«Grosser Rat hat an Macht verloren»

  14.05.2020 Fricktal, Politik

Er ist der dienstälteste Fricktaler Grossrat: Am Dienstag verabschiedete sich Roland Agustoni (GLP) nach 23 Jahren aus dem Aargauer Kantonsparlament. Er hat viele politische Kämpfe ausgefochten – gelassener ist er nicht geworden.

Valentin Zumsteg

NFZ: Herr Agustoni, können Sie sich noch an den 29. April 1997, Ihren ersten Tag im Grossen Rat, erinnern?
Roland Agustoni:
Fast nicht mehr. Ich weiss aber noch, dass ich wahnsinnig nervös war. Sehr aufgeregt. Gleich in der ersten Fraktionssitzung hatte ich eine andere Meinung als die anderen. Das machte es etwas speziell.

Nach 23 Jahren hören Sie nun auf. Mit welchem Gefühl gehen Sie?
Ich gehe mit einem guten Gefühl. Die Arbeit hat mir Spass gemacht. Ich habe sie mit Freude und vor allem mit Leidenschaft getan. Ich habe viel Herzblut reingesteckt – und ich konnte mich tierisch aufregen über gewisse Entscheide. Ich bin im Laufe der Jahre auch nicht gelassener geworden. Nach der Grossrats-Sitzung habe ich nie gut geschlafen; ich hatte viele schlaflose Nächte. Insgesamt kann ich sagen: Ich habe gemacht, was ich konnte. Mehr war nicht möglich. Für mich war aber immer klar, dass ich aufhören werde, wenn ich 65 Jahre alt bin und ins Pensionsalter komme. Das war schon lange geplant.

Was werden Sie vermissen?
Ich werde sicher meine Parteikolleginnen und -kollegen aus der Fraktion vermissen. Wir haben uns gut verstanden und waren fast wie eine Familie. Zu Beginn werde ich sicher genau verfolgen, was sie weiterhin im Grossen Rat tun.

Auf was können Sie gut verzichten?
Auf die schlaflosen Nächte. Ich schlafe jetzt deutlich besser. Der Druck ist weg. Das ist schön.

Was ist Ihnen wichtig in der Politik?
Offenheit und Direktheit. Mir ging es nie um Parteizugehörigkeit. Gute Ideen habe ich auch unterstützt, wenn sie von der anderen politischen Seite kamen. Mir ging es wirklich um die Sache. Ich habe grosses Verständnis für den politischen Gegner. Ich glaube, dass alle Grossräte das Beste für den Kanton wollen. Die Ansichten darüber, was richtig ist, gehen aber natürlich auseinander. Und wenn ich von etwas überzeugt war, habe ich dafür leidenschaftlich gekämpft. Aber immer auf der Sachebene. Ich habe mit keinem Parlamentarier einen persönlichen Streit.

Apropos Offenheit: Sie haben als SP-Grossrat begonnen und hören nun als GLP-Parlamentarier auf. Rückblickend gesehen: War ihr Parteiübertritt 2010 richtig?
Ja, absolut. Das hat sich über Jahre hin entwickelt. Mir war einfach nicht mehr ganz wohl in der SP. Ich hätte Dinge vertreten müssen, hinter denen ich nicht stehen konnte.

Sind Sie im Laufe der Jahre bürgerlicher geworden?
Nein. Aber ich habe mich verändert und die SP hat sich verändert. Ich bin nicht bürgerlich, auch wenn ich heute in einer Mitte-Partei politisiere. Mein Herz schlägt links. Bei der GLP gehöre ich sicher zum linken Rand. Wenn in der SP die Positionen von Pascale Bruderer oder Daniel Jositsch eine Mehrheit gehabt hätten, wäre es nicht zu einem Parteiwechsel gekommen.

Sind Sie nach dem Parteiwechsel angefeindet worden?
Ja, das war nicht schön. Auch meine Familie hat darunter gelitten. Der Graben ist bis heute nicht zu. Manche Mitglieder der SP des Bezirks Rheinfelden schneiden mich noch immer. Das hat mich persönlich tief getroffen. In diesem Ausmass habe ich das nicht erwartet.

23 Jahre sind eine lange Zeit. Wie hat sich die Politik im Aargau in dieser Zeit verändert?
Am stärksten verändert hat sich die Diskussion um das Budget. Früher konnten wir praktisch um jeden kleinen Posten diskutieren und streiten. Mit der heutigen «wirkungsorientierten Verwaltungsführung» ist es für den einzelnen Parlamentarier sehr schwierig geworden, die Details zu sehen. Wir können nicht mehr punktuell steuern. Das Parlament hat an politischer Macht verloren – zu viel aus meiner Sicht. Die Verwaltung hat dagegen an Macht gewonnen. Auch ist alles deutlich komplexer geworden. Ich habe mir immer Mühe gegeben und alle Akten gelesen – ich kann aber nicht behaupten, dass ich für alles ein Fachmann bin. Viele Politiker haben sich auf ein Gebiet spezialisiert. Manchmal fehlt der Blick für das Ganze.


