«Raus aus dem Hamsterrad»

  16.06.2020 Fricktal, Obermumpf

Oder: Wenn Herr und Frau Gemeindeammann für ihre Einwohner einkaufen gehen

Covid-19 hat das Leben verändert. Vielleicht wirkt sich das auch auf das Gemeinschaftsgefühl aus. Eines ist klar: Die letzten Monate waren eine aussergewöhnliche Zeit, wie sich am Beispiel Obermumpf zeigt – stellvertretend für viele Fricktaler Gemeinden.

Ronny Wittenwiler

«Aufgrund der dritten Etappe der Lockerungen der Massnahmen des Bundesrates wird auch der kostenlose Einkaufsdienst für besonders gefährdete Personen wieder eingestellt», teilt der Gemeinderat Obermumpf mit. Die NFZ blickt mit Frau Gemeindeammann Eva Frei auf die letzten Wochen zurück.

NFZ: Eva Frei, warum wurde der Einkaufsdienst eingestellt?
Eva Frei:
Weil der Bund kommunizierte, dass auch Senioren wieder einkaufen gehen können unter Einhaltung gewisser Schutzmassnahmen. Auch bei uns «plangten» viele ältere Menschen auf diesen Moment. Einerseits waren sie über die erhaltene Hilfe sehr froh, andererseits fehlte ihnen genau auch das: selbst einkaufen zu gehen.

Diese Menschen freuen sich, ein Stück der eigenen Freiheit zurück zu erlangen.
Genau. Als der Bundesrat älteren Personen dringend geraten hatte, zuhause zu bleiben, da war für mich allerdings klar: Wir können nicht einfach von unseren Menschen verlangen, zuhause zu bleiben, nicht einzukaufen, ohne ihnen eine Alternative zu bieten. Deshalb stand unser kostenloser Einkaufsdienst bereits am Tag danach auf den Beinen.

Haben Sie im Dorf die Solidarität mit älteren Menschen gespürt?
Diese Solidarität war sehr stark zu spüren. Nicht bloss Familien organisierten sich untereinander. Auch in der Nachbarschaft, in den Quartieren, halfen die Menschen einander, es gingen die Jüngeren für die Älteren einkaufen. Das funktionierte sehr gut. Der von der Gemeinde aufgegleiste Einkaufsdienst deckte schliesslich jene Personen ab, die niemanden hatten, der ihnen hätte helfen können.

Wie viele Leute mussten den Einkaufsdienst in Anspruch nehmen?
Ich erhielt unglaublich viele Anrufe von Personen, die ihre Dienste sofort angeboten hätten. Gerade weil aber die Solidarität untereinander derart gross war, gab es insgesamt noch sechs Haushaltungen, für die ich einkaufen gegangen bin.

Und wie viele waren es insgesamt?
Eben: sechs. Das waren alle.

Der kostenlose Einkaufsdienst der Gemeinde bestand aus Ihnen?
Nicht ganz. Zweimal ging einer der vielen Freiwilligen einkaufen.

Frau Gemeindeammann höchstpersönlich kauft für andere ein?
Wieso nicht? Da fällt niemandem ein Zacken aus der Krone. Ich machte das nicht in erster Linie als Frau Gemeindeammann, sondern, weil ich die Leute kenne. Und es war noch etwas anderes: Als ich die Bilder aus Italien sah und niemand wusste, was da alles auf uns zukommen würde, machte ich mir wirklich Sorgen um die Menschen hier. Ich schlief sehr schlecht und ehrlich gesagt dachte ich, diesbezüglich auch als Frau Gemeindeammann: Ich würde das emotional nicht aushalten. Ich wollte nicht einfach nichts machen. Das Einkaufen tat also auch mir gut.

Die gegenseitige Solidarität im Dorf: Kann das eine Gemeinschaft auch nachhaltig prägen?
Ich glaube schon. Diese spezielle Zeit warf uns alle aus diesem Hamsterrad. Plötzlich stand alles still. In dieser Zeit der Ruhe bleibt viel mehr Raum, über die Dinge bewusst nachzudenken; viel mehr, als wenn du in diesem Rad einfach weiterdrehst. Ich habe das Gefühl, dass diese Erfahrung nachhaltig wirkt.

Raus aus dem Hamsterrad: Obermumpf war noch ruhiger als sonst schon?
Diese absolute Ruhe. Und ich sah den Himmel noch nie so, wie in dieser Zeit. Auch nachts: Die Sterne so hell, wie ich sie in meinem Leben noch nie gesehen habe. Man nahm die Natur viel intensiver wahr. So habe ich es empfunden.


Einkaufstüten und Exekutiv-Mitglieder

In der amtlichen Mitteilung des Gemeinderats Obermumpf zum nun eingestellten Einkaufsdienst heisst es ausserdem: «Der Gemeinderat bedankt sich bei allen für die geleistete Arbeit im Zusammenhang mit dem kostenlosen Einkaufsdienst für besonders gefährdete Personen.» Hiesse das streng genommen nicht, dass man sich bei Eva Frei bedankt? Dagegen wehrt sie sich. Der Dank gehe insbesondere an all jene, die für den Einkaufsdienst ohne Zögern ihre Hilfe angeboten hatten – für den Fall, man würde auf der Gemeinde überrannt werden. Dass es nicht soweit gekommen ist, habe nun mal mit der Solidarität untereinander zu tun. «Also gilt der Dank genauso all jenen, die sich untereinander geholfen haben. Sie gaben uns das Gefühl, dass man zusammenhält und füreinander da ist. Das tat so gut.»

«Eine tolle Erfahrung»
Solidarität war in den vergangenen Monaten in vielen Gemeinden des Fricktals zu spüren. So auch etwa in Schupfart. Die Gemeinde hatte nach dem Lockdown ebenfalls einen Einkaufsservice ins Leben gerufen. Auch hier packten die Behördenmitglieder gleich selbst mit an. «Das war eine tolle Erfahrung», sagt Gemeindeammann René Heiz. «Die Menschen haben das enorm geschätzt.» Und so kam es auch in Schupfart dazu, dass der Gemeindeammann höchstpersönlich mit vollen Einkaufstüten vor der Türe stand und die beim Volg bestellten Lebensmittel frei Haus lieferte. Genauso wie seine Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderats, zusammen mit ihren Partnerinnen und Partnern sowie Kindern. (rw)


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