Ein Spitteler-Buch zum «Schnöiggen»

  28.04.2020 Nordwestschweiz, Bücher

Einblick ins vielfältige Werk des Nobelpreisträgers

Der am 24. April 1845 in Liestal geborene Carl Spitteler war ein fruchtbarer und in verschiedenen literarischen Gebieten bewanderter Autor. Eine zum Nobelpreis-Jubiläum 2019 erschienene Textauswahl trägt dieser Vielfalt Rechnung.

Martin Stohler – Volksstimme

LIESTAL. Manchmal feilte Carl Spitteler an einem Werk schier endlos herum, bis er damit zufrieden war. Dies hinderte ihn allerdings nicht daran, ein produktiver Schriftsteller zu sein. Die 1945 aus Anlass seines 100. Geburtstags in Angriff genommene Ausgabe seiner «Gesammelten Werke» umfasst neun Bände und zwei Geleitbände. Aus diesem Textreichtum eine repräsentative Auswahl zu treffen ist keine leichte Sache. Den Herausgebern des Auswahlbands «Carl Spitteler – Dichter, Denker, Redner» ist dies gut gelungen.

Der Band bietet neben knappen Auszügen aus den epischen Werken «Prometheus und Epimetheus» sowie «Olympischer Frühling» Gedichte, Erzählungen, Reden, Essays und die Novelle «Imago». In Letzterer kehrt ein Künstler in sein Heimatstädtchen zurück und bringt einiges durcheinander, da er sich in eine Seelenfreundschaft mit einer jungen Dame hineinsteigert, von deren Existenz diese aber gar keine Ahnung hat.

Aufruf zur Einheit des Landes
In einer Textauswahl, die uns auch den «Politiker» Spitteler zeigen will, darf natürlich die Rede «Unser Schweizer Standpunkt» aus dem Jahr 1914 nicht fehlen. Bei dieser handelt es sich um eine politische Intervention, die den deutschen und den französischen Landesteil der Schweiz dazu aufruft, zur Einheit unseres Landes Sorge zu tragen. Eine entsprechende Dringlichkeit war bei einem ebenfalls in die Auswahl aufgenommenen Text aus dem Jahr 1886 nicht gegeben. Spitteler räsoniert darin über die politisch korrekte Verwendung des Begriffs «Volk» vor dem Hintergrund der Französischen Revolution und der sozialen Spannungen des 19. Jahrhunderts. Bei diesem Text wie auch bei einigen anderen hätten kurze Anmerkungen zu einzelnen Namen oder Ereignissen zum besseren Verständnis beigetragen. Andere Texte sprechen uns auch heute noch unvermittelt an. Beispielsweise das witzige Essay «Die ‹Entweihung› der Alpen», in dem Spitteler eine Lanze für die Jungfraubahn bricht. Dabei verficht er die These, dass nur «Gegenden, welche Spuren einer hochentwickelten Kultur aufweisen», das Gemüt beruhigen und «Herz und Seele stimmen» würden. Die Alpen bestätigten dies, «denn einer der allerwichtigsten Vorzüge der Schweizer Alpen besteht in dem Vordringen einer ansehnlichen Kultur bis nahe an die Schneegrenze. Das wird uns Schweizern nur nicht so bewusst, weil wirs als etwas Selbstverständliches hinnehmen.»

Epische Dichtung
Unter den ausgewählten Gedichten findet sich Populäres und weniger Populäres. Nicht ohne Schmunzeln liest man das ironisch-patriotische Gedicht «Die jodelnden Schildwachen». Auch eine Kostprobe aus dem Epos «Olympischer Frühling» darf natürlich nicht fehlen. Dieses Werk Spittelers führt nicht nur die einst in den Hades verbannten Götter, sondern auch uns Leserinnen und Leser zu olympischen Höhen empor. Ihnen gibt Persephone, die Gattin des Herrn der Unterwelt, die folgenden Worte mit auf den Weg: «‹Heil euch!›, begann sie, ‹die ihr ausnahmsweis beglückt / vom Schicksal, das euch diesem trüben Gau entrückt, / im Reich des Lichts, wo Lächeln blühn und Blumen spriessen, / der Sonne farbenfrohe Werke dürft geniessen.›»

Wer in der vorliegenden Textauswahl blättert und «schnöiggt», wird beides finden: den pessimistisch getrübten Gau und das Reich des Lichts. Dabei wird der Leser und die Leserin vielleicht auch Lust auf «mehr Spitteler» bekommen.


Carl Spitteler

Carl Spitteler wurde 1845 in Liestal im Kanton Basel-Landschaft geboren. Nach Abschluss des Theologiestudiums ging er nach St. Petersburg, wo er acht Jahre lang als Hauslehrer arbeitete. In die Schweiz zurückgekehrt, veröffentlichte er 1880 sein erstes literarisches Werk, das Epos «Prometheus und Epimetheus». Er unterrichtete an höheren Schulen in Bern, Zürich und La Neuveville und schrieb zahlreiche Feuilletonbeiträge für Zeitungen im In- und Ausland. 1883 heiratete er Maria op den Hooff, mit der er zwei Töchter hatte. Die Familie zog 1892 nach Luzern, wo Spitteler als freier Schriftsteller tätig war. Seine Rede «Unser Schweizer Standpunkt» trug ihm national und international Lob wie auch Kritik ein. 1920 erhielt er, rückwirkend auf das Jahr 1919, den Nobelpreis für Literatur und ist damit der einzige gebürtige Schweizer Literaturnobelpreisträger. Spitteler starb 1924 in Luzern. (nfz)


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