Nein zur Wohnraum-Initiative: Es funktioniert heute schon gut

  24.01.2020 Leserbriefe

Günstiger und bezahlbarer Wohnraum ist auch in einem Dorf realistisch und wichtig. Das kann durch eine örtliche Genossenschaft stufenweise und in Rücksicht auf die Dorfstrukturen erreicht werden.

Die Wohnbaugenossenschaft Wölflinswil-Oberhof wurde 1965 gegründet. 30 Mitglieder waren bei der Gründung dabei. Drei davon hätten das Dorf verlassen müssen, weil weit und breit keine Mietwohnungen vorhanden waren. Bis 1967 wurden zwei Mehrfamilienhäuser am Geerenweg erstellt. Weitere Bauten entstanden 1997, 2001, 2007 und 2011, insgesamt über all die Jahre 38 Wohnungen. Die Genossenschaft zählt heute 126 Mitglieder und hat aufgrund des weiteren Erwerbs einer Altliegenschaft die Absicht, bei Bedarf ein weiteres Mehrfamilienhaus in naher Zukunft zu bauen. Eine ganze Gruppe ehemaliger Mieterinnen und Mieter wohnt heute noch im Dorf und konnte den Sprung zum Eigenheim wagen. Sinn und Zweck der Genossenschaft sind: «Die Beschaffung und die Erstellung von preisgünstigen Wohnungen unter Ausschluss jeder spekulativen Absicht und in gemeinsamer Selbsthilfe.» Obwohl im bäuerlich-ländlichen Bereich immer wieder Genossenschaften entstanden (Vieh, Milch, Vermarktung z.B. Landi), war es in einem Dorf lange ungewohnt, eine Selbsthilfegenossenschaft für Mietwohnungen zu gründen.

Wie die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt zeigt, war und ist ein solches Angebot begrüssenswert. Jetzt verfolgt sogar eine Volksinitiative, Abstimmung am 9. Februar 2020, das gesamtschweizerisch durchzusetzen und fordert, dass eine Quote von zehn Prozent der neugebauten Wohnungen gemeinnützig sein müssten, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dieses Begehren fand in Bundesrat und Parlament keine Mehrheit. Der Bundesrat will weiterhin einen Fonds bilden in der Höhe von rund 250 Millionen Franken und die bisherige bewährte und gezielte Förderpolitik fortsetzen.

Neben der Altersvorsorge und den hohen Krankenkassenprämien drückt der Schuh von Frau und Herr Schweizer vor allem auch bei den hohen Mietzinsen. Trotz günstigen Hypothekarzinsen bleibt die Miete über alles gesehen sehr hoch. Untersuchungen zeigen, dass bei gemeinnützigem und genossenschaftlichem Wohnungsbau die Mieten je nach Lage zwischen 15 und 24 Prozent günstiger sind. Vor allem in den Städten ist der Unterschied gross, deshalb haben verschiedene Städte den genossenschaftlichen Wohnungsbau wieder neu entdeckt, beziehungsweise bestehende Strukturen gestärkt. In Basel sind derzeit zum Beispiel 250 Genossenschaftswohnungen im Bau und weitere in Planung.

Einige Merkpunkte, die sich aus den Erfahrungen in der Wohnbaugenossenschaft Wölflinswil-Oberhof ergeben:
1. Die Genossenschaft hat sich auch im ländlichen Raum bewährt. Sie hat einerseits auch privaten Mietwohnungsbau ausgelöst und günstige Mietzinse generell im Dorf gefördert.
2. Es wurde nicht auf einen «Chlapf» gross investiert, sondern stufenweise, was eine gute Durchmischung von im Dorf interessierter junger Mieterinnen und Mieter und von auswärtigen Interessenten gewährleistet hat. Zudem wollte man bewusst nicht am selben Fleck eine «Grossüberbauung», sondern in den Dorfstrukturen vernetzt bauen.
3. Es hat sich gelohnt, bei der Dachorganisation «Wohnen Schweiz» mitzumachen und von Beginn weg von den Unterstützungen des Bundes zu profitieren. Das war vor allem in den «hohen Hypothekarzins-Jahren» sehr gefragt.
4. Auch bei fairen Mietzinsen war der Spielraum gross genug, um die notwendigen Rückstellungen, Wohnungserneuerungen usw. sicherzustellen.
5. Wer die dörfliche Infrastruktur, wie Schule, Dorfladen und örtliches Gewerbe möglichst intakt
erhalten will, braucht auch Mietwohnungen. Junge Mieter sind auch stets ein Plus für den Nachwuchs in aktiven Vereinen.
6. Die Volksinitiative schlägt alles über einen Leisten. Die örtlichen Bedürfnisse können aber am besten gezielt vor Ort abgedeckt werden. 7. Eine örtliche Genossenschaft hat einfache Strukturen mit Vorstand und Verwaltung an Ort.
8. «Zehn Prozent preisgünstiger, bezahlbarer Wohnraum» ist als Zielwert vertretbar und ist im Falle von Wölflinswil und Oberhof (etwas mehr als 1600 Einwohner) auf längere Sicht machbar.
9. Faire Mietangebote in einem Dorf sind wirksam gegen Auswüchse im Immobiliensektor und familienund kinderfreundlich.
10. «Wohnen im Alter» erhält so
fort eine neue Dimension, wenn in Preis und Ausstattung (Lift, rollstuhlgängig, zentrale Lage) Wohnraum im engeren Dorfbereich nahe bei Bushalt und Dorfladen zur Verfügung gestellt werden kann.
Zusammenfassend halte ich die Initiative mit der «Zehn Prozent Forderung für die ganze Schweiz» für starr und wenig auf die Vielfalt unserer Gemeindestrukturen ausgerichtet. Ich lehne diese ab und die örtliche Erfahrung zeigt, dass Wohnbaugenossenschaften ohne neue Gesetzgebung gut funktionieren können, wenn diese an Ort mitgetragen werden.

PETER BIRCHER, WÖLFLINSWIL


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