«Ich habe meine Familie gerettet, darauf bin ich stolz»

  12.02.2020 Persönlich, Zeiningen

Hanan Zahrah ist 2013 mit ihrer Familie von Syrien in die Schweiz geflüchtet

Die Syrerin Hanan Zahrah und ihre Familie führten in Damaskus ein sehr schönes Leben. Als der Krieg kam, beschloss sie, ihre Familie zu retten und zu flüchten. Heute wohnt die Familie in Zeiningen und muss auf vieles verzichten, was in ihrem früheren Leben selbstverständlich war.

Janine Tschopp

«Ja, komm nur zu uns, wir haben gerne Besuch», sagte Hanan Zahrah am Telefon, als sie mit der NFZ den Gesprächstermin vereinbarte. Und so waren auch «Herzlich willkommen» die ersten Worte, als die Journalistin an diesem Donnerstagnachmittag zur Türe hereinkam. Es vergingen ein paar Momente, und schon standen eine Tasse Kaffee und eine Auswahl selbstgebackener Kuchen auf dem Tisch. Bei Hanan Zahrah ist «Herzlich willkommen» keine Floskel, sondern sie meint genau das, was sie sagt. Sie liebt es, Gäste zu empfangen.

Seit fünf Jahren leben die 45-Jährige und ihre Familie in Zeiningen. Konnte die offene, gastfreundliche Frau hier bereits viele Kontakte knüpfen? «Die Leute kommen schon zu uns, aber sie möchten trotzdem eine gewisse Distanz behalten», beschreibt Hanan Zahrah. «Vielleicht haben wir auch eine andere Kultur», sagt sie. Ihr Bruder Ahmad Zahrah, der in Deutschland wohnt, und an diesem Nachmittag spontan auch zum Gespräch stösst, bestätigt ihre Aussage. Obschon Damaskus eine Millionenstadt sei, sei es dort früher üblich gewesen, die Freizeit zusammen mit anderen Menschen, ob Nachbarn, Freunde oder Verwandte, zu verbringen.

Stolz, dass sie ihre Familie retten konnte
Auch wenn die Syrerin Hanan Zahrah ihre Heimat oftmals vermisst und auch viele traurige Momente erlebt, empfindet sie grosses Glück, dass sie ihre Familie vor dem Krieg retten konnte. «Da bin ich sehr stolz», sagt sie.

Vor dem Krieg führte sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern Judi und Majd ein sehr schönes Leben in Damaskus. Ihr Mann Salah arbeitete in einer international tätigen Handelsfirma. Sie, als studierte Germanistin, führte während 14 Jahren eine Sprachschule für deutschsprachige Studenten und Geschäftsleute. Dann, 2011, begann der Krieg. Aufgrund ihrer Kontakte zu europäischen Studenten stand sie stark unter Beobachtung des Geheimdienstes. Zudem zogen Soldaten von Präsident Bashar al-Assad mit Maschinengewehren durch die Strassen ihrer Heimatstadt und suchten nach Mitgliedern der oppositionellen Armee. Hanan Zahrah wusste, dass sie flüchten müsste.

«Ich packte für uns alle eine kleine Tasche», erinnert sie sich. Dann fuhr sie mit ihren beiden Kindern zu ihrer Schwester ins Zentrum von Damaskus. Die Zustände wurden immer schlimmer. «Es lagen viele tote Menschen auf der Strasse.» Die ganze Familie hatte grosse Angst. Sie wollte wieder nach Hause, aber Strassensperren verhinderten dies.

Sie beschloss, zusammen mit ihrer Mutter und den beiden Kindern zu Verwandten ins Nachbarsland Libanon zu flüchten. «Ich bin noch nie so schnell Auto gefahren», erzählt sie. «Geht runter», schrie sie ihren Kindern zu, als Mitglieder der Armee und der Oppositionellen von allen Seiten Schüsse abfeuerten.

Zwei Jahre in Asylunterkünften
Ein paar Monate blieben sie und ihre Familie bei Verwandten im Libanon. Die Lage in ihrer Heimat verschärfte sich, und das Ersparte wurde immer weniger. Aufgrund ihrer deutschen und Schweizer Kontakte erhielten sie, ihre Kinder und ihre Mutter, ein Touristenvisum für die Einreise in die Schweiz. Ihren Mann musste sie in ihrer Heimat vorerst zurücklassen.

Hanan Zahrah reiste mit den Kindern und ihrer Mutter nach Chur. Sie beantragte Asyl und kam zusammen mit ihrer Familie in die Asylunterkunft nach Basel. «Das war die schlimmste Zeit in meinem Leben. Es waren viel zu viele Menschen dort, wir lebten wie im Gefängnis.» Sie erzählt von ganz strengen Regeln, die in dieser Unterkunft herrschten und ihr und ihrer Familie das Leben zur Hölle machten. Später kam die Familie in Asylunterkünfte nach Buchs, Aarau und Aarburg. Aufgrund ihrer guten Deutschkenntnisse wurde Hanan Zahrah in den Unterkünften jeweils als Übersetzerin eingesetzt. Insgesamt verbrachte die syrische Familie rund zwei Jahre in Asylunterkünften, teilweise unter sehr schwierigen Umständen. «Nur weil ich übersetzte, musste ich so lange bleiben.»

Dann, eines Tages im Jahr 2015 wurde für die Familie ein Transport nach Zeiningen organisiert, wo sie in ein kleines Haus einziehen durften. «Das Haus war fast leer, und am Anfang fühlten wir uns nicht wohl», beschreibt die Syrerin. Die Familie hat in der Zwischenzeit viele materielle Spenden bekommen und sich das Haus gemütlich eingerichtet.

Hanan Zahrah, ihre Mutter und die beiden Kinder waren bereits in der Schweiz, als ihr Mann Salah in Syrien inhaftiert wurde. Es war Hanans Bruder Ahmad, der für die Freilassung viel Geld bezahlte. Salah flüchtete über die Berge. Zwei Jahre und vier Monate nach seiner Familie, reiste auch er in die Schweiz.

Integriert?
Hanan Zahrah arbeitet auf Abruf als Dolmetscherin beim Ausländerdienst Baselland und beim Hilfswerk der Evangelischen Kirchen (HEKS). Zudem engagiert sie sich als Schlüsselperson bei «mit.dabei-Fricktal» und beim Zeininger Mittagstisch. Ihr Mann fand einen Teilzeitjob bei einer Umzugsfirma. Mit dem F-Ausweis (vorläufig aufgenommen) sei es schwierig Arbeit zu erhalten, erklärt Hanan Zahrah. «Im Oktober haben wir einen Antrag für die Aufenthaltsbewilligung B gestellt.»

Bei Hanan Zahrah und ihrem Mann spürt man, dass sie in Zeiningen noch nicht ganz angekommen sind. Gerne würden sie sich noch stärker integrieren, noch mehr dabei sein. Ganz anderes sieht es bei ihren Kindern aus. «Den Kindern geht es super hier», erzählt Hanan Zahrah. Ihre Tochter (17) lernt Dentalassistentin und ihr Sohn (14) besucht die Realschule und möchte im Sommer in die Sekundarschule wechseln.

Sehr schön für die Familie ist, dass sie nun vereint in Zeiningen, geschützt vor dem Krieg, leben dürfen. Bis Hanans Herz hier angekommen ist, und die Wunden der Ereignisse seit der Flucht aus ihrer Heimat geheilt sind, braucht es aber noch viel Zeit.


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