«Auch Kellertreppenbenutzer leben gefährlich»

  03.02.2020 Gipf-Oberfrick

Gipf-Oberfrick ist seine Heimat, anderswo leben will Adrian Beyeler nicht. Doch das Gefühl von Freiheit ist dem 51-Jährigen ein unverhandelbares Grundbedürfnis. Seine Leidenschaft gilt dem Metall – als Goldschmied dem edlen, als Töfffahrer jenem mit PS.

Simone Rufli

«Haben nicht alle Menschen gegensätzliche Veranlagungen in sich? Ich lebe die beiden Seiten einfach aus.» Beyeler lächelt, lehnt sich in seinem Stuhl zurück, offen für alles, was an Fragen kommen mag. Aufmerksam zuhören, sich einlassen, das Gegenüber spüren – Adrian Beyeler besitzt diese Gabe.

Beyeler und seine zwei Seiten. Beide sind aus Metall. Zur einen gehört konzentrierte Ruhe, Feinarbeit an filigranem Schmuck. Auf dieser Seite treffen wir uns zum Gespräch. An seinem Arbeitsort, dem Goldschmiedeatelier an der Landstrasse in Gipf-Oberfrick, inmitten von Schmuckstücken, umgeben von Bildern befreundeter Kunstschaffender. Die grösste Freude bereitet ihm, wenn er aus einem grauen Nebel – so nennt er die noch diffuse Vorstellung seines Gegenübers – klare Umrisse herauslösen und dem Kunden ein ganz persönliches Schmuckstück fertigen kann. «Ich will keinen eigenen Stil entwickeln. Ich will dem Kunden eine Freude machen.» Von der Zeichnung bis zur Übergabe des fertigen Produkts. «Da steht niemand dazwischen, kein Gedanke, keine Wahrnehmung die verloren gehen.»

Die andere Seite ist keine Minute entfernt, ist sein Zuhause und ist doch eine ganz andere Welt. Es ist die Welt der schweren Motorräder, der lärmenden Motoren und dem Gefühl von Freiheit. Er brauche beide Seiten. Und schmunzelnd setzt er hinzu: «Ich pendle jeden Tag zu Fuss und ohne Stau zwischen diesen Welten.»

Alles selber machen
Er sei dankbar, dass ihn die Eltern – der Vater ein Mechaniker, die Mutter Bürokauffrau – unterstützt haben in seinem künstlerischen Berufswunsch. «Ich bin der kreative Aussenseiter in der Familie mit zwei Geschwistern und doch habe ich von meinen Eltern nie zu hören bekommen, dass ich zuerst einen anständigen Beruf lernen solle, bevor ich mich dem Kunsthandwerk zuwende.» Im Oktober wird es 25 Jahre her sein, dass er das Geschäft – damals noch ein Laden für Modeschmuck – von den Eltern übernommen hat. «Ich war früh der Überzeugung, dass mein Job etwas mit Zeichnen zu tun haben muss.» Beyeler schnupperte als Maschinen- und als Hochbauzeichner. «Immer hat es mich gestört, dass man etwas plant, zeichnet und die Arbeit dann aus der Hand gibt. Mein Wunsch war es, von der Planung bis zur Ausführung alles selber zu machen. Das bringt einem nicht nur handwerklich weiter. Man lernt auch, so zu zeichnen, dass die Arbeit nachher umsetzbar ist.» Mangels freier Lehrstelle lernte er zuerst Bijouterieverkäufer, danach Goldschmied. Dass die Liebe zur Kunst und die Leidenschaft fürs Töfffahren sich nicht ausschliessen – das wissen seine Freunde inzwischen. «Es gibt auf beiden Seiten lässige Leute. Es braucht nur den Willen, sie kennenzulernen.» Aus dieser Überzeugung ist eine Ausstellung hervorgegangen. Die Full Throttle Art Exhibition. Am 25. und 26. April ist es wieder soweit: Kunst und Motorrad vereint in Beyelers Atelier. Aber nicht einmal an einer Kunstausstellung kann man das «Hirni» so durchlüften wie auf dem Töff. «Wenn einem der Virus einmal gepackt hat, ist Töfffahren wie atmen.» 10 000 Kilometer pro Jahr fuhr er mit 20, später 5000 – heute sagt er: «Selbst, wenn ich mal nur noch 200 Kilometer fahren sollte und Spass habe, reicht das.»

«Auch wenn ich seit Jahren in Gipf-Oberfrick lebe, nie lange im Ausland war und mich zur Schweiz und zum Fricktal stark hingezogen fühle – Freiheit ist ein Grundlebensbedürfnis von mir», betont Beyeler. Freiheit und der eigene Stil. Kollegen, die ihn in die Schublade Biker-Schmuck mit Totenkopf versorgen wollen, belehrt er mit Design-Stücken eines Besseren. Er habe Freude an schönen Formen, sagt der Künstler. «Ich sehe mich als Handwerker. Ich arbeite auch noch an einem richtigen Amboss von gegen 130 Kilo Gewicht.»

Der Thron steht bereit
Oberflächlichkeiten sind Beyeler ein Gräuel. So wie ein Schmuckstück wenig bis gar nichts über das Innenleben seines Trägers offenbaren muss, so sei es falsch, vom Motorrad auf den Fahrer zu schliessen. Umgekehrt versuche er, möglichst viel über einen Menschen herauszufinden, um für ihn den passenden Schmuck herzustellen. Der Kunde ist König. Der Thron, ein mit schwarzem Samt überzogener Sessel, steht bereit. «Zufällig erworben, in einer Brocki am Strassenrand in Hornussen – ich finde er passt.» Cartoon-Zeichner oder Töff-Mech. Berufe, die für Beyeler trotz offensichtlichen Begabungen nicht in Frage gekommen wären. «Der Töff-Mech hat in der schönen Jahreszeit so viel Arbeit, dass er selber nicht zum Fahren kommt, und die Freude am Zeichnen habe ich in einem Buch ausgelebt, ohne davon leben zu müssen. Was ich verkauft habe, hat gerade gereicht, die ISBN-Nummer zu bezahlen – trotzdem ein cooles Gefühl.» Inhalt des Buches, wie könnte es anderes sein: Biker-Cartoons.

Im Sommer fährt er zu einem Harley-Treffen nach Schweden. Er wird eine Gruppe von acht Fahrern anführen. «Man fährt anders, wenn man eine Gruppe anführt und weiss, dass alle von jemandem geliebt werden. Sie sicher wieder heimbringen ist das oberste Ziel.» Zweimal ist Beyeler mit dem Töff verunfallt. Beide Male unverschuldet. Der Weg zurück war lang und als Selbstständiger von Existenzängsten geprägt. «Auch Kellertreppenbenutzer leben gefährlich», Beyeler lacht.

Wind, Regen und Hagel im Gesicht und danach das gute Gefühl, das Unwetter überstanden zu haben. «Herrlich!». Der Geruch von frischem Brot am frühen Morgen – «auf dem Motorrad nimmst Du die Welt viel intensiver wahr.» Einmal, es regnete Bindfäden, fuhr er mit dem Auto zu einem Töff-Treffen. Unverzeihlich. «Das höre ich heute noch.» Er lacht. Biker-Treffen, übernachten im Zelt – aber auf Reisen «heute lieber ein Hotelzimmer mit eigenem WC und Dusche.» Die Zeiten ändern sich. Beyelers Leidenschaften für die zwei Seiten des Metalls bleiben.


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