«Tragt dem Fricktal Sorge»

Interview mit Roland Agustoni (Fortsetzung von Seite 1)

Das Fricktal ist in den vergangenen Jahren zu wenig zusammengewachsen – das sagt Roland Agustoni. Der Rheinfelder GLP-Grossrat hatte am Dienstag nach 23 Jahren seinen letzten Tag im Kantonsparlament.

Valentin Zumsteg

NFZ: Herr Agustoni, wie steht das Fricktal heute im Kanton da?
Roland Agustoni:
Das Fricktal steht im Kanton Aargau sehr gut da. Die wirtschaftliche Entwicklung war in den vergangenen Jahren stark. Von einer Krücke sind wir zu einem Standbein des Kantons Aargau geworden. Die Regierung versucht, den Kanton mit seinen verschiedenen Regionen zusammenzuhalten. Das spürt man. Wir sind heute nicht mehr das Sorgenkind des Kantons.

Ist das Fricktal auch politisch zusammengewachsen?
Es gibt immer noch zwei verschiedene Fricktal, das untere und das obere. Das hat sich in den vergangenen Jahren nicht wirklich verändert. Wir schaffen es zu wenig, uns ganz zu nähern. Das untere Fricktal ist stark nach Basel ausgerichtet, das obere ist eher ländlicher. Es stimmt auch nicht, dass die Fricktaler Grossräte im Kanton eine Hausmacht sind. Wir tun uns zusammen, wenn man muss. Es ist nicht so, dass die Fricktaler immer an einem Strick ziehen.

Wie beurteilen Sie die Situation des Berufsbildungszentrum Fricktal, das auf das neue Schuljahr viele Berufe verlieren wird?
Das Berufsbildungszentrum Fricktal war in den vergangenen Jahren etwas träge. Ich glaube, man hat sich zu wenig bemüht, um neue Berufe zu gewinnen. Die «Fachangestellten Gesundheit» gehören doch zum Beispiel ins Fricktal. Hier haben wir zwei Spitäler, die Reha Rheinfelden und weitere Gesundheitsbetriebe. Ich weiss nicht, wie sich die Schule in den kommenden Jahren entwickeln wird.

Auf der anderen Seite bekommt das Fricktal eine Mittelschule. Drei Standorte bewerben sich darum. Wo ist aus ihrer Sicht der ideale Ort?
Das ist für mich ganz klar Rheinfelden/Möhlin. Ich sage das nicht, weil ich in Rheinfelden wohne. Der Bahnhof Möhlin ist in der Nähe, der Standort ist gut erschlossen und die meisten Schüler kommen aus dem unteren Fricktal. Ich finde aber auch, dass der Kanton gewisse kantonale Institutionen in die Regionen verlagern könnte, zum Beispiel auch ins obere Fricktal.

Sie haben sich immer für den öffentlichen Verkehr eingesetzt und auch andere Verkehrsfragen thematisiert. Was war Ihr schönster Erfolg?
Mein erster Vorstoss, für den ich gekämpft habe, war die Industrie-Umfahrungsstrasse NK 495 in Rheinfelden, die 2007 eingeweiht werden konnte. Zuletzt habe ich mich für den Halbstunden-Takt auf der SBB-Strecke zwischen Stein und Laufenburg eingesetzt. Der Regierungsrat muss diesen nun realisieren. Das ist ein grosser politischer Erfolg, der mich sehr freut. Wann der Halbstunden-Takt kommt, lässt sich aber leider noch nicht genau sagen. Beides waren riesige Kämpfe.

Was hat Sie enttäuscht?
Vieles. Ich bin jedes Mal enttäuscht, wenn ich mich für etwas einsetze und es abgelehnt wird. Insgesamt gibt es in der Politik mehr Enttäuschungen als Erfolge – gerade wenn man einer kleinen Fraktion angehört. Ich hätte gerne viel mehr erreicht.

Was geben Sie Ihrer Nachfolgerin Béa Bieber als Tipp mit auf den politischen Weg?
Sie soll so politisieren, dass sie abends in den Spiegel schauen kann.

Wenn Sie einen Wunsch an die Politik und die Gesellschaft hätten: Wie würde er lauten?
Tragt dem Fricktal Sorge.

Noch ein kleiner Blick in die Zukunft: Was machen Sie nun mit der neu gewonnen Freizeit?
Nichts. Ich werde mich politisch nicht mehr engagieren. Ich lese gerne, höre Musik und ich freue mich auf mehr Zeit mit meiner Familie und den fünf Grosskindern. Ich werde die Seele baumeln lassen.


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