Bitte korrekt verhalten!

Ronny Wittenwiler

Haben Sie auch schon von ihr gehört: von der sogenannt «neuen Normalität?» Ehrlich gesagt, tue ich mich ein wenig schwer mit dieser «neuen Normalität». Weil also mir hat man bereits vor Corona gesagt, ich sei irgendwie nicht ganz normal. Aber das ist ja lediglich die Sichtweise meines Nachbarn. Und die meiner Frau, unserer Kinder, deren Grosseltern und meines Psychiaters. Der hat dann sogar noch gesagt, ich neige diesbezüglich zu einer gewissen Uneinsichtigkeit. Aber nein und nochmals nein, das stimmt imfall überhaupt gar nicht. Latent aggressiv sei ich übrigens auch und zudem auffallend vergesslich. Dass ich nicht lache! Der kann sich sein Gutachten sonst wohin stecken. Ich sag’s ja: Psychiater kann jetzt jeder werden. Wo waren wir stehen geblieben?

So, genau: Bei der «neuen Normalität». Was hat das nun zu bedeuten? Es gibt da ein paar Beispiele, die sich gerade jetzt am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, besonders für eine nähere Betrachtung eignen. Wenn Sie also heute Nachmittag in der Zürcher Bahnhofstrasse einen kapitalistischen BMW in Brand stecken, bitte ich Sie höflich, sich zuvor gründlich die Hände zu waschen. Das ist die «neue Normalität». Sollten Sie aus irgendwelchen Gründen auch noch einen Polizisten verprügeln wollen, dann achten Sie bitte auf «Social Distancing». Ihr Baseballschläger sollte also mindestens zwei Meter lang sein – wir wollen uns als korrekte Bürger ja schliesslich alle an die Regeln halten. Unter Berücksichtigung dieser zwei, drei kleinen Einschränkungen gelingt uns sicher der Schritt in die «neue Normalität».

Und was lernen wir daraus? Wir sind grundsätzlich alles gute Menschen. Manchmal aber dürfen wir uns die Frage erlauben, ob in der «alten Normalität» wirklich immer alles so normal gewesen ist. Mein Psychiater weiss vielleicht mehr. Ich würde ihn ja gerne anrufen – wenn ich nur seinen Namen nicht vergessen hätte.

witte@nfz.ch