«Wir hatten 29 Corona-Patienten»

  11.06.2020 Gesundheit, Rheinfelden

Das Gesundheitszentrum Fricktal (GZF) hat aufgrund von Corona aussergewöhnliche Wochen hinter sich. CEO Anneliese Seiler und Chefärztin Priska Grünig sprechen im Interview über Umorganisationen, Rückkehr zum Spital-Alltag, Besuchsverbot und auch die finanziellen Auswirkungen.

Susanne Hörth

NFZ: Kann man auf eine Situation, wie sie für die Spitäler mit der Covid 19-Pandemie entstanden ist, vorbereitet sein?
Anneliese Seiler:
Im weitesten Sinne schon. Wir sind im Spital den Umgang mit Infektionskrankheiten inklusive Schutzmassnahmen gewohnt. Die Covid-19-Pandemie hatte sicherlich eine andere Dimension, eine ungeheure Geschwindigkeit. Es mussten schnellstens Gesamtmassnahmen getroffen werden. Dass es trotzdem nicht etwas völlig Ungewohntes ist, hat man ja auch daran gesehen, wie schnell wir darauf reagieren konnten.

Frau Grünig, haben Sie das aus ärztlicher Sicht auch so erlebt?
Priska Grünig:
Auf jeden Fall. In gewissen Rahmen kennen wir das ja auch, wenn man beispielsweise an die normale jährliche Grippe denkt. Sie fällt mal harmloser, mal heftiger aus. Da ist das Tragen von Schutzmasken eine gewohnte Massnahme. Heftig war aber sicher das Ausmass und die Geschwindigkeit bei Corona. Wenn nicht alle so schnell reagiert hätten, wäre es nicht so gut herausgekommen.
Seiler: So eine Situation muss immer auf dem Radar sein. Dafür haben wir ein Pandemiekonzept. Bis anhin war es in der Theorie entwickelt, jetzt haben wir es erstmals in die Praxis umgesetzt.

Wie viele Covid-19-Patienten mussten Sie behandeln?
Grünig:
Mit Datum von 8. Juni hatten wir 29 stationäre Fälle. Rund 900 Personen wurden in unseren Abklärungs- und Notfallstationen getestet. 64 davon waren positiv.

Sind auch GZF-Mitarbeitende an Corona erkrankt?
Grünig:
Ja, sieben von fast tausend Mitarbeitenden. Die Rückverfolgung zeigte, dass sie sich nicht im GZF angesteckt haben.

Das GZF musste wie viele andere Spitäler auch, Kurzarbeit nmelden…
Seiler:
Sie wurde am 24. April nach genau dreiwöchiger Dauer beendet. Ab 27. April haben wir ja unsere Wahleingriffe und Sprechstunden wieder hochfahren können.

Gab es Kündigungen?
Seiler:
Nein. Wir haben die 20 Prozent Lohnausfall während der drei Wochen Kurzarbeit bezahlt, über längere Zeit hätten wir das aber nicht machen können. Nun gehen wir davon aus, dass wir uns wieder erholen. Wir brauchen alle unsere Leute.

Ist der Betrieb wieder komplett hochgefahren?
Seiler:
Noch nicht zu 100 Prozent. Noch werden Überzeit kompensiert oder Ferien bezogen, wo es möglich ist.

Wie ist der Stand bei den Patienten?
Seiler:
Auch hier sind wir noch im Auf bau. Am Anfang hat es einen Schub mit Patienten gegeben, die sofort kommen wollten. Andere warten lieber noch bis Herbst zu. Die Auslastung betrug seit der Wiedereröffnung teilweise 80 Prozent. Zurzeit sind wir bei 78 Prozent.

Wie war die Belegung vor Covid 19?
Seiler:
Unabhängig von Corona sind wir sehr zufrieden. Gerade auch in Laufenburg. Wir können das Spital nur aufrechterhalten, wenn es von den Patienten auch genutzt wird. 2019 sind wir gut ausgelastet gewesen. Die Erwartungen wurden erfüllt, wenn nicht gar übertroffen.


«Wir gehen von einem rechten  Verlust aus»

Der Spital-Alltag kehrt nach und nach beim GZF zurück

Im Gespräch mit der NFZ blicken CEO Anneliese Seiler und Chefärztin Dr. Priska Grünig vom Gesundheitszentrum Fricktal (GZF) auf intensive Wochen zurück. Die Ausnahmesituation durch die Covid-19-Pandemie hat auch positive Erfahrungen machen lassen.

Susanne Hörth

NFZ: Bekam das GZF bei der Umsetzung der Schutzmassnahmen Unterstützung?
Anneliese Seiler:
Das meiste geschah innerbetrieblich. Wir waren der Region Aargau West zugeteilt. Hier hat man die Schutzmassnahmen eng mit dem Kantonsspital Aarau abgesprochen.

