Aus dem Tohuwabohu entsteht Neues

  09.04.2020 Kaiseraugst, Religion

Die Welt ist gemäss Bibel nicht aus dem Nichts erschaffen, sondern aus dem Tohuwabohu, wie das lautmalerische Wort im hebräischen Urtext heisst. In der griechischen Übersetzung lautet es: Chaos. Diese Vorstellung – so schreibt der emeritierte ETH-Professor für Astrophysik Arnold Benz in seinem Buch «Die Zukunft des Universums: Zufall, Chaos, Gott?» – entspricht naturwissenschaftlicher Erkenntnis: Neues entsteht aus Altem, Zerfallendem, Sterbendem. Thesenartig formuliert Benz:
«Das Universum hat eine faszinierende Geschichte. Es ist die Entstehung von Ordnung aus Chaos, vom überraschenden Auftauchen des Neuen als umwälzende Strukturierung des Bestehenden. Das Neue entsteht nicht aus dem Nichts, sondern aus bestehendem Material, dessen Struktur am Zerfallen ist.»

Dieser Entstehung von Neuem entspricht das, was die Jüngerinnen und Jünger Jesu an Karfreitag erleben: Ihr Meister, für den sie ihre Fischerboote und Familien verlassen hatten, wird am Kreuzgalgen hingerichtet. Er stirbt den grausamsten Tod der Antike, von den Menschen geächtet, von Gott verflucht. «Verflucht ist jeder, der am Holze hängt», heisst es in der Bibel. Die Jünger sind selber gefährdet, sie verkriechen sich in einem Estrich oder fliehen aus Jerusalem ins galiläische Niemandsland im Norden.

Vom Alten zum Neuen
Die Situation ist ausweglos, was nun geschieht, nicht vorhersehbar: Jesus erscheint den Frauen am Grab, später den Jüngern. Was sie genau sehen, wissen wir nicht. Doch sie deuten es als Auferstehung: Gott habe den Gekreuzigten von den Toten auferweckt.

Der Auferstandene hat sich verwandelt, sein Leib leuchtet, er durchschreitet verschlossene Türen. Und doch ist er derselbe, den seine Freunde von früher her kennen: Jesus von Nazareth, Sohn eines Zimmermanns, Wanderprediger, Wunderheiler. Er brach die religiösen Gebote, liess zu, dass eine stadtbekannte Prostituierte seine Füsse salbte, zechte mit Zöllnern, feierte mit Freunden. Seine Feinde bezeichneten ihn als Fresser und Säufer, seine Anhänger verehrten ihn als Messias. Schliesslich wurde er zum Tod verurteilt und gekreuzigt – die Verantwortung für den Justizmord liegt übrigens nicht bei den «Juden», sondern bei der römischen Besatzungsmacht.

Die Frauen und die Jünger identifizieren den Auferstandenen mit dem Gekreuzigten. Es gibt also eine Kontinuität vom Alten zum Neuen, das Neue ist aus dem Alten entstanden. Und doch ist nichts mehr, wie es war. Die Jünger kommen hervor aus ihren Verstecken, sie brechen auf und verkündigen bis ans Ende der Erde das Evangelium, das Arnold Benz in der Metaphorik eines Astrophysikers so formuliert:
«Jesus sagt: Ich bin das wahre Neue. Wer auf mich vertraut, hat Teil am Sinn des Ganzen trotz Zerfall und Tod, auch wenn die Sonne verglühen, die Erde sich im Raum verirren und das Universum zerstrahlen wird.»

Die Corona-Turbulenzen haben eine chaotische Situation generiert. Es ist eine globale Krise mit ungewissem Ausgang. Aus der Perspektive von Ostern ist sie geborgen in Gott, der hinabgestiegen ist bis in den Tod. Der mit uns ist auch in der Krise. Und der aus der Krise Neues entstehen lässt.

Andreas Fischer ist reformierter Pfarrer in Kaiseraugst.


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