat. Oder etwa nicht?

Anna Rosenthaler (17) wohnt in Magden. Sie besucht in Basel das Gymnasium Leonhard. Sie absolviert derzeit ein Praktikum bei der NFZ.


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