Welche Hilfe gab es von aussen?
Seiler:
Wir haben sehr viel Unterstützung bekommen. Wir haben, als es um die Konzentration des Pflegeheimes am Standort Laufenburg und die des Akutspitals in Rheinfelden ging, auch die Grossräte, insbesondere des oberen Fricktals, sowie den Laufenburger Stadtrat informiert. Das Verständnis war gross. Wir fühlten uns sehr gut getragen. Dann wie gesagt, die gute Zusammenarbeit mit dem KSA und auch die sehr gute, wertvolle und kompetente Unterstützung von der Zivilschutzorganisation Unteres Fricktal. Letztere hat die Eingangskontrollen in Rheinfelden wie in Laufenburg durchgeführt. Und dann gab es ganz viele grosszügige Naturalspenden von regionalen Betrieben: wie beispielsweise Desinfektionsmittel, Masken, freie Mittagessen, gratis Glacé. Eine tolle Wertschätzung für unsere Mitarbeitenden! Ihnen allen gilt unser herzlichster Dank!

Haben auch freiwillige Personen ihre Hilfe angeboten?
Seiler:
Es haben sich über 100 Personen freiwillig gemeldet. Mit ganz vielen Hintergründen. Viele von ihnen boten ihre Hilfe bei personellen Engpässen an. Auch zahlreiche Hausärzte haben sich gemeldet. Was uns ebenfalls sehr freut: die Angehörigen von Patienten und Pflegeheimbewohnern haben das Besuchsverbot gut mitgetragen und Verständnis für die Massnahme gezeigt.

Haben Sie die Hilfe der über 100 Personen in Anspruch genommen
Priska Grünig:
Nein. Wir hatten insgesamt wenige Corona-Patienten. Wir wären aber auf einen Ansturm vorbereitet gewesen.

Wie haben die Mitarbeitenden auf die Ausnahmesituation am GZF und seinen Standorten reagiert?
Seiler:
Sehr gut, flexibel, sehr unterstützend, sehr verständnisvoll. Dafür sind wir ihnen zu grossem Dank verpflichtet!

Grünig: Wir haben das ganze Haus umorganisiert. Vieles war plötzlich nicht da, wo es sich vorher befand. Stationen hatten eine andere Funktion, Aufgabenbereiche haben gewechselt, Dienstpläne wurden kurzfristig neu aufgegleist. All diese Veränderungen wurden sehr gut akzeptiert und mitgetragen.

Eine positive Erfahrung in dieser für alle doch sehr belastenden Situation!
Seiler:
Absolut!

Weiss man beim GZF schon, wie hoch der finanzielle Verlust infolge der Pandemie ist?
Seiler:
Wir sind es am Eruieren. Es wird sehr spürbar sein. Aufgrund der ganzen Zusatzkosten und gleichzeitig einem grossen Ertragsausfall gehen wir von einem rechten Verlust aus.

Kann man diesen schon beziffern?
Seiler:
Nein, wie gesagt: wir sind noch am Zusammenstellen.

Kann der Verlust irgendwie kompensiert werden?
Seiler:
Es kommt darauf an, wie der Rest des Jahres verläuft, einen Teil können wir vielleicht aufholen, alles aber sicher nicht. Zentral für uns wird auch sein, welche allfälligen Entschädigungen von Bund und Kanton kommen. Sie sind zurzeit daran, nach Lösungen zu suchen. Es ist ein politischer Entscheid.

Das GZF hat vor einiger Zeit eine grosse Werbekampagne gestartet. Hat diese den gewünschten Erfolg gebracht?
Seiler:
Wir haben ein super letztes Jahr erlebt. Ich bin froh, dass wir ein gutes Ergebnis erzielten. Wir schütten Gewinne ja nicht aus, sondern legen sie in die Reserve. Darüber sind wir jetzt sehr froh.

Das heisst?
Seiler:
Ein solches Jahr wie jetzt aktuell können wir durchstehen. Es kann aber längerfristig nicht so getragen werden. Wir sind eine gesunde Firma. Dass wir auf einer soliden, finanziellen Basis stehen, das kommt uns nun zugute.

Immer wieder wurde auch der Standort Laufenburg in Frage gestellt. Hat sich in der Corona-Krise ausbezahlt über zwei Spitalstandorte verfügen zu können?
Seiler:
Auf jeden Fall. Es gab uns viel mehr Handlungsspielraum. Es erlaubte uns, das Konzept mit den Konzentrationen von Akutspital in Rheinfelden und Pflegeheimbetrieb in Laufenburg mit hohem Schutz unserer Pflegeheimbewohner umzusetzen. Dadurch das letzteres auch ein Akutspital ist, war auch während der Ausnahmesituation das Knowhow vor Ort mit ärztlicher Betreuung rund um die Uhr gewährleistet.

