«Fremdes zieht mich an»

  29.02.2020 Gansingen, Persönlich

In Gansingen geerdet – offen für die weite Welt

Heidi Schraners grosse Leidenschaft ist das Theaterspielen. Die frühere Köchin von Jungwacht & Blauring ist neugierig, humorvoll, dankbar, weltoffen und sie liebt es, mit jungen Menschen «unterwegs» zu sein.

Bernadette Zaniolo

Mit einem etwas unüblichen Blick öffnet Heidi Schraner die Haustüre. «Du hast mich wohl auf dem falschen Fuss erwischt», sagt sie zur Journalistin. «Ich will doch gar nicht in die Zeitung». Doch schon zu Beginn des Gesprächs verrät sie: «Ich war schon immer neugierig.» So kommt das Gespräch schnell in Fluss. Über ihre Zeit als Köchin im Lager von Jungwacht & Blauring Gansingen, ihre Leidenschaft fürs Theaterspielen, ihre Tätigkeit als Sterbebegleiterin, ihre «Beziehung» zu einem jungen Polen und das Reisen. Auch eine Reise zur Seele.

Ihrer Neugier folgend hätte Heidi Schraner gerne schon im Jugendalter die «Welt» bereist. Doch es kam anders. «Ich habe mir die Welt hierhergeholt», sagt sie mit ihrem ansteckenden Lachen. Dieses hat sie sich auch bewahrt, als der Rücken derart schmerzte, dass eine Operation unausweichlich war. Mit ihrem Humor, ihrer positiven Lebenseinstellung, der Offenheit gegenüber Fremdem und ihrem grossen Engagement findet die heute 66-jährige Gansingerin schnell den Draht zu Menschen jeden Alters. Heidi Schraner, geborene Boutellier, wuchs in Gansingen – unweit der Mühle – zusammen mit drei älteren Brüdern auf. Schon als sie klein war, wollte sie wissen: «Warum kommt man auf die Welt und muss dann sterben?» Bereits im jungen Alter von 17 Jahren besuchte sie den ersten Sterbebegleitungskurs. Erst Jahre später stand sie dann im Kantonsspital in Baden im Einsatz. Nach zehn Jahren als Sterbebegleiterin sagt sie mit einer Selbstverständlichkeit: «Der Tod gehört zum Leben»; ebenso natürlich, wie grüne und ältere Blätter von den Bäumen fallen sei es mit dem Tod. «Es war eine gute Zeit und die Sterbebegleitung hat mir viel gegeben», verrät die Mutter von drei erwachsenen Söhnen und drei, beziehungsweise bald vier Grosskindern.

Die Kompensation… und dicke Pullover
«Für sie war es wohl nicht lustig», so Heidi Schraner. Mit «sie» meint sie ihre Söhne. Denn als Lagerköchin von Jungwacht & Blauring Gansingen war auch ihre Mutter jeweils dabei. Doch in dieser Aufgabe blühte die Tochter des früheren Gemeindeschreibers voll auf. Und so wurde auch ihr Fernweh gestillt beziehungsweise kompensiert, unter anderem mit Lagern in diversen Regionen der Schweiz. So manches Kind konnte sein Heimweh bei der Lagermutter abschütteln. Zehn Sommer lang hat sie dies gemacht. «Das Arbeiten mit jungen Menschen hat mich schon immer gereizt.»

Das und die Neugier hat Heidi Schraner, ihrem Mann und den Kindern in den 1980er-Jahren Momente beschert, die wohl keiner mehr missen möchte. «Es war wohl der heisseste August» als Heidi Schraner ihren Gast in Empfang nahm. Der polnische Pflegesohn war mit anderen Kindern am Zürcher Flughafen angekommen. «In der Schweiz hat es Berge und es ist kalt», wurde ihnen vor der Abreise gesagt. «Deshalb kamen sie mit den dicksten Pullovern», erinnert sich Heidi Schraner. «Es war eine Bereicherung», hält sie jene Erfahrungen und Erlebnisse fest. Denn bei einem späteren Besuch in Polen fiel einem ihrer Söhne auf, dass dort keiner am Tisch «schnäderfrässig» sei. Bis zu seiner Heirat kam der damals zwölfjährige Pf legesohn jedes Jahr für drei Monate zur Familie von Heidi Schraner. Auch für ihn war sie wie eine Mutter. «Bis in alle Nacht haben wir ‹gschnättered›», insbesondere damit der Bub deutsch lernte.

