Späte «Rache» für Nein zu Aarau?

  23.04.2020 Leserbriefe, Gipf-Oberfrick

(Zum «Sittenzerfall am Bundesstrafgericht» in Bellinzona)
Aus föderalistischer Rücksicht ist es grundsätzlich richtig, Institutionen des Bundes allen Landesteilen zuzuteilen. Aber es muss sinnvoll und logisch ein. Vor rund 25 Jahren rangen die Eidg. Räte in Bern um dezentralisierte Standorte für Bundesstraf- und Bundesverwaltungsgericht. Ich kämpfte damals – als Mitglied des besonders involvierten Ständerats – überzeugt für die Kombination Aarau/Freiburg, die mir zweckmässiger erschien als Bellinzona/ St. Gallen. Doch letztere obsiegte knapp, weil unter der Bundeskuppel offensichtlich besser lobbyiert worden ist. Obwohl ich der italienischen Schweiz sehr zugeneigt bin, bspw. durch steten Einsatz für die Wiederpräsenz dieser Sprachregion im Bundesrat, hatte ich grosse Bedenken zur Vergabe des Bundesstrafgerichts ins Tessin. Die Arbeitsweise an einem solchen Gericht, mit vielen Kurzterminen für Richter, Beklagte, Anwälte, Zeugen, Experten usw., sprach wegen des teils enormen Zeitaufwandes für Hin- und Rückreisen nicht eben für Bellinzona. Diesbezüglich wäre Aarau zweifellos im Vorteil gelegen, weil vor allem wesentlich schneller erreichbar mit öffentlichen oder privaten Verkehrsmitteln. Wenn die Aufsichtsbehörde (Bundesgericht) für den «Sittenzerfall in Bellinzona» nun u.a. Spesenritterei, Gerangel um Pensenanpassungen und Ausstandsregeln anführt, überrascht mich das nicht. Ich bedaure es und hege keinerlei nachträgliche Schadenfreude. Als überzeugter Föderalist möchte ich dennoch in Erinnerung rufen: Föderalismus in Ehren, aber er darf nicht Zweck und Mittel heiligen…

MAXIMILIAN REIMANN, EHEM. NATIONAL- UND STÄNDERAT, GIPF-OBERFRICK


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