Ist auch in Laufenburg die Rückkehr zum Spitallalltag gut gestartet?
Grünig:
Das Akutspital Laufenburg hat am 2. Juni aufgemacht. Die Leute sind sofort wiedergekommen. Der Betrieb hat zu unserer Freude schnell Fahrt aufgenommen.
Seiler: Wir sind für die Region da, diese Aufgabe nehmen wir wahr. Wir sind auch darauf angewiesen, dass die Leute uns berücksichtigen.

Mit der schnellen Wiedereröffnung des Akutspitals in Laufenburg haben Sie auch ein Versprechen gegenüber der Stadt Laufenburg, der Politik wie auch der Bevölkerung eingehalten.
Seiler:
Wir sind ein verlässlicher Partner, das ist uns sehr wichtig. Die Diskussionen im Jahre 2018 und den damit zusammenhängenden Vertrauensprozess wollen wir in keine Weise zerstören. Wenn wir sagen: wir machen wieder auf, dann halten wir uns daran!

Ist das GZF auf eine mögliche zweite Corona-Welle gerüstet?
Grünig:
Es bleibt im Hinterkopf. Das Konzept steht.
Seiler: Wir brauchen nie mehr den Vorlauf, den wir jetzt benötigt haben. Innerhalb einer Woche sind die Häuser im Wesentlichen parat, das hat man jetzt ja gesehen.

Sie haben vorhin auch das gute Jahr 2019 erwähnt. Sind oder waren für das laufende Jahr grössere Investitionen am GZF geplant?
Seiler:
Den Cafeteriabereich und die Liftvorplätze hätten fertiggestellt werden sollen. Bei den Sanierungen der letzten Jahre wurde überirdisch alles gemacht, jetzt hätte es noch den einen oder anderen Feinschliff gebraucht. Wir warten damit zu. Was den unterirdischen Teil betrifft, etwa die Entsorgung oder die Parkierung, das ist erst in den nächsten drei bis fünf Jahre vorgesehen. Für dieses Jahr ist jetzt nichts geplant.

Welche Erfahrungen und Lehren ziehen Sie aus den zurückliegenden Wochen?
Seiler:
Extrem positiv ist, dass alle am gleichen Strick gezogen haben. Alles war sehr dynamisch, voller Kraft. Es hat uns ebenfalls sehr geholfen zu schauen, ob das Pandemiekonzept genügt. Es hat uns gezeigt, dass wir im Ernstfall gut vorbereitet sind. Richtig Negatives haben wir eigentlich nichts festgestellt. Es gab lediglich einige Feinjustierungen.
Grünig: Für mich waren das Engagement und die Bereitschaft aller Mitarbeitenden die positivste Erfahrung. Es war sehr berührend zu sehen, wie alle diese ausserordentliche Situation gemeinsam mitgetragen haben.

Seiler: Was uns zugutekommt, ist die riesige Sanierung, die wir hier in Rheinfelden bereits erlebt haben. Unsere Mitarbeitenden haben trotz ständigen Zügelns stets sehr gut gearbeitet. Es hat in der ganzen Bauphase unglaubliche Flexibilität von unseren Mitarbeitenden verlangt. Und diese haben sie nun wiederum sehr kompetent bewiesen.

Noch gilt in beiden Spitälern striktes Besuchsverbot. Wie lange noch?
Seiler:
Bis 19. Juni. Es ist eine Anordnung des Kantons. Zurzeit wird auf kantonaler Ebene in Absprache mit den Spitälern ein Konzept erarbeitet, wie sichergestellt werden kann, dass bei einer kompletten Öffnung der Häuser die Massnahmen zum Schutz vor Ansteckung sichergestellt werden können.

Die Hygienemassnahmen bleiben also weiterhin?
Seiler:
Absolut. Es geht aber nicht nur um das Maskentragen oder Hände desinfizieren. Daran haben sich die Leute gewöhnt. Wir müssen auch sicherstellen, dass wir das Contact Tracing durchführen können. Auch, wie wir die Einhaltung des Schutzkonzeptes überprüfen können. Die Spitäler im Aargau wollen sich abstimmen.

Es braucht also noch etwas Geduld?
Seiler:
Wir verstehen das Bedürfnis der Leute, die ihre Angehörigen und Freunde besuchen möchten, sehr gut. Bis jetzt wurde alles so gut mitgetragen. Jetzt braucht es noch ein wenig Geduld. Wir machen aber jetzt schon in berechtigten Einzelfällen Ausnahmebewilligungen und prüfen Gesuche.


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