«Da hat sich mir eine Welt aufgetan…»
So wie Heidi Schraner der Journalistin für den Zeitungsbericht doch noch zugesagt hatte, hatte sie einer früheren Nachbarin «versprochen»: «Ich komme dich und deine Kinder besuchen.» Die neugierige und mutige Gansingerin reiste ganz alleine ins ferne Australien. «Da hat sich mir so eine Welt aufgetan», verrät sie. Und ergänzt: «Fremdes zieht mich an, das finde ich toll.» Gleichzeitig betont sie, dass sie auch ganz tolle Schwiegertöchter habe. Da diese teils von weiter herkommen, «habe ich schöne Orte in der Ferne kennengelernt und neue Kontakte knüpfen können.»

Ein «guter» Virus
Mit dem Theatervirus hat Heidi Schraner die ganze Familie infiziert. Das Theaterspielen hat sie schon fasziniert, als es noch im Gansinger «Pintensaal» hiess: Vorhang auf. Damals waren es noch keine reinen Theatervereine. Heidi Schraner kam über den Kirchenchor zur Schauspielerei. Sie besuchte Kurse, war auch sechs Jahre im Theaterverband Aargau für das Kurswesen verantwortlich und spielte im Dorftheater. Seit der Gründung des Müli-Theater Gansingen gehört Heidi Schraner zur Crew. Dieses führte seine Stücke bis vor Kurzen in der alten Mühle auf (mit nur 42 Sitzplätzen und besonderem Ambiente), gleich neben dem Haus von Heidi Schraner. «Früher haben wir alles selber gemacht. Vom Salat rüsten bis auf der Bühne stehen», sagt Heidi Schraner mit einem herzhaften Lachen.

Frisch und fröhlich
Ihr Mann Stefan hat 20 Jahre die Festwirtschaft gemacht. «Es war eine tolle Zeit.» Man merkt: Das Müli-Theater ist für Heidi Schraner mehr als ein Team; eine grosse, harmonierende Familie, die fürs Theater lebt (auch zwei ihrer Söhne sind noch mit dabei). «Mich hat es frisch gehalten», sagt Heidi Schraner. Man glaubt es der früheren Dorfagentur-Leiterin einer Krankenversicherung aufs Wort. Sie verrät der NFZ weiter: «Ich habe intensiv gelebt. Jetzt bin ich auch gerne mal alleine.» Diese Zeit nutzt sie jedoch nicht wie früher zum Töpfern, sondern zum Lesen und um einfach dazusein.

«Ich brauche manchmal einen Gegenpol zum intensiven Alltag, wie Natur und Ruhe.» Doch wer die Gansingerin kennt, weiss, dass sie schon bald die «Rufe» des Gartens hört. Und von Mitte August bis Ende September ist sie wieder in Action, im neuesten Stück vom Müli-Theater Gansingen.

Zum «Das Wandeln ist der Mühle Lust» öffnet sich der Vorhang erstmals am 15. August am neuen Spielort in Sulz. «Neugierig und aktiv bleiben, dieses Naturell sehe ich als Geschenk», sagt Heidi Schraner. Wichtig sei auch, dass jeder seinen Weg gehe. «Ich bin nicht ‹schachtelitauglich›» verrät sie dazu. Für sie ist wichtig «zufrieden und in Fluss zu bleiben». Sie hat aber auch gelernt Hilfe anzunehmen.

www.mülitheater.